Saudi-Arabien und Iran: Annäherung zu Lasten Israels?
5. Mai 2023Saudi-Arabien ordnet dieser Tage seine Beziehungen zu mehreren relevanten Akteuren in seiner Nachbarschaft neu. Bereits im März schüttelten hochrangige Vertreter Irans und Saudi-Arabiens in Peking einander die Hände, den Fotos nach zu urteilen in durchaus entspannter Stimmung. Unter Vermittlung des chinesischen Außenministers Wang Yi vereinbarten die beiden ehemaligen Kontrahenten, wieder diplomatische Beziehungen zueinander aufzunehmen, nachdem diese über Jahre brachgelegen hatten.
Einige Tage nach dem Handschlag in Peking lud der saudische König Salman den iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi zu einem Besuch in die Hauptstadt Riad ein. Teheran bestätigte den Eingang des Briefs. Raisi begrüße die Einladung, hieß es seitens iranischer Medien.
Auch Riads frühere Spannungen mit dem syrischen Assad-Regime lösen sich dieser Tage in bemerkenswertem Tempo weiter auf. Mitte April hielt sich der saudische Außenminister Faisal bin Farhan zu Gesprächen in Damaskus auf - erstmals seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs 2011. Kurz zuvor hatte der syrische Außenminister Faisal Mekdad bereits die saudische Hafenstadt Dschidda besucht. Seine Reise war ebenfalls die erste eines syrischen Ministers nach Saudi-Arabien seit rund zwölf Jahren.
Saudi-Arabien ging noch einen - zumindest symbolisch - bedeutsamen Schritt weiter: Mitte April empfing das Königreich Vertreter der palästinensischen Autonomiebehörde mit Präsident Mahmud Abbas an der Spitze. Zeitgleich befand sich laut einem Bericht der israelischen Zeitung "Times of Israel" offenbar auch eine hochrangige Delegation der "Hamas" in Saudi-Arabien - eine militante Gruppe, die den Gazastreifen beherrscht und von der EU als Terrororganisation eingestuft wird. Die Zeitung bezieht sich auf ein Video, das die Delegation in Mekka zeigen soll. Ihr gehörten demnach unter anderem der Chef des Hamas-Politbüros, Ismail Hanija, an.
Offiziell wurde der Besuch weder von Riad noch von der Hamas bestätigt. Doch er erregte Aufsehen, zumal sich Saudi-Arabien in inner-arabischen und inner-islamischen Diskursen in den vergangenen Jahren oft mit dem Vorwurf konfrontiert sah, die traditionelle arabische Solidarität mit den Palästinensern zugunsten anderer strategischer Optionen zu vernachlässigen. Gemeint war damit vor allem eine mögliche informelle oder sogar offizielle Normalisierung der Beziehungen mit Israel.
Abraham-Abkommen unter Druck
Anders als andere Staaten der Region - etwa die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Bahrain - hat Saudi-Arabien in den vergangenen Jahren keines der historischen Abraham-Abkommen unterzeichnet. Diese sollen das Verhältnis Israels zu den arabischen Staaten wie möglichst auch der gesamten arabischen Staatenwelt auf eine neue Grundlage zu stellen. Zugleich sollen sie den von mehreren beteiligten Ländern als potenzielle Bedrohung empfundenen Iran isolieren und politisch wie militärisch einhegen.
Ein solches Abkommen mit Israel nicht zu unterzeichnen - dafür dürfte es aus saudischer Sicht einige Gründe geben: Das Königreich ist der wichtigste Führungsstaat des sunnitischen Islam. Entsprechend riskant wäre es aus Sicht Riads für das eigene Image, die Normalisierung zu Israel allzu offen voranzutreiben - zumal dort derzeit eine stark rechts gerichtete Regierung im Amt ist, die den Kurs gegenüber den Palästinensern verschärft und damit politisch auch Israels Gegnern und Feinden in der Region neuen Auftrieb gegeben hat. So wäre wohl Widerstand mehrerer arabischer Staaten - etwa Syrien, Algerien, Tunesien - gegen eine weitere Annäherung an Israel zu erwarten.
Allerdings haben solche Überlegungen Saudi-Arabien bisher auch nicht daran gehindert, sein Verhältnis zu Israel hinter den Kulissen auf eine Weise zu gestalten, die dem Geist der Abraham-Abkommen durchaus entspricht, etwa durch informelle Kontakte auch auf höherer Ebene oder die Gewährung von Überflugrechten für israelische Flugzeuge.
Angesichts der jüngsten saudisch-iranischen Annäherung müsse Israel jedoch besorgt sein, analysiert Peter Lintl, Nahost-Experte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. "Das Anliegen, Iran einzuhegen, scheint für einige arabische Staaten nicht mehr so dringlich", sagt er. Und auf israelischer Seite habe Premier Benjamin Netanjahu bisher auch noch keine überzeugende Antwort auf die iranisch-saudische Annäherung gefunden, so Lintl. Dies gelte insbesondere auch hinsichtlich der Annäherung zwischen Saudi-Arabien und der Hamas, die Israel unmittelbar aus dem benachbarten Gazastreifen heraus bedroht. Die Abraham-Abkommen hätten eigentlich indirekt - neben dem Iran - auch iranisch unterstützte militante Gruppen mit einhegen sollen, so Lintl. Diese Zielsetzung sei faktisch aufgeweicht. Bei der Hamas könnte nun sogar ein gegenteiliger Effekt eintreten.
Ausstrahlung auf andere Länder?
Tatsächlich scheint Saudi-Arabien derzeit kaum noch Vorteile in einer Annäherung an Israel zu erkennen. Und falls das Thema doch noch einmal auf den Tisch kommen sollte, dürfte Riad versucht sein, sich diese durch politische Gegenleistungen aus Washington "bezahlen" zu lassen. Einem Bericht des Wall Street Journal zufolge soll das Königreich von den USA als Gegenleistung für eine auf weitere Annäherung zielende Israel-Politik zuletzt weitere militärischen Hilfen sowie Unterstützung bei der Entwicklung seines zivilen Atomprogramms gefordert haben. Das ehedem entscheidende Motiv einer Eindämmung des Iran mit indirekter Hilfe Israels scheint durch Riads eigene Annäherung an Teheran hingegen einstweilen vom Tisch.
Das könnte auch Folgen für andere Staaten der Region haben, schreibt die Politologin Sarah Zaaimi in einer Analyse für den amerikanischen Think Tank "Atlantic Council". Auch jene Staaten, die bereits Normalisierungsabkommen unterzeichnet haben, könnten ihr Verhältnis zu Israel noch einmal überdenken. "Man kann sogar spekulieren, dass Länder wie Ägypten, Bahrain und Marokko dem Beispiel Saudi-Arabiens folgen und auf eine Verbesserung der Beziehungen zum Iran hinarbeiten könnten", so Zaaimi.
Auch die Annäherung zwischen Saudi-Arabien und der Hamas muss Israel Sorgen bereiten, wenn man sie im größeren Kontext betrachtet: Nach Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs hatten sich nämlich die Hamas und der Iran wegen unterschiedlicher Positionierungen im Konflikt in Bezug auf Syrien überworfen. Nun aber nähern sich nicht allein Iran und Saudi-Arabien wieder an. Auch Syriens Herrscher Baschar al-Assad - ein Mann, der Israel strikt als Feind betrachtet und neben der Hisbollah auch die Hamas unterstützt - wird mit saudischer Billigung in der Arabischen Liga wieder stärker willkommen geheißen. Lintl erinnert an zuletzt aus dem Libanon abgefeuerte Raketen, für die Israel die Hamas verantwortlich gemacht hat. "Das ist für Israel höchst bedrohlich."
Arabisches Unbehagen
Umgekehrt empfinden viele arabische Staaten deutliches Unbehagen angesichts der jüngsten israelisch-palästinensischen Auseinandersetzungen. So waren Anfang April auf dem Gelände des Tempelbergs israelische Sicherheitskräfte mit Dutzenden Palästinensern zusammengestoßen. Unter anderem verurteilte auch Saudi-Arabien den Polizeieinsatz. Auch andere Vorkommnisse sorgten für Unmut, etwa Äußerungen des israelischen Finanzministers Bezalel Smotrich, der die historische Existenz von Palästinensern als eigenständiger Volksgruppe in Frage stellte. "Solche Äußerungen und Gesten sind extrem provokant", meint Lintl. Die Abraham-Abkommen würden derzeit seitens der beteiligten arabischen Länder "zwar nicht aufgehoben, wohl aber deutlich zurückgefahren". Und vor allem scheint gerade Saudi-Arabien nun bis auf Weiteres die Finger von einer möglichen Annäherung an Israel lassen zu wollen. Es verfolgt jetzt andere Prioritäten und hält sich weitere Optionen offen.