Frauen treiben Start-up-Szene in Saudi-Arabien an
24. März 2024Sie sind viele und sie engagieren sich in den unterschiedlichsten Branchen: Unternehmerinnen aus der Start-up-Szene sind aus der saudischen Wirtschaft nicht mehr wegzudenken.
Die Situation hat sich binnen kürzester Zeit grundlegend verändert. Noch vor einem Jahrzehnt war es für Frauen in Saudi-Arabien ausgesprochen schwierig, ein Unternehmen zu gründen. "Es gab buchstäblich kein Ökosystem für Start-up-Unternehmen", sagt Maha Shirah, eine der ersten saudischen Unternehmerinnen in Riad, im DW-Interview.
Als Shirah 2014 den landesweit ersten Co-Workspace für Frauen eröffnete, war das Engagement von Frauen in vielen Branchen noch gesetzlich eingeschränkt. Doch inzwischen hat das saudische Handelsministerium eine umfassende Liste von Arbeitsplätzen für Frauen veröffentlicht. Die lokale Start-up-Landschaft floriert derweil nicht nur, sondern wird von Frauen in allen Branchen vorangetrieben.
Mit Gesetzen, die Frauen zur Arbeit ermutigten und ihnen auch eine angemessene Bezahlung sicherstellten, habe Saudi-Arabien alle nötigen Voraussetzungen für die Öffnung des Arbeitsmarktes geschaffen, heißt es in einem aktuellen Bericht der Weltbank. Dazu gehörten auch Gesetze, die all jene Umstände beseitigten, die Frauen daran hinderten, ein Unternehmen zu gründen und zu leiten. Zudem würdigt der Report neue Gesetzesinitiativen hinsichtlich der Rentenhöhe von Frauen. Alle juristischen Voraussetzungen habe das Königreich einwandfrei umgesetzt.
Im Frauenbericht 2021/22 des Königreichs heißt es außerdem, 95 Prozent der saudischen Frauen hätten vom Beruf der Unternehmerin eine sehr hohe Meinung.
Zwar wurden bislang noch keine aktuellen Statistiken zur Erwerbsbeteiligung von Frauen und Unternehmerinnen veröffentlicht. Doch der Trend ist offensichtlich. Zwischen 2017 und 2021 verdoppelte sich die Erwerbsquote der Frauen in Saudi-Arabien von 17,4 auf 35,6 Prozent. Damit habe das Land das Ziel der "Vision 2030", die Erwerbsquote auf 30 Prozent anzuheben, deutlich übertroffen, heißt es in einer Analyse des in Washington ansässigen Think Tank Arab Gulf States Institute aus dem Januar 2024.
Als wesentliche Kraft hinter diesen Prozessen gilt die Vision 2030, ein vom saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman 2016 eingeführtes sozioökonomisches Reformpaket. Darin geht es ganz wesentlich darum, Frauen in die Arbeitswelt einzubeziehen, aber auch die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, nicht länger nur von den Einnahmen aus der Erdölwirtschaft abhängig zu sein sowie das Land für Touristen zu öffnen.
Neue Wertschätzung für Start-ups
"Vor 2017 gab es sehr wenige Kurse an Schulen oder Universitäten, die sich mit Start-ups oder Unternehmertum befassten", sagte Shirah. Zugleich sei eine Unternehmensgründung nur als Option für reiche Personen angesehen worden. Für alle anderen Bürger habe es als "Stigma" gegolten. Dank der Initiativen der Regierung kann heute jedoch "jeder mit einer guten Idee Unternehmer werden, natürlich auch Frauen", sagt sie.
Im Laufe der Jahre wurde die Regierung zu einem der aktivsten Investoren in der lokalen Start-up-Szene. So etwa verzeichnete der Technologiegipfel Leap24 im März dieses Jahres Regierungsinvestitionen in Höhe von 11,9 Milliarden US-Dollar(10,9 Milliarden Euro). Der saudischen Start-up-Szene gehe es bereits recht gut, sagt Shirah. Die Szene wachse weiter, benötige aber zusätzliche Förderer.
Menschen wie Marriam Mossalli etwa. Die saudische Unternehmerin setzt sich seit Jahren mit ihrer gemeinnützigen Organisation Under The Abaya für die Stärkung der Rolle der Frau ein (Anm. d. Red.: Eine Abaya ist ein gewandähnliches Kleid, das den gesamten Körper mit Ausnahme von Kopf, Händen und Füßen bedeckt). Zudem hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, Start-ups zu beraten.
Vor kurzem gründete Mossalli die Investitions- und Unternehmensberatung C-Suite Advisory. Der Begriff C-Suite ist gemünzt auf die Führungspositionen in einem Unternehmen wie CEO (Chief Executive Officer) und COO (Chief Operating Officer). Mossalli investierte auch in mehrere von Frauen geführte Start-ups. "Als Unternehmerin weiß ich aus erster Hand, vor welchen Herausforderungen wir Frauen stehen", sagt sie im DW-Gespräch. Für sie sei es an der Zeit gewesen, "mein Geld in die Hand zu nehmen".
Inzwischen haben saudische Unternehmer gelernt, auch berufliches Scheitern zu akzeptieren. "Jahrzehntelang war die Vorstellung des Scheiterns in Saudi-Arabien verpönt", sagt Sebastian Sons vom Bonner Thinktank CARPO im DW-Gespräch. "Das hat sich allerdings geändert, denn viele junge Menschen erkennen, dass Scheitern ein Teil ihrer Geschäftserfahrung sein kann. Inzwischen sind sie bereit, dieses Risiko einzugehen."
Start-ups als Strategie für das Nation Branding
Die Förderung einer lebendigen Start-up-Szene sei nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für die saudi-arabische Regierung von Nutzen, so Sons. "Der Fokus liegt auf der wirtschaftlichen Diversifizierung, da der Staat nicht mehr in der Lage ist, viele Mitarbeiter im öffentlichen Sektor zu absorbieren. Zugleich muss der private Sektor gestärkt werden."
Der zweite Grund liege in der externen und internen Wirkung der Unterstützung von Start-ups. Die Regierung signalisiere, dass sie die persönliche Initiative durch Start-ups als Teil des Nation Branding fördere. Zudem gebe es noch eine weitere Komponente, so Sons. "Die Förderung ist auch Bestandteil der Machtkonsolidierung von Kronprinz Mohammed bin Salman im Land."
Frauenrechtsverteidigerinnen weiter unter Druck
Allerdings bedeuten die erweiterten wirtschaftlichen Möglichkeiten der Frauen nicht, dass ihre Situation nun perfekt wäre. So heißt es im Jahresbericht 2024 der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch:
"Weitere Rechtsreformen werden durch die weit verbreitete Repression unter dem De-facto-Machthaber Kronprinz Mohammed bin Salman nach wie vor stark untergraben. Eine Reihe von Frauenrechtsverteidigern, darunter Ludschain al-Hathlul, haben nach wie vor Reiseverbot und sind zu Bewährungsstrafen verurteilt."
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.