Südkorea: Regierungskrise nach Verhängung des Kriegsrechts
4. Dezember 2024Politisches Chaos in Südkorea: Nachdem Präsident Yoon Suk-yeol am Dienstag das Kriegsrecht verhängt und kurz darauf wieder zurückgenommen hatte, haben sechs oppositionelle Parteien ein Amtsenthebungsverfahren in Gang gesetzt. Am Donnerstag oder Freitag wird das Parlament darüber abstimmen. Wenn danach auch der Oberste Gerichtshof zustimmt, muss Yoon das Präsidialamt räumen.
Die Umfragewerte des Präsidenten sind dramatisch in gesunken. Anfang der Woche lagen sie bei nur 19 Prozent. Seine Partei, die konservative People Power Party (PPP), hat in der Nationalversammlung keine Mehrheit. Yoon ist auf die Unterstützung der Opposition angewiesen.
Als am Dienstagabend plötzlich bewaffnete Soldaten vor dem Parlamentsgebäude standen, wurden in der südkoreanischen Bevölkerung Erinnerungen an die Militärdiktaturen wach, die bis in die 1980er Jahre das Land beherrschten.
Fehleinschätzung von Yoon
Politische Analysten sind sich einig, dass Präsident Yoon den Zeitpunkt für eine Generalabrechnung mit der oppositionellen Demokratischen Partei (DP) falsch eingeschätzt hat. Mit der Entscheidung für das Kriegsrecht habe er sich selbst scharfer Kritik ausgeliefert. "In der Öffentlichkeit und in der Presse war viel Unmut über die Demokratischen Partei zu hören. Es scheint, dass Yoon dies als Unterstützung für ihn selbst missverstanden hat", sagte Kim Sang-woo, ehemaliger Politiker der linksgerichteten südkoreanischen Kongresspartei für neue Politik und jetzt Vorstandsmitglied der Kim Dae-jung-Friedensstiftung.
"Die Opposition hat ihre Mehrheit im Parlament genutzt, um Gesetzesvorlagen durchzusetzen, die für Yoon unvereinbar mit dem nationalen Interesse sind", sagte Kim im Interview mit der DW. Die Opposition treibe zudem Ermittlungen gegen Yoons Frau voran und "stellt immer wieder Amtsenthebungsanträge gegen Kabinettsmitglieder".
Yoons Ehefrau hatte ein teures Präsent, eine Markenhandtasche, von einem Pastor mit Verbindungen nach Nordkorea angenommen. Dabei wurde sie von einer versteckten Kamera gefilmt. Ende 2023 kam der Mitschnitt an die Öffentlichkeit. Die Opposition nutzte den Skandal bei den Zwischenwahlen Anfang 2024 und gewann die Mehrheit im Parlament. Dadurch ist Yoon in der zweiten Hälfte seiner Amtszeit praktisch machtlos.
Amtsenthebungsverfahren als Waffe der Opposition
Die Regierungspartei PPP war zudem darüber verärgert, dass die DP die Kürzungen der Verteidigungsetats um umgerechnet 45,7 Millionen Euro erzwang. Diese Gelder sollen für nachrichtendienstliche Tätigkeiten verwendet werden, wie die Aufdeckung und Untersuchung von Bedrohungen der nationalen Sicherheit, in erster Linie aus Nordkorea sowie die Bekämpfung von Korruption.
Nur wenige Stunden vor Yoons Ankündigung hieß es in einem Leitartikel der Tageszeit "Korea Times", die Demokratische Partei nutze "ihre parlamentarische Mehrheit aus, um ihre Agenda voranzutreiben". Der Kommentator warf der DP vor, Amtsenthebungsverfahren gegen wichtige Politiker als Waffe einzusetzen. An diesem Mittwoch startete die Opposition neben dem Verfahren gegen Präsident Yoon noch drei weitere Amtsenthebungsverfahren gegen Regierungsmitglieder.
Aber auch mehrere DP-Politiker waren in jüngster Zeit Gegenstand von Korruptions- und anderen Untersuchungen, darunter auch Oppositionsführer Lee Jae-myung. Er war Mitte November wegen Verstoßes gegen das Wahlgesetz zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden. Lee hat Berufung eingelegt, die Strafe ist zunächst für zwei Jahre ausgesetzt. Sollte das Urteil vom Berufungsgericht bestätigt werden, könnte Lee aufgrund dieser Vorstrafe nicht mehr bei den nächsten Präsidentschaftswahlen antreten.
Instabil auf unbestimmte Zeit
Präsident Yoon habe sich - trotz aller politischen Rückschläge - nicht staatsmännisch verhalten und sich selbst geschwächt, sagt Leif-Eric Easley, Professor für internationale Studien an der Ewha Womans University in Seoul. "Yoons Verhängung des Kriegsrechts überschreitet offenbar die rechtliche Kompetenz und scheint eine politische Fehlkalkulation zu sein. Damit hat er Südkoreas Wirtschaft und Sicherheit unnötig gefährdet."
"Angesichts der fehlenden Unterstützung und ohne starke Rückendeckung innerhalb seiner eigenen Partei und Regierung hätte der Präsident wissen müssen, wie schwierig es sein würde, sein Dekret spät in der Nacht umzusetzen", sagte Easley. "Er klang wie ein Politiker, der unter Beschuss steht und einen verzweifelten Schritt gegen die zunehmenden Skandale, die institutionelle Obstruktion und die Forderungen nach einem Amtsenthebungsverfahren unternimmt. Im Endeffekt hat er die bestehenden Konflikte nur verschärft."
Allerdings habe Yoon dann das Richtige getan und das Kriegsrecht sofort nach der Ablehnung durch das Parlament wieder rückgängig gemacht, sagt Easley weiter. Dennoch wies der Politologe darauf hin, dass die Nation mit der Instabilität weiter leben müsse, so lange die Pattsituation zwischen Regierung und Parlament anhalte.