Russlands Verbündete in Afrika
9. März 2022Am 2. März wurde der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York eine Resolution zur Abstimmung vorgelegt, die unter anderem einen "sofortigen, kompletten und bedingungslosen" Truppenabzug von Russland forderte. Von den 193 UNO-Mitgliedern stimmte ein Großteil zu, nämlich 141 Länder - ein deutliches Zeichen der Staatengemeinschaft.
Bei der Abstimmung wurde allerdings klar: Afrika ist in der Ukraine-Frage gespalten. Denn 25 afrikanische Staaten konnten sich nicht dazu entschließen, für die Resolution zu stimmen. Mit Eritrea votierte sogar ein afrikanisches Land explizit dagegen.
Äthiopien, Guinea, Guinea-Bissau, Burkina Faso, Togo, Kamerun, Eswatini und Marokko beschlossen, nicht an der Abstimmung teilzunehmen. Algerien, Uganda, Burundi, die Zentralafrikanische Republik, Mali, Senegal, Äquatorialguinea, Kongo Brazzaville, Sudan, Südsudan, Madagaskar, Mosambik, Angola, Namibia, Simbabwe und Südafrika enthielten sich der Stimme.
Auf der falschen Seite der Geschichte?
Vor allem in Südafrika übten Intellektuelle, Diplomaten und Oppositionspolitiker scharfe Kritik am Kurs der Regierung in Pretoria: "Die Weigerung, diesen Krieg zu verurteilen, stellt Südafrika auf die falsche Seite der Geschichte", sagte etwa Oppositionsführer Herman Mashaba von der Partei Action SA. Es sei offensichtlich, dass Russlands Invasion in der Ukraine eine "Verletzung internationaler Rechtsgrundsätze" sei. Der in Südafrika regierende Afrikanische Nationalkongress (ANC) weigere sich jedoch, dies einzusehen und sich von der Freundschaft zum alten Verbündeten Russland loszusagen.
Präsident Cyril Ramaphosa verteidigte indes die "neutrale Haltung" seiner Regierung. Ramaphosa erhob vielmehr den Vorwurf, der Westen tue nicht genug, um eine friedliche Beilegung des Russland-Ukraine-Konflikts herbeizuführen.
Viele Repräsentanten des ANC, der seit dem Ende der Apartheid ununterbrochen in Südafrika an der Macht ist, seien Russland gegenüber loyal eingestellt, so die Analyse des angolanischen Politologen Olívio N'kilumbu. "Einige sind der Meinung, die ehemalige Befreiungsbewegung sei den Russen noch einiges schuldig, seit den Zeiten des Kalten Krieges, und jetzt müssten wir Afrikaner, angesichts der russischen Invasion die Klappe, halten", sagte er der Deutschen Welle. Die russische Propaganda in vielen Ländern Afrikas, auch und gerade in Südafrika, ziele darauf ab, "die alten Verbindungen der UdSSR mit den Befreiungsbewegungen wiederzubeleben".
Wortgefechte auf Twitter
Die PR des Kreml in Sachen Ukraine in Südafrika wird in einem Wortgefecht deutlich, das sich dort gerade die diplomatischen Vertreter Russlands und Deutschlands liefern. Am Samstag hatte sich die russische Botschaft in Pretoria im Kurzmitteilungsdienst Twitter für die angebliche Unterstützung vieler Südafrikaner für Wladimir Putins Ukraine-Invasion bedankt. Gerechtfertigt wurde der Krieg erneut damit, dass es um einen "Kampf gegen Nazis" in der Ukraine gehe.
Bebildert mit einem Foto von zwei in Eintracht flatternden Flaggen Russlands und Südafrikas schrieb die russische Botschaft: "Liebe Abonnenten, wir haben eine große Anzahl von Solidaritätsbriefen von Südafrikanern erhalten, sowohl von Einzelpersonen als auch von Organisationen. Wir wissen Ihre Unterstützung zu schätzen und sind froh, dass Sie sich entschieden haben, heute zu uns zu stehen, wenn Russland, wie vor 80 Jahren, den Nazismus in der Ukraine bekämpft!" Die russische Botschaft erhielt dazu in kurzer Zeit auf Twitter rund 14.000 "Likes".
Die deutsche Botschaft in Südafrikas Hauptstadt Pretoria reagierte darauf mit einem eigenen Tweet: "Sorry, aber da können wir nicht still bleiben, das ist einfach zu zynisch." Russland metzele in der Ukraine aus Eigennutz Männer, Frauen und Kinder. Das sei definitiv keine Nazi-Bekämpfung. "Schande über jeden, der drauf reinfällt", heißt es in der deutschen Reaktion, die mit dem Nebensatz in Klammern endet: "Leider sind wir eine Art Experten, wenn es um Nazismus geht."
Eine gut doppelte so hohe Zahl von "Likes" der deutschen Erwiderung auf den russischen Tweet signalisiert zwar Zustimmung aus der Twitter-Gemeinde, zugleich rief diese Klarstellung der deutschen Botschaft aber auch zum Teil heftige Reaktionen hervor. Dabei wird nicht nur auf die sowjetische Unterstützung des Befreiungskampfes Südafrikas gegen die Apartheid hingewiesen und das von Präsident Putin konstruierte Narrativ für die Besetzung der Ukraine unterstützt. Es werden in unterschiedlicher Weise auch massive Ressentiments gegen Deutschland zum Ausdruck gebracht.
Ein User schreibt: "Russland setzt sich bloß gegen das Vordringen der NATO auf ukrainisches Gebiet ein. Die Konsequenzen dieser Expansion waren klar und die NATO hat beschlossen, diese zu ignorieren. Dieser Krieg war voraussehbar und vermeidbar." Und ein anderer User fragt: "Was hat Deutschland in Namibia verbrochen?" Ein weiterer: "Was hat Deutschland zwischen 1939 und 1945 angestellt?"
Verbindungen zu Russland aus Sowjetzeiten
Russlands Propaganda ziele auch auf andere Länder, gerade im Südlichen Afrika, deren Befreiungsbewegungen politisch und militärisch von der ehemaligen Sowjetunion unterstützt wurden, sagt Politologe N'Kilumbu. Länder wie Angola, Mosambik, Simbabwe oder Namibia hätten bei der Ukraine-Resolution in der UN-Vollversammlung ebenfalls "mit der historischen Freundschaft im Hinterkopf" abgestimmt.
Hintergrund: Während des Kampfes gegen den Kolonialismus hatte die Sowjetunion auch die Befreiungsbewegungen dieser Staaten, also MPLA, FRELIMO, ZANU und SWAPO, mit Waffen und Trainings unterstützt. "Gerade in Angola und Mosambik hat es seit den Zeiten des Kalten Krieges praktisch keine politischen Veränderungen gegeben. Und deshalb wurde die Nabelschnur, die diese Länder mit Moskau verbindet, nie durchtrennt", so N'Kilumbu.
Die MPLA unterhalte weiterhin enge Beziehungen zu den russischen militärischen, wirtschaftlichen und politischen Eliten. "Auf militärischer Ebene haben wir immer noch russische Ausbilder. Unsere Militärakademie ist russisch beeinflusst."
Russlands Afrika-Offensive: Rohstoffe, Sicherheit und Waffen
In den vergangenen Jahren besann sich die Regierung in Moskau zunehmend auf die alten Verbindungen aus Sowjetzeiten und baute ihre politischen, wirtschaftlichen und vor allem militärischen Beziehungen zu zahlreichen afrikanischen Ländern aus. 2019 richtete Wladimir Putin ein russisch-afrikanisches Gipfeltreffen aus, an dem 43 afrikanische Staats- und Regierungschefs teilnahmen.
Bereits ein Jahr später war Russland zu Afrikas wichtigstem Waffenlieferanten aufgestiegen: Laut einer Auswertung für das Jahr 2020 des Friedensforschungsinstituts SIPRI stammten zwischen 2016 und 2020 rund 30 Prozent aller Waffen, die in die 49 Länder Subsahara-Afrikas exportiert wurden, aus Russland. Dahinter folgen China (20 Prozent), Frankreich (9,5 Prozent) und die USA (5,4 Prozent). Damit stieg der Umfang russischer Waffenlieferungen gegenüber der vorangehenden Fünf-Jahres-Periode um 23 Prozent.
Waffen und Söldner für die Zentralafrikanische Republik
Nirgends ist der russische Einfluss auf dem Kontinent so schnell gewachsen wie in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR). Ihren Anfang nahm die vertiefte Kooperation zwischen Moskau und Bangui im Jahr 2017, als Russland erstmals Waffen in das kriegsgebeutelte Land lieferte: Kalaschnikows, Pistolen, Boden-Luft-Raketen. Seither hat Moskau seine Präsenz schrittweise erhöht.
Im Jahr 2018 wurden russische Militärberater nach Bangui entsandt, deren offizielles Ziel die Ausbildung lokaler Streitkräfte war. Verschiedene russische Unternehmen erhielten Lizenzen für den Abbau von Gold und Diamanten im Land. Präsident Faustin-Archange Touadéra wird inzwischen von Russen bewacht. Sein wichtigster Berater für Sicherheitsfragen ist Waleri Sacharow, ein ehemaliger Mitarbeiter des russischen Inlandgeheimdienstes FSB.
Vor dem Hintergrund sei es nicht verwunderlich, dass am Sonnabend in der Hauptstadt Bangui sogar eine Pro-Russland-Kundgebung stattgefunden habe, so Politologe Olívio N'Kilumbu. Demonstranten hielten Plakate hoch mit Parolen wie "Russland, die ZAR ist mit dir" und "Russland rettet den Donbass".
"Wagner ist in Mali"
Auch im Krisenstaat Mali hat Russland seine Präsenz in der Vergangenheit ausgebaut. Seit Monaten gibt es den Verdacht, dass die neuen Machthaber in Bamako auf die Unterstützung von russischen Söldnern zurückgreifen. Bislang dementiert die Militärjunta diese Vorwürfe. Doch die USA bestärkten wiederholt den Verdacht gegen die malische Regierung. Africom, das Afrika-Kommando des US-Militärs, bestätigte gegenüber der Presse, dass sich derzeit "mehrere hundert" russische Söldner in dem Krisenstaat befänden. "Wagner ist in Mali", verlautbarte Africom.
Die Rede ist von den Kämpfern der Wagner-Truppe, der berüchtigten russischen Söldner-Einheit, die - wo immer sie auch auftaucht - für negative Schlagzeilen sorgt. In der ostukrainischen Region Donbass, in Syrien, und immer öfters auch in Afrika: in Mosambik, im Sudan, der Zentralafrikanischen Republik und jetzt auch in Mali.
Politische, historische und militärische Abhängigkeiten
Viele afrikanische Staaten hätten sich nie aus der Umklammerung Moskaus befreit. Andere seien in den vergangenen Jahren in eine neue, vor allem militärische Abhängigkeit von Moskau geraten, so der guineische Schriftsteller und Intellektuelle Tierno Monénembo im DW-Interview.
Vor diesem Hintergrund sei das Abstimmungsverhalten der 25 afrikanischen Staaten, die sich nicht zu einer Verurteilung Russlands durchringen konnten, sogar verständlich: "In einer solchen Situation ist es für afrikanische Staaten schwer, Stellung zu beziehen. Wenn man klein ist, wenn man schwach ist, wenn man schlecht bewaffnet und unterentwickelt ist, mischt man sich nicht einfach so in einen Konflikt einer militärischen Supermacht ein. Das ist das Geschäft der Großen", sagt Monénembo.
Und der Autor fügt hinzu: "Es gibt ein Fulani-Sprichwort, das besagt: Über den Preis eines Messers muss das Huhn nicht diskutieren. Wer auch immer im Besitz des Messers ist - er ist es, der dem Huhn die Kehle durchschneiden wird."