Russlands Eliten nervös vor "Kreml-Bericht"
22. Januar 2018Eine Woche vor Tag X ergriffen politische Schwergewichte das Wort. Die russische Regierung und der Präsident hätten "längst alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen", sagte der Sprecher des Präsidenten Dmitrij Peskow in einem Interview am Sonntag. Russlands Außenpolitik werde vom Volk mitgetragen und der Versuch, sie "durch Druck auf die Eliten" zu ändern werde scheitern, pflichtete ihm noch am gleichen Tag Außenminister Sergej Lawrow bei.
Eine Zeitbombe im Wahlkampf
Russland rätselt seit Wochen, was im sogenannten "Kreml-Bericht" stehen wird, den die US-Regierung voraussichtlich am 29. Januar dem Kongress vorlegen wird. Auch die Medien heizen die Stimmung.
Als der US-Kongress im Sommer 2017 ein Sanktionsgesetz gegen seine Kontrahenten Russland, Iran und Nordkorea verabschiedet hatte, bauten die Gesetzgeber im Russland-Teil eine Zeitbombe ein. Spätestens 180 Tagen nach der Unterzeichnung soll der Finanzminister der entsprechenden Kongressausschüssen einen detaillierten Bericht übergeben. Diese Frist läuft nun - ob beabsichtigt oder nicht - mitten im russischen Wahlkampf ab. Kremlchef Wladimir Putin dürfte im März zum vierten Mal zum Präsidenten gewählt werden. Der Bericht nimmt die ihm bisher treuen Eliten ins Visier.
Namen, Vermögen, Verwandtschaft
Das Sanktionsgesetz ist Teil der Antwort Washingtons auf Russlands Vorgehen in der Ukraine und - noch viel mehr - auf den Versuch der Einmischung in die US-Präsidentenwahl 2016, was Moskau bestreitet. Der "Kreml-Bericht" dürfte alles übertreffen, was in der Sanktionsspirale zwischen den USA und Russland seit der Krim-Annexion bisher vorkam. Die gesamte russische Elite soll durchleuchtet und penibel aufgelistet werden, je nach Nähe zum Kreml und Vermögenswert. Die Kriterien sind sehr allgemein formuliert. Es geht um Oligarchen, Spitzenstaatsbeamte aller Machtbranchen sowie Chefs von Staatsunternehmen. Es geht um ihr Vermögen, Geschäfte und die Verwandtschaft - Eltern, Ehefrauen, Kinder und Geschwister.
Betroffen sind nicht nur derzeitige Kreml-nahe Eliten, sondern auch ihre ehemaligen Vertreter. Außerdem sollen Verbindungen dieser Russen zu den Top-Branchen der US-Wirtschaft beschrieben und der Effekt möglicher Sanktionen eingeschätzt werden. Der Bericht soll teilweise öffentlich, teilweise geheim sein.
Hinweise von Panama Papers
In Russland wird derweil darüber gerätselt, wie viele und welche Namen auftauchen werden. Einige russische Medien sprechen von rund 50 Oligarchen plus Verwandte, womit die Liste auf 300 Personen anwachsen dürfte. Andere Quellen nennen gar zehntausende Betroffene.
Daniel Fried von der Washingtoner Denkfabrik The Atlantic Council ist der Meinung, die Liste, sollte nicht zu lang werden: "Es geht nicht einfach um wohlhabende Russen, sondern um diejenigen, die einen Draht zu Putin haben", sagt Fried, der früher im als Diplomat im State Department die Sanktionspolitik koordiniert hatte. "Putins innerer Kreis und seine Geschäftsverbindungen werden offen gelegt und Putin kann es nicht stoppen."
Frieds Kollege im Atlantic Council, der US-Wirtschaftsexperte Anders Aslund, glaubt, dass auf der Liste nicht nur die bereits sanktionierten Oligarchen, sondern auch neue Namen stehen werden. Aslund nennt zudem zwei neue Gruppen. Zum einen dürften es Menschen sein, "die für Putin Geld aufbewahren", etwa der Cellist und Freund des Präsidenten Sergej Roldugin aus seiner Zeit in St. Peterburg. Sein bis dahin unbekanntes Milliardenvermögen wurde 2016 durch die "Panama Papers" enthüllt. Zum anderen dürften Kinder einflussreicher Putin-Freunde betroffen sein, die Vermögen und lukrative Posten erhalten hätten, sagt Aslund. Das Ziel des "Kreml-Berichts" sei es, die russischen Eliten zu spalten.
Das Ende einer Ära?
Das Papier werde Unzufriedenheit und Zweifel verbreiten, glaubt die renommierte Moskauer Außenpolitik-Expertin Lilia Schewzowa. Ein Aufstand der Oligarchen gegen Putin sei jedoch nicht zu erwarten. Der "Kreml-Bericht" beende "eine ganze geopolitische Ära der letzten 20 Jahre", wobei russische Eliten gleichzeitig "in den Westen integriert und gegen den Westen" gewesen seien. "Dieses Model bestand darin, Geld in Russland zu machen und es im Westen mit Hilfe von Lobbystrukturen auszugeben", sagt Schewzowa. Das werde nun schwieriger. Der Bericht sei die Grundlage für eine neue US-Abschreckungspolitik gegenüber Russland.
Obwohl die Erwähnung im "Kreml-Bericht" keine Sanktionen vorsieht, dürfte er für Schwierigkeiten sorgen, sagt Daniel Fried. "Ich glaube, der Bericht wird die Wahrscheinlichkeit erhöhen, in der Zukunft auf die Liste gesetzt zu werden. Das wird auch zu einem Image-Problem führen, wenn westliche Unternehmen und Banken mit diesen Leuten weiter zusammenarbeiten werden."
Das Dilemma russischer Eliten
Wie ernst Moskau diese Entwicklung wahrnimmt, macht Anders Alsund unter anderem daran fest, dass sich Putin im vergangenen Jahr zweimal mit Top-Geschäftsleuten getroffen habe, im September und Dezember, statt nur einmal Ende des Jahres wie sonst. Außerdem sei die erste Runde zahlreicher als normalerweise gewesen. Ein weiterer Hinweis über die Nervosität der Eliten sei der jüngste explosionsartige Anstieg der Aufenthaltsanträge für russische Geschäftsleute und deren Familienangehörige im EU-Land Malta.
Ein Teil der russischen Eliten scheint vor einem Dilemma zu stehen: Geld aus dem Ausland nach Russland zu holen und es vor Sanktionen zu schützen oder umgekehrt, die Flucht nach Westen zu ergreifen. Beides scheint der Fall zu sein, so die Einschätzung in russischen und westlichen Geschäftskreisen.
In Wirklichkeit sind nicht nur Russlands Eliten von neuen möglichen US-Sanktionen betroffen. Washington schließt nicht aus, unter anderem stärker gegen russische Waffenhersteller vorzugehen. Eine mächtige Bank, die Alpha-Bank, kündigte vor kurzem an, aus Rücksicht auf Sanktionen keine Geschäfte mehr mit solchen Unternehmen machen zu wollen. Die russische Regierung ist Medienberichten zufolge gerade dabei, eine neue staatliche Bank zu gründen, um die staatliche Waffenindustrie vor Sanktionen zu schützen. Das sind wohl die Risiken und Gegenmaßnahmen, die Putins Sprecher Peskow meinte.