Russland will Sicherheitsgarantien vom Westen
17. Dezember 2021Inmitten der Spannungen um die Ukraine hat Russland weitreichende Forderungen an die USA und die NATO präsentiert. Die Regierung in Moskau veröffentlichte Entwürfe für zwei Abkommen mit dem Ziel, eine Osterweiterung der Allianz sowie die Errichtung von US-Militärstützpunkten in Staaten der ehemaligen sowjetischen Machtsphäre zu untersagen. Hintergrund sind Befürchtungen des Westens, die russischen Streitkräfte könnten in die Ukraine einmarschieren.
Der russische Vize-Außenminister Sergej Rjabkow sagte, die Vereinigten Staaten sollten den Vorstoß seiner Regierung ernst nehmen. Die russische Regierung sei nicht willens, die gegenwärtige Situation länger hinzunehmen. Russland und der Westen müssten ihre Beziehungen von Grund auf neu aufbauen. Seine Regierung sei bereit, ab sofort an einem neutralen Ort mit den USA zu verhandeln. Man habe Washington ein Treffen in Genf vorgeschlagen. Es sei entscheidend, dass die von Russland geforderten Sicherheitsgarantien "Rechtskraft" hätten, betonte Rjabkow.
Kühle Reaktion aus Washington
Die US-Regierung zeigte sich grundsätzlich dialogbereit, lehnte zugleich aber einige Forderungen Russlands strikt ab. "Wir sind bereit, darüber zu sprechen", sagte eine US-Regierungsvertreterin. Die Führung in Moskau wisse jedoch, dass einige ihrer Forderungen "inakzeptabel" seien. Die USA würden Russland nach Konsultationen mit ihren EU-Verbündeten "kommende Woche mit einem konkreteren Vorschlag" antworten.
Die Sprecherin von US-Präsident Joe Biden, Jen Psaki, machte bereits deutlich: "Es wird keine Gespräche über die Sicherheit Europas ohne unsere europäischen Verbündeten und Partner geben." Psaki fügte hinzu: "Wir werden nicht die grundlegenden Prinzipien in Frage stellen, auf denen die europäische Sicherheit aufgebaut ist, einschließlich des Rechts aller Länder, ohne Einfluss von außen über ihre eigene Zukunft und Außenpolitik zu entscheiden."
In dem Entwurf für ein Sicherheitsabkommen mit den USA fordert Russland die Regierung in Washington dazu auf, den Beitritt ehemaliger Sowjetrepubliken zur NATO zu verhindern. Moskau verlangt von den USA außerdem die Zusage, dass diese keine Militärstützpunkte in früheren Sowjetrepubliken errichten, die nicht der NATO angehören. Nach dem Willen Russlands sollen die USA auf jegliche militärische Zusammenarbeit mit diesen Ländern verzichten. Während des Militäreinsatzes in Afghanistan spielten Stützpunkte in den Ex-Sowjetrepubliken Usbekistan und Kirgistan für die USA eine zentrale Rolle.
Keine Stationierung von Raketen
In dem Entwurf, der sich an die NATO richtet, ruft Russland die Mitglieder des Militärbündnisses auf, sich dazu zu verpflichten, auf eine "weitere Erweiterung zu verzichten" und die Stationierung von Raketen zu begrenzen. Die NATO-Staaten sollen auch zusagen, "keine Militäreinsätze auf dem Territorium der Ukraine und in anderen Ländern Osteuropas, des Südkaukasus und Zentralasiens" durchzuführen. Eine weitere Osterweiterung der Allianz gilt als rotes Tuch für Moskau. Rjabkow unterstrich in diesem Zusammenhang die Forderung, dass die NATO ihre Truppen auf die Positionen von 1997 zurückziehen müsse.
Die NATO zeigt sich im Streit mit Russland gesprächsbereit, stellt aber ihrerseits Bedingungen. Die Alliierten hätten deutlich gemacht, dass sie bereit seien, an der Stärkung vertrauensbildender Maßnahmen zu arbeiten, wenn Russland konkrete Schritte zum Abbau von Spannungen unternehme, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel. "Für uns ist klar, dass jeder Dialog mit Russland auch die Besorgnis der NATO bezüglich Russlands Handeln thematisieren muss", erklärte der Norweger.
Der russische Experte Konstantin Kalatschew bezeichnete die russischen Forderungen als "unrealistisch". "Die Amerikaner werden sie wie Propaganda und einen PR-Coup wahrnehmen." Für die russische Regierung sei es wichtig zu zeigen, "dass die Bedrohung nicht von ihr ausgeht und dass sie keine Absicht hat, die Ukraine anzugreifen oder einen Krieg mit den USA anzufangen".
Vergleich mit der Monroe-Doktrin
Der Russlandexperte Sam Greene vom King's College London verglich die Forderungen mit der sogenannten Monroe-Doktrin der USA aus dem 19. Jahrhundert, in der Präsident James Monroe den Europäern eine Einmischung in Nord- und Südamerika verbat. Russlands Präsident Wladimir Putin ziehe eine Linie um Staaten der ehemaligen Sowjetunion und stelle ein Schild mit der Aufschrift "Kein Zutritt" auf, schrieb Greene auf Twitter. Die Forderungen seien daher als Erklärung und nicht als Abkommen gedacht. "Das heißt aber nicht notwendigerweise, dass dies ein Vorspiel zu einem Krieg ist."
Angesichts eines massiven russischen Truppenaufmarschs an der Grenze zur Ukraine mehren sich die Sorgen, Moskau könnte das Nachbarland angreifen. Die G7 und die EU drohen Russland für diesen Fall mit "massiven Konsequenzen". Im Gegenzug wirft der Kreml der Ukraine vor, sich vom Westen militärisch ausrüsten zu lassen, und prangert Militärmanöver der NATO-Länder nahe der russischen Grenzen an.
Russland hatte bereits in der vergangenen Woche verlangt, die Beitrittsperspektiven der Ukraine und Georgiens zur westlichen Militärallianz ad acta zu legen. Ein NATO-Beitritt beider Länder steht derzeit zwar nicht zur Debatte, insbesondere die Ukraine kooperiert aber auch militärisch eng mit dem Westen, besonders mit den USA.
Putin drückt aufs Tempo
Am Dienstag hatte Putin die NATO und die USA zu "sofortigen" Verhandlungen über "rechtliche Garantien für die Sicherheit unseres Landes" aufgerufen. Eine Osterweiterung des Militärbündnisses sowie die Stationierung von Waffensystemen in der Ukraine und anderen Nachbarstaaten Russlands müsse ausgeschlossen werden. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg wies die Forderung Russlands, einen möglichen Beitritt der Ukraine zu dem Militärbündnis auszuschließen, am Donnerstag kategorisch zurück und betonte die enge Partnerschaft mit Kiew.
kle/jj (afp, rtr, dpa)