Russland stuft Memorial als "Agent" ein
4. Oktober 2016Das Justizministerium in Moskau sah kritische Äußerungen zu den russischen Behörden als Beweis, dass Memorial International "politisch aktiv" sei. Dem Schreiben des russischen Justizministeriums zufolge hatte Memorial russische Gesetze kritisiert, außerdem hatte Russlands wichtigste Menschenrechtsorganisation von einer russischen "Aggression" im Ukraine-Konflikt gesprochen. Zudem werde Memorial aus dem Ausland finanziert.
Ein international kritisiertes Gesetz verpflichtet seit 2012 Nichtregierungsorganisationen (NGOs), sich als "ausländische Agenten"zu kennzeichnen, wenn sie Geld aus dem Ausland erhalten. Viele werten dies als Stigma, das ihre Arbeit behindert.
Kritik aus dem In- und Ausland
Die Bürgerrechtlerin Ljudmilla Alexejewa von der Moskauer Helsinki Gruppe kritisierte, der Schritt zeige die Einstellung der Regierung zur Zivilgesellschaft. Nur mit dem Segen der Behörden gegründete Organisationen müssen sich nicht fürchten, als Agenten gebrandmarkt zu werden, sagte sie der Agentur Interfax zufolge.
Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), sagte, die Einstufung werfe ein "sehr problematisches Schlaglicht" auf die Möglichkeiten von Organisationen. Die Grünen-Außenpolitikerin Marieluise Beck rief die russische Justiz auf, die Entscheidung des Justizministeriums zu revidieren. Auch der Generalsekretär des Europarates, Thorbjorn Jagland, kritisierte das Vorgehen Russlands als "zutiefst enttäuschend". Nichtregierungsorganisationen seien "unverzichtbar in jeder echten Demokratie", insbesondere solche, die im Bereich der politischen Bildung arbeiteten, so Jagland.
Nicht der erste Schritt gegen Memorial
Memorial wurde 1989 von dem Dissidenten und Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow gegründet. Die Organisation befasst sich mit der Unterdrückung zu Sowjetzeiten und der Verteidigung der Menschenrechte in den früheren Sowjetstaaten. Sechs regionale Außenstellen von Memorial waren zuvor bereits als "Agenten" gelistet worden, darunter die Vertretungen in Moskau und in St. Petersburg. Die Dachorganisation mit ihren rund 60 Stellen in früheren Sowjetstaaten war bislang aber verschont geblieben.
Mehr als 140 Organisationen sind in Russland bereits als "ausländische Agenten" eingestuft, darunter vor allem solche, die sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzen. Mehrere Organisationen mussten ihre Arbeit einstellen, andere kämpfen aufgrund von Strafzahlungen mit finanziellen Problemen.
fab/stu (dpa, afp, kna)