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Russische Physiker und das Problem mit dem US-Visum

Daniil Sotnikov
16. Juni 2024

Zu Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine wollten die USA Wissenschaftlern aus Russland die Einreise erleichtern. Doch russische Physiker berichten von hohen Hürden.

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Ein Visum zur Einreise in die USA in einem Pass
Oft heiß begehrt, aber nicht immer leicht zu bekommen: ein Visum zur Einreise in die USABild: Dionis11930/Pond5 Images/IMAGO

Nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine verschärften die Behörden in Russland Repressionen gegen Wissenschaftler. Häufig wurden vor allem Physiker wegen Hochverrats inhaftiert, wenn sie an internationalen Konferenzen teilnahmen oder für ausländische Fachzeitschriften schrieben.

Am Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine im Februar 2022 veröffentlichten russische Forschende einen offenen Brief, in dem sie den Angriffskrieg verurteilten. Viele der rund 9000 Unterzeichnenden sind nun im Visier des russischen Geheimdienstes. Für sie wäre es eigentlich die beste Lösung, Russland zu verlassen.

Fast zur gleichen Zeit schlug das Weiße Haus dem US-Kongress vor, die Einreise russischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in die USA zu erleichtern. Die Visumspflicht sollte gelockert und Arbeitsgenehmigungen beschleunigt erteilt werden. Das sollte Forschende anlocken und das "Innovationspotential" des Kremls bei der Kriegsführung untergraben.

Doch die Gesetzinitiative scheiterte am Widerstand der Republikaner im Kongress. So berichtet es ein russischer Wissenschaftler, der zu seiner eigenen Sicherheit anonym bleiben will. Seine Informationen stammen von Kollegen an führenden Universitäten in den USA.  

Einreise nur, wenn auch die Ausreise garantiert ist

Es lässt sich mit keiner offiziellen Statistik belegen, aber zahlreiche Berichte deuten darauf hin: Die Einreise in die USA ist für russische Physiker nach dem Überfall auf die Ukraine nahezu unmöglich geworden.

Michail Feigelman vom Landau-Institut für Theoretische Physik bei Moskau ist ein Beispiel. Er reiste im Frühjahr 2022 nach Warschau. Dort beantragte er im US-Konsulat ein Visum. Dafür konnte er eine Einladung seiner in den USA lebenden Tochter vorlegen. Wie fast alle Physiker in vergleichbaren Fällen wurde er gebeten, eigene wissenschaftliche Publikationen einzuschicken. Dieses Verfahren kannte Feigelman seit vielen Jahren - er hatte dann immer innerhalb weniger Wochen ein Visum bekommen. Doch nun lief es anders.

Generalansicht des US-Kapitols in Washington DC
Hier hätten die Kongressmitglieder etwas für russische Wissenschaftler tun können: Kapitol in Washington, DCBild: imago/Mario Aurich

"Dieses Mal hat man mich erst nach sieben Monaten informiert, dass mein Visum abgelehnt wurde. Ich hätte nicht nachgewiesen, dass ich die USA rechtzeitig wieder verlassen würde." Früher war Feigelman im Konsulat ausschließlich zu seiner wissenschaftlichen Arbeit befragt worden sei, wie er betont. "Es wurde nie nach Nachweisen für meine Rückkehr nach Russland gefragt."

Wie Feigelman erging es auch anderen. So etwa einem jungen Wissenschaftler, der nach Abschluss seines Graduiertenstudiums im Sommer 2022 eine Einladung zu einem weiterführenden Studium am California Institute of Technology (Caltech) in Pasadena annahm. Zusammen mit seiner Frau beantragte er ein Visum, erhielt aber zwei Jahre lang keine Antwort. Das Visum für seine Frau wurde hingegen gewährt.

Einem weiteren Kollegen von Feigelman, der seit über 15 Jahren in Deutschland arbeitet, wurde ein Visum mit der Begründung verweigert, in seinem Fall bestehe die Gefahr von Wissenschaftsspionage. Er und die meisten Forschenden wollen anonym bleiben - viele Angaben lassen sich darum nicht konkret überprüfen. Aber die Berichte ähneln sich.

US-Sanktionen gegen russische Universitäten

Ein weiteres Problem sind demnach die Sanktionen gegen Russland. Die USA haben derzeit mehr als 200 russische Universitäten mit Sanktionen belegt. Betroffen sind auch etliche Fachbereiche und Institute für Physik, weil sie nach Ansicht der US-Regierung an militärischer Forschung beteiligt sein könnten.

Im "Forum Winskogo", einem russischen Reiseportal im Internet, berichten User, die USA hätten noch im Jahr 2018 Visa für Wissenschaftler ausgestellt, die für russische Institute im militärisch-industriellen Bereich tätig waren. Seit Beginn der russischen Invasion der Ukraine klagen immer mehr Nutzer des Forums, dass ihre Visaanträge abgelehnt worden seien. Eine häufige Begründung: Der Arbeitgeber des Antragstellers unterliege US-Sanktionen. Viele Antragsteller berichten, sie seien bei den Interviews im Konsulat gefragt worden, ob ihnen die Sanktionen bekannt seien. Die Überprüfungen der US-Behörden hätten sich über Monate, sogar Jahre hingezogen.

Ein Schild mit der Aufschrift "Department of State" vor dem Gebäude des US-Außenministeriums in Washington bei Nacht
Angespannte Beziehungen der USA zu Russland: Gebäude des US-Außenministeriums in Washington, DCBild: Nicholas Kamm/AFP/Getty Images

Diese Entwicklung spiegeln auch die Zahlen des US-Außenministeriums, nach denen im Jahr 2023 fast 40 Prozent aller Visaanträge von Russinnen und Russen abgelehnt wurden. Im Jahr 2022 waren es 26 Prozent und in den Jahren vor dem Krieg zwischen 15 und 17 Prozent der Visaanträge. Ob Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler besonders betroffen sind, lässt sich nicht ermitteln - das werde statistisch nicht erfasst, teilte das US-Außenministerium auf DW-Anfrage mit.

Eine träge bürokratische Maschinerie - und die EU als Ausweg

Es gibt auch russische Physiker, die hinter den Visumsproblemen keine Absicht vermuten, sondern lediglich überlastete Behörden. Smirnow - auch er will seinen richtigen Namen nicht nennen - reist seit über zehn Jahren beruflich in die USA, wie er sagt, und arbeitet dort mit vielen Institutionen zusammen. Im Dezember 2023 habe er ein Visum für Privat- oder Geschäftsreisen für sich und seine Frau beantragt. Seine Frau habe ihre Einreiseerlaubnis schnell bekommen - er warte immer noch auf eine Antwort. So etwas sei ihm noch nie passiert. "Das ist nicht gegen uns gerichtet", so Smirnows private Einschätzung. "Es handelt sich nur um eine langsame bürokratische Maschinerie."

Mehr als ein Dutzend Personen sitzen an einem ovalen Tisch mit dunkler Holzverkleidung, die sich nur wenig von der gleichartigen Wandvertäfelung abhebt. Am Kopf des Tisches sitzt mit etwas Abstand zu den anderen Personen der russische Ministerpräsident, flankiert von der russischen Flagge
Das Moskauer Institut für Physik und Technologie (hier mit dem damaligen russischen Ministerpräsidenten Dmitrij Medwedew, 2019)Bild: Alexander Astafyev/Russian Government Press Office/TASS/IMAGO

Manchmal kann es auch plötzlich ganz schnell gehen - wenn sich renommierte US-amerikanische Kollegen für russische Wissenschaftler einsetzen. So in dem Fall eines Doktoranden des Moskauer Instituts für Physik und Technologie. Er war Anfang 2022 von einer führenden Universität in den USA angenommen worden, beantragte ein US-Visum und wartete sechs Monate vergebens auf eine Antwort. Als dann in Russland die Mobilmachung begann, baten europäische Kollegen einen bekannten US-amerikanischen Nobelpreisträger (der seinen Namen ebenfalls nicht öffentlich nennen möchte) um Unterstützung. Am nächsten Tag wurde der Doktorand informiert, sein Visum sei fertig.

Mehrere Gesprächspartner der DW, die mangels Visum nicht zum Arbeiten oder Studieren in die USA einreisen konnten, zogen schließlich in die EU. "Meinen Freunden aus der Wissenschaft ist klar, dass es jetzt praktisch unmöglich ist, in die USA zu kommen", sagt ein ehemaliger Mitarbeiter des Moskauer Instituts für Physik und Technologie der DW. Er selbst hat sich mittlerweile in Westeuropa niedergelassen.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

Ukraine-Krieg: Wenn Forscherinnen fliehen müssen