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Politik

Rumäniens "Sunday for Future"

27. Mai 2019

Wer wählen will, braucht einen langen Atem und gute Kondition - zumindest als Auslandsrumäne bei der Europawahl. Dana Alexandra Scherle über ein Erfolgserlebnis der besonderen Art in Bonn.

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DW-Redakteurin Dana Alexandra Scherle beim rumänischen Konsulat in Bonn
Ein Selfie für die Demokratie: DW-Redakteurin Dana Alexandra Scherle vor dem rumänischen Konsulat in BonnBild: DW/D. A. Scherle

"Hey, wie cool, dass ihr alle gekommen seid, Leute!" Ein junger Mann mit blauem Baseball-Käppi und Muskelshirt begrüßt die Unbekannten in der Schlange vor dem rumänischen Konsulat in Bonn wie alte Freunde. "Heute stürzen wir die PSD!" Hunderte Menschen, die schon morgens um zehn in der Schlange vor dem rumänischen Konsulat in Bonn stehen, klatschen begeistert - auch sie haben genug von der sozial-demokratischen Regierungspartei Rumäniens, die schon mehrfach von Brüssel kritisiert wurde für ihre Versuche, das Korruptionsstrafrecht zu lockern. Neben der Europa-Wahl stimmten die Rumänen am Sonntag auch in einem Referendum ab, ob sie für ein Verbot der Begnadigung und Amnestie bei Korruptionsdelikten sind und für ein Verbot von Änderungen der Justizgesetze per Eilverfahren.                     

"Wenn es in Rumänien nicht so viel Korruption gäbe, ginge es dem Land auch wirtschaftlich besser. Dann müssten wir nicht hier in Deutschland schuften, um über die Runden zu kommen, sondern wären zuhause", sagt der junge Mann mit dem Baseball-Käppi. Ein bärtiger Mann um die 40 nickt: "Ich habe Glück, ich konnte meine Frau und meine Kinder mitnehmen nach Deutschland, aber viele meiner Arbeitskollegen können das nicht. Sie vermissen ihre Familien und sind immer sehr traurig." 

"Ich habe meine Kinder seit Monaten nicht mehr gesehen"

Eine junge Mutter nähert sich mit ihrem Baby der Schlange, die innerhalb von Minuten um mehrere hundert Meter gewachsen war. "Kommen Sie, wir lassen Sie vor, gar kein Problem", sagt eine elegant gekleidete ältere Dame mit verdunkelter Sonnenbrille. Mehrere rumänische Erntehelfer, die mit der Bahn aus den umliegenden Dörfern nach Bonn gekommen waren, nicken freundlich und machen der Mutter Platz. "Ich habe meine Kinder seit Monaten nicht mehr gesehen", sagt einer von ihnen, und zeigt den anderen Fotos der Familie auf seinem Handy. Ein anderer sagt nachdenklich: "Nach Rumänien will ich eigentlich nicht zurück, mein Leben ist jetzt hier in Deutschland, schon seit vielen Jahren. Aber ich möchte für Rumänien abstimmen, damit meine Freunde und deren Kinder es irgendwann besser haben."

Auch ich lebe seit 2001 in Deutschland, habe zwei Muttersprachen und zwei Pässe. Für mich als überzeugte Europäerin ist es kein Widerspruch, einen rumänischen und einen deutschen Pass zu haben und mich in zwei EU-Ländern zuhause zu fühlen. Identität ist für mich keine Frage von "entweder oder", sondern eher ein "sowohl als auch". Und gerade als Europäerin ist es mir besonders wichtig, bei dieser Europawahl für Rumänien abzustimmen: für einen politischen Neuanfang und gegen den nationalistischen, populistischen und anti-europäischen Kurs der regierenden PSD.         

Unsere Eltern standen Schlange, um Milch zu kaufen

Als ich am Sonntagmorgen zum Konsulat aufbrach, um zu wählen, hatte ich ein dickes Buch eingepackt. Dass es am Ende stolze zwei Stunden Wartezeit würden, hätte ich trotzdem nicht erwartet. Was für eine Ironie: Als meine Eltern jung waren, während der kommunistischen Diktatur Ceausescus, musste man in Rumänien stundenlang Schlange stehen, um so banale Waren wie Milch oder Zucker zu kaufen. Heute stehen rumänische Staatsbürger im Ausland Schlange, um wählen zu können - ein elementares demokratisches Recht, von dem unsere Eltern während der Diktatur nur träumen konnten.

Rumänien | Europawahlen
Wahlkampf des Bündnisses Allianz 2020 USR-PLUS, für das mehr als 42 Prozent der Auslandsrumänen gestimmt habenBild: picture-alliance/dpa/AP Photo/V. Ghirda

Wir sind es auch unseren Eltern schuldig, die Geduld nicht zu verlieren und zu wählen - egal, wie sehr die Machthaber dies durch schlechte Organisation und zu wenige Wahllokale im Ausland gerne verhindern würden. Rumänische Politiker der Regierungspartei hatten die "Auslandsrumänen" schon mehrmals pauschal beschimpft, ganz gleich ob Krankenpfleger, Erdbeerpflücker oder IT-Experte. Kein Wunder, dass die PSD nicht besonders beliebt ist in der Diaspora - die überwältigende Mehrheit der Rumänen im Ausland hat auch diesmal für die Opposition gestimmt. Das war schon 2014 so, bei der letzten rumänischen Präsidentschaftswahl. Damals hätte ich einen Wälzer wie "Krieg und Frieden" zum Lesen einpacken sollen, so lang war die Wartezeit. Und eine Thermoskanne mit heißem Tee. Die schlimme Erkältung, die mich damals nach fünf Stunden Wartezeit im Novemberregen noch über Wochen begleitete, blieb mir jetzt - im Mai - immerhin erspart.      

Ein Geschenk für meine Nichte 

Zwei Stunden Wartezeit also. Meine Freundin, die in Berlin lebt, wartete am Sonntagabend drei Stunden lang vor der Rumänischen Botschaft. Obwohl die Wahllokale im Ausland um 21 Uhr schlossen, öffnete der Botschafter in Berlin spontan die Tore - meine Freundin schaffte es, noch kurz nach 22 Uhr zu wählen. In Offenbach bei Frankfurt standen die rumänischen Wähler so lange an, dass die Mitarbeiter des Roten Kreuzes kostenlos Wasser verteilten - auch das ist europäische Solidarität.

Meine Stimme für ein pro-europäisches, demokratisches Rumänien ist mein erstes Geschenk für meine Nichte Petra. Sie wird im Sommer in Sibiu (Hermannstadt) geboren, der Stadt, in der auch ich aufgewachsen bin. Eines Tages werde ich ihr von unserem "Sunday for Future" erzählen. Und sie wird sich über diese seltsamen Zeiten wundern, in denen man Schlange stehen musste, um überhaupt zu wählen. Am allermeisten wünsche ich mir, dass die Massenemigration für ihre Generation gar kein Thema mehr sein wird. Und sie mich eines Tages erstaunt fragt: "Wieso sind denn damals, als du jung warst, so viele Menschen aus Rumänien weggegangen?"         

Porträt einer lächelnden Frau mit Brille und langen braunen Haaren
Dana Alexandra Scherle Redakteur und Autor der DW Programs for Europe