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Politik

Streit um deutsche Kriegsdenkmäler

15. November 2017

Wie sollen wir deutscher Soldaten gedenken, die im Ersten und Zweiten Weltkrieg gefallen sind? Waren sie Helden oder Opfer, vielleicht beides? Die Frage beschäftigt inzwischen ein Gericht.

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Deutschland Kriegerdenkmal in Waldkirch | Graffiti Protest
Bild: picture-alliance/dpa/R. Haid

Kriegerdenkmäler gibt es in fast jeder deutschen Kleinstadt. Insgesamt sind es mehr als 100.000. Meistens sind sie sich selbst überlassen. Der Zahn der Zeit frisst an ihnen, der Stein bröckelt, Moos überzieht die Obelisken und Granitkreuze. Die Denkmäler scheinen nicht mehr in eine Zeit zu passen, die im siebten Jahrzehnt nur noch Frieden kennt. An die Namen, die darauf zu lesen sind, erinnert sich fast niemand mehr. Ins Auge stechen allein die großen Lettern, die Inschriften. Sie erklären, warum die Monumente überhaupt stehen. Doch sie irritieren. Wegen ihrer Sprache, die nicht mehr die heutige ist, und wegen der Pathetik, die uns fremd vorkommt.

"Für Deutschlands Ruhm und Ehre" ist so ein Satz, der häufig auf Mahnmalen des Ersten Weltkriegs zu lesen ist. Nach 1945 wurden kaum noch neue Kriegerdenkmäler eingeweiht. Die vorhandenen wurden einfach mit neuen gefallenen Soldatennamen ergänzt. Und die Inschriften ergänzte man um die Zusätze "…Gedenken an alle Opfer des Krieges", oder "…an alle Opfer der Gewaltherrschaft". Ein Skandal, findet Wolfram Kastner. Der 70-Jährige bekämpft seit Jahren den seiner Meinung nach immer noch ungebrochenen Militarismus in der deutschen Gesellschaft. Kastner ist Künstler, Aktionskünstler. Er hat ein Denkmal verändert. Ob er das durfte, ist nur die eine Frage, die andere lautet: Warum hat er Hand an das Monument gelegt?

Der Fall Wolfram Kastner

Vor einem Bundeswehrgebäude in München hatte der Künstler im Februar 2015 ein Soldatenmahnmal entscheidend in seiner Aussage korrigiert. Durch Austausch von einigen Buchstaben hatte er aus "..für Deutschlands Ruhm und Ehre" eine gänzlich andere Botschaft konstruiert: "Sie starben für Deutschlands Unehre". Das Monument wurde 1922 errichtet, 1945 zerstört und 1962 wiedererrichtet - von der Bundeswehr.

Kastners Tat kam nicht ohne Vorwarnung. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen hatte er zuvor gebeten, die Bundeswehr möge ein Zusatzschild mit einem erklärenden Text hinzufügen. Berlin lehnte ab, erhielt aber per Post die entfernten Buchstaben von Kastner. Kurz darauf hatte das Ministerium den alten Ruhm-und-Ehre-Satz wieder einarbeiten lassen. Jetzt reagierte Kastner. Die vom Ministerium verwehrte Zusatztafel montierte nun er an das Denkmal: "Wir trauern um alle, die im Weltkrieg 1914-1918 ihr Leben verloren", hatte er formuliert.

Deutschland Aktionskünstler Wolfram Kastner angeklagt in München
Sieht immer noch militärischen Geist an deutschen Soldaten-Denkmälern: Wolfram Kastner Bild: picture-alliance/dpa

Die Tafel ließ nun wiederum die Bundeswehr entfernen. Für die zurückgebliebenen Spuren von Klebstoffen am Denkmal stellte sie Kastner eine Reinigungsrechnung aus. Über 448,78 Euro. Das Amtsgericht München gab der Bundeswehr recht und verurteilte den Künstler wegen Sachbeschädigung und Störung der Totenruhe zur Zahlung.

Ein symbolisches Urteil unter Vorbehalt, denn Kastner wurde nur verwarnt. Das war dem Künstler zu viel, der Bundeswehr zu wenig. Beide legten Berufung ein. Eine Provinzposse? Vielleicht, aber Kastners "Kunst am Denkmal" ist hochpolitisch aufgeladen.

Kontinuität des Militarismus?

Weil Kastners "Aktion am Denkmal" nach dem Amtsgerichtsurteil publik wurde, kassierte er obendrein noch einige Strafanzeigen. Tenor: Wo kommen wir denn hin, wenn jeder Denkmäler verändert. Oder: Denkmalschändung, und der Staat schaut zu.

Was der Künstler damit sagen will, ist dies: Deutschland pflege nach wie vor eine ungebrochene Kontinuität vom Militarismus zum Nazismus. Kastner hält den Ruhm-und-Ehre-Satz für eine "historische Verantwortungslosigkeit", weil die Bundeswehr heute noch einen mörderischen Krieg damit verbinde. Vor allem, weil der Nationalsozialismus die Bedeutung dieses Satzes auch noch "verbrecherisch" aufgeladen habe. Kurz: Für ihn ist der "militärische Geist von damals noch nicht überwunden".

Im Ausland wird der Kriegstoten anders gedacht

Vergleiche mit dem militärischen Totenandenken in anderen Ländern weisen zum Teil deutliche Unterschiede zur deutschen Heldenverehrungspraxis auf. Während in Frankreich, Großbritannien oder den USA der unbekannte Soldat nach 1918 betrauert wurde, tobte in Deutschland ein erbitterter Kampf darüber, ob eher der Opfer gedacht oder mehr die Helden im Vordergrund stehen sollten. Und auch in der Nazizeit stand mehr der Soldat im Fokus öffentlicher Beachtung. Denkmalpflege war Teil der inneren Mobilmachung, urteilt der Zeithistoriker Martin Sabrow vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Ganz anders die Tradition in England und Frankreich. Dort stellte man den heimkehrenden Soldaten in den Mittelpunkt des Gedenkens, der einfach seine Pflicht getan habe. Das Trennende ist inzwischen - fast 100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs - durch das Verbindende des Opfergedenkens abgelöst worden, so Sabrow.

Historiker Martin Sabrow
Historiker Sabrow: Denkmalpflege als Teil innerer MobilmachungBild: picture-alliance/dpa/ZZF/J. Liebe

Letztes Wort: Urteil Landgericht München

Für Wolfram Kastner noch nicht genug. Er will seine Denkmalsmanipulation als Aktion zum Nachdenken verstanden wissen. Kastners demontierte Zusatztafel liegt immer noch beim Standortkommandanten der Bundeswehr - seit zwei Jahren. Abholen darf er sie nicht. Er hat Hausverbot. Der Fall liegt derweil beim Landgericht München. Am Donnerstag (16.11.) soll ein Urteil ergehen. 

 

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Volker Wagener Autor für DW Programs for Europe