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Was hat Armut mit Abstammung zu tun?

Kay-Alexander Scholz14. Juli 2014

Die politische und mediale Debatte über Armutseinwanderer aus Balkanländer hat nach Ansicht des Zentralrats der Deutschen Sinti und Roma viel Porzellan zerschlagen. Eine Medienstudie bestätigt das.

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Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma (Foto: DW/Padori)
Bild: DW/S. Padori-Klenke

"Ja, wir haben viel erreicht", sagte Romani Rose (Bild) in Berlin rückblickend auf 30 Jahre Arbeit gegen Antiziganismus in Deutschland. Seit 1982 führt Rose den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Vor 30 Jahre habe er sich nicht vorstellen können, was jetzt erreicht sei: Zum Beispiel habe er gerade wieder einen Termin mit der Kanzlerin gehabt. Es gibt ein Mahnmal für die Sinti-und-Roma-Opfer des Nationalsozialismus. Das Bundesland Schleswig-Holstein hat den Schutz seiner Minderheit in die Landesverfassung aufgenommen. Aber dennoch, unterstrich Rose eindrücklich, habe neben dieser positiven Gesamt-Entwicklung in manchen "öffentlichen Debatten die Schärfe der Stigmatisierung zugenommen".

Gemeint ist vor allem die sogenannte Debatte über Armutseinwanderung in Deutschland. In den vergangenen Jahren sind die Asylbewerberzahlen aus Ländern Südosteuropas stark gestiegen. Im November 2013 hatten die Bürgermeister von mehr als einem Dutzend Städte in einem gemeinsamen Brief Hilfe von der Bundesregierung gefordert. Sie sahen sich durch die Zuwanderung vieler armer Menschen aus anderen EU-Staaten finanziell überfordert.

"Für ein paar Stimmen am rechten Rand"

Markus End: Autor der Studie über Antiziganismus in deutschen Medien (Foto: DW/Padori)
Markus End - Autor der Studie über Antiziganismus in deutschen MedienBild: DW/S. Padori-Klenke

In der öffentlichen Debatte seien diese Armutseinwanderer häufig mit Sinti und Roma gleichgesetzt worden, kritisierte Markus End, Autor der nun vorgestellten Studie "Antiziganismus in der deutschen Öffentlichkeit - Strategien und Mechanismen medialer Kommunikation". Diese Gleichsetzung sei falsch, weil zu wenig differenziert.

Es folgte der Slogan "Wer betrügt, der fliegt", mit dem die bayerische CSU zu Jahresbeginn - mitten im Kommunalwahlkampf - das Thema politisch aufgriff. Das sei "Populismus gewesen, nur für ein paar Stimmen am rechten Rand", kritisierte Rose. Damit habe man sich zudem auf eine gefährliche Diskussion eingelassen. Denn EU-weit würden derzeit rechtsextreme Parteien, besonders sichtbar in Ungarn, mit Antiziganismus auf Stimmenfang gehen. Er erwarte von den deutschen Parteien, sich diesem Trend zu widersetzen. Was habe denn Armut mit Abstammung zu tun, fragte Rose?

"Racial Profiling"

Ein Hinweis auf die Abstammung wie im Kontext der Armutsdebatte habe "fatale Auswirkungen" auf die in Deutschland lebende Minderheit, so Rose weiter und erinnerte an die Stigmatisierung der Juden im Nationalsozialismus. Christine Lüders, die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, nannte aktuelle Auswirkungen: Die Situation für Sinti und Roma auf dem Arbeitsmarkt sei "katastrophal". Auf Flughäfen und Bahnhöfen würden sie durch die Polizei überproportional kontrolliert. Die Polizeibehörden müssten mit diesem "racial profiling" aufhören, forderte Lüders.

Den Vorurteilen gegenüber Sinti und Roma sollte gezielt mit positiven Beispielen entgegengetreten werden, sagte Lüders weiter. Viele wüssten zum Beispiel nicht, dass auch Charlie Chaplin und Pablo Picasso dieser Minderheit angehörten. Allerdings sei es mit wenigen positiven Beispielen nicht getan, warnte Studien-Autor End. Auch die mediale Berichterstattung beschrieb der Politologe als Problem. Seine Analyse der Beiträge habe ergeben, "dass Presse und Medien noch immer abwertende 'Zigeuner'-Klischees reproduzieren". Dabei gebe es in der "Logik und Symbolik" zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Medien kaum Unterschiede. Dies zeige, dass Antiziganismus kein Problem nur von rechts, sondern auch in der Mitte der Gesellschaft sei. Anscheinend hätten viele Journalisten "aus ihren Kindertagen Stereotypen über Sinti und Roma mitgenommen". Medienkritik äußerte auch Zentralratschef Rose: Journalisten sollten ihrer Verantwortung gerechter werden, "Vorgaben der Politik nicht unkritisch zu übernehmen".

Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders: "Wir brauchen positive Vorbilder" (Archivfoto, dpa)
Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders: "Wir brauchen positive Vorbilder" (Archivfoto)Bild: picture-alliance/dpa

"Weniger Gedenkpolitik"

Zur aktuellen gesetzlichen Verschärfung des Asylrechts für Migranten aus mehreren Balkanländern, sagte Rose, in Ländern wie Serbien gebe es zwar keine Verfolgung, aber dennoch Stigmatisierung und Ausgrenzung von Sinti und Roma. Europa aber sei eine Gemeinschaft und deshalb sollten alle dafür Sorge tragen, dass sich die Situation in den Ländern mit vielen Sinti und Roma auf dem Balkan verbessere, vor allem auch wirtschaftlich.

Er wünsche sich eine offenere Diskussion über Rassismus in Deutschland, sagte End. Ein bisschen sei es in Deutschland derzeit so, dass man sich auf "Gedenkpolitik" ausruhe und dass ja alles gut sei. Vorbilder seien für ihn Großbritannien und Irland, denn dort sei die Diskussion offener und damit weiter gediehen.