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Robert Habeck nimmt das Kanzleramt in den Blick

13. Juli 2024

Vizekanzler Robert Habeck hört während seiner Sommereise, dass Außenministerin Annalena Baerbock nicht noch einmal Kanzlerkandidatin der Grünen sein will. Habeck will das schon, sagt es aber noch nicht offen.

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Vizekanzler Robert Habeck blickt, mit Schutzbrille und Kopfhörern, nach rechts. Links neben ihm erklärt der Chef der Glaswerke  "Ardagh-Glass-Packaging", Jens Schaefer, dem Minister seine Produktionsanlagen
Robert Habeck während seiner Sommerreise in einem Glaswerk in Obernkirchen in NiedersachsenBild: Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

"Unsere Zeit" lautet das Motto der Diskussionsveranstaltung, bei der 300 Studierende der Universität in Magdeburg dem Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) an diesem Abend Fragen stellen. Fast eine Stunde geht das schon so: Klimaschutz, Rechtspopulismus, der Wert der Arbeit in einer immer unsicherer werdenden Zeit.

Die Stimmung ist verzagt, es gibt so viele Probleme, der Wohnraum für Studenten ist knapp und teuer, die staatliche Studienförderung gering. Nach einer Stunde wird Habeck gefragt, was ihm überhaupt noch Hoffnung macht.

Der Minister blickt kurz an die Decke der Aula, denkt etwas länger nach als sonst und sagt dann, er fände das Wort Zuversicht besser: "Eine Gesellschaft ohne Zuversicht wird sterben."

Und trotz der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, trotz des überall stärker werdendem Rechtspopulismus, will Habeck an der Zuversicht festhalten. Er sagt aber auch: "Mein Job ist es im Moment, nicht erschöpft zu sein."

Zur Kanzlerkandidatur erstmal keine Auskunft...

Es ist gerade sehr wahrscheinlich, dass Habeck demnächst beides noch mehr braucht: Zuversicht und Energie. Denn seine Parteifreundin Außenministerin Annalena Baerbock will nicht noch einmal wie bei der Bundestagswahl 2021 Kanzlerkandidatin der Grünen sein.

Dies verkündete sie kürzlich am Rande des NATO-Gipfels in den USA in einem CNN-Interview. Und daheim in Deutschland gehen seitdem alle davon aus, dass sich an ihrer Stelle Habeck im nächsten Jahr um die Kanzlerschaft bewirbt. "Wir werden das rechtzeitig vor der Wahl klären", sagt er jetzt.

Vizekanzler Robert Habeck blickt in einem Handwerksbetrieb in Sachsen-Anhalt auf seiner Sommerreise auf eine Maschine hinter einem Metallgitter
Alles kompliziert: Es fehlen Fachkräfte, und die Bürokratie macht den Firmen zu schaffenBild: Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

...aber ein Dementi klingt anders

Klingt nicht nach einem Dementi. Ist auch keines. Habeck legt noch einmal nach: "An allen Ecken und Kanten sehen wir, dass die Vorzeichen, die sich das Land in den vergangenen zehn oder zwanzig Jahren zurecht gelegt hat, komplett geändert haben. Russland, China, die USA sind nur Stichworte."

Rollt Habeck das Feld von hinten auf?

Es gibt also noch viel zu tun, heißt das wohl. In Habecks Ministerium und im Mitarbeiterstab lautet die Erzählung, man sei von Baerbocks Verzicht nicht überrascht.

Manch einer sieht Habecks Chancen, tatsächlich ins Kanzleramt einzuziehen, nicht einmal als komplett realitätsfern an. Und dies, trotz der niederschmetternden 11,9 Prozent für die Grünen bei der Europawahl Anfang Juni, nach über 20 Prozent bei der Europawahl 2019.

Denn die anderen Kanzler-Kandidaten, so das Argument, würden ja auch Fehler machen. Gemeint ist damit der oft zögerliche Bundeskanzler Olaf Scholz , der erneut für die SPD kandidieren könnte.

Gemeint ist aber auch der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, der oft unbeherrscht auftrete. Ein zuversichtlicher Robert Habeck könne da doch vielleicht das Feld von hinten aufrollen.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) auf der Tribüne bei einem Spiel der Euro in Deutschland, rechts neben ihr Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)
Außenministerin Annalena Baerbock (zweite von rechts, ganz rechts Bundeskanzler Olaf Scholz) will nicht noch einmal Kanzlerkandidatin der Grünen sein Bild: Tom Weller/dpa/picture-alliance

Behörden bremsen

Dieser Gedanke scheint im Moment  recht verwegen, bei all dem Streit in der Ampel-Regierung von SPD, Grünen und FDP, die so unbeliebt ist wie noch nie. Und bei all den großen Problemen des Landes.

Viele dieser Probleme - Fachkräftemangel, Bürokratie, Populismus - werden der Regierung angelastet. Wie gravierend diese sind, erfährt Habeck erneut auf seiner Sommerreise quer durch das Land, die ihn auch an die Uni nach Magdeburg geführt hat.

Ebenfalls in Magdeburg klagen die Inhaber einer jungen Firma, die Solarmodule recycelt, wie ihr unternehmerischer Erfolg durch die Behörden ausgebremst wird. Das Unternehmen verarbeitet aktuell 3000 Tonnen an Modulen, im nächsten Jahr könnten es sogar 10 000 Tonnen sein. Die Lagerfläche wurde erweitert, aber Genehmigungen der Behörden dafür lassen auf sich warten. 

Kritik an Habecks Politikstil

Auch am Minister selbst gibt es viel Kritik seitens der Unternehmer. Seine Politik sei zu detailverliebt, klagen viele, er mache den Firmen viele unnötige Vorgaben.

Zu Jahresanfang sagte etwa Arbeitgeber-Präsident Rainer Dulger: "Die Unternehmen haben das Vertrauen in die Bundesregierung verloren."

Für Habeck ist die Skepsis vieler Unternehmer nicht neu. Zu harte Klimaschutzauflagen, zu viel Bürokratie, die schleppende Digitalisierung, diese Vorwürfe hört er oft.

Bei einer Veranstaltung der Handelskammer der östlichen Bundesländer lobt er deshalb erst einmal den deutschen Unternehmergeist: "Ich weiß, viele Diskussionen in den vergangenen Jahren haben viele Menschen verunsichert. Aber wenn wir was gelernt haben in den letzten zwei Jahren, dann, dass eine schrumpfende Wirtschaft schlecht ist für die Demokratie."

Bei der Firma Ostbau in Sachsen-Anhalt lässt sich Habeck (r.) eine Maschine zum verlegen von Breitbandkabeln erklären, die Maschine steht hinter ihm und dem Geschäftsführer der Firma (links im Bild)
Bei der Firma Ostbau in Sachsen-Anhalt lässt sich Habeck eine Maschine zum Verlegen von Breitbandkabeln erklärenBild: Jens Thurau /DW

Niederlande locken mit Steuerrabatten

Schlecht für die Wirtschaft ist vor allem der Fachkräftemangel. In jedem Betrieb, den Habeck auf seiner Sommerreise besucht, wird über zu wenig Mitarbeiter geklagt.

Gerade hat die Regierung einen Plan vorgelegt, wie Fachkräfte aus dem Ausland mit Steuerrabatten angelockt werden könnten .

Aber sofort gab es Kritik an diesem Plan, etwa vom Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe im Bundestag, von Alexander Dobrindt. "Das ist ein echtes Inländer-Benachteiligungsprogramm, das sich die Ampel da ausgedacht hat", kritisierte er. 

Habeck hält bei seinen Firmenbesuchen dagegen. Viele Länder wie etwa die Niederlande hätten solche Steuerrabatte längst eingeführt. Wenn Deutschland das nicht auch tue, drohten neue Belastungen für die Unternehmen.

"Es fehlen vor allem Hände und Köpfe, die die Arbeit machen", so der Minister. "Man redet von bis zu zwei Millionen Stellen, die heute nicht besetzt sind. Und es wird in den nächsten Jahren noch schwieriger werden, Fachkräfte zu finden. Denn die Baby-Boomer, also die geburtenstarken Jahrgänge der 60er, gehen in Rente."

Wirtschaftsminister Robert Habeck steht in einer Firma in Sachsen-Anhalt vor einem Solarmodul und blickt ernst von rechts in die Kamera
Wirtschaftsminister Habeck lässt sich in einer Firma in Sachsen-Anhalt, die Solarmodule wieder verwertet, alle Details erklärenBild: Jens Thurau/DW

Drei Jahre für eine Arbeitserlaubnis

Auch die Firma Ostbau in der Nähe von Stendal in Sachsen-Anhalt bittet Habeck, mehr gegen den Mangel an qualifizierten Mitarbeitern zu tun. Die Firmenchefs des Unternehmens mit 500 Angestellten, das Straßen baut und Breitbandkabel verlegt, schildern, wie Ausländerrecht und Bürokratie ihnen das Leben schwer machen .

So habe die Beantragung einer Arbeitserlaubnis für einen ehemals geflüchteten Iraner drei Jahre lang gedauert. Dieser hatte seine Ausbildung mit Bravour abgeschlossen, seine Frau arbeitete, und die Kinder kämen in Deutschland gut klar.

Habeck räumt die Probleme ein. "Wir müssen das ändern", sagt er. Behörden hätten oft Angst vor Veränderungen und würden dazu neigen, die Dinge so zu lassen, wie sie sind. Wie die ganze Gesellschaft. Ein Fehler, findet Habeck. Klingt jetzt schon so, als würde sich der Vizekanzler darauf vorbereiten, sich um das Kanzleramt zu bewerben.