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Risikosportart "Volksvertreter"

Marcel Fürstenau24. Januar 2003

Die Krankheiten des deutschen Gesundheitssystems sollen kuriert werden - am besten mit einer klassischen Rosskur. Wie die aussieht und ob Deutschlands Politiker angemessen gesund leben, weiß Marcel Fürstenau.

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Das deutsche Gesunheitssystem ist chronisch krank. Und obwohl die Patienten für Sonderwünsche wie goldenen Zahnersatz, aber auch für stinknormale Medikamente einen stetig wachsenden Eigenanteil leisten, müssen sie immer höhere Beiträge für ihre Krankenversicherung aufwenden – aktuell mehr als 14 Prozent des Einkommens.

Um die Kosten in den Griff zu bekommen, lassen sich Politiker alles Mögliche einfallen. Kommissionen werden eingesetzt, die prüfen sollen, wo noch gekürzt werden kann. Ärzte sollen weniger verdienen. Die Zahl der Krankenhaus-Betten wird seit Jahren verringert. Doch weil wir dummerweise immer älter werden, fallen wir den Kassen zu allem Überfluss immer länger zur Last. Es hilft alles nichts, auch die Pflegeversicherung konnte daran nichts ändern: Die Volksgesundheit ist ein teures Gut, das einfach nicht billiger werden will.

Der Verzweiflung nahe, kam Gesundheitsminsiterin Ulla Schmidt jetzt die rettende Idee: So genannte Risiko-Sportarten sollen aus der gesetzlichen Krankenkasse herausgenommen werden. Gut zehn Milliarden Euro könnten so angeblich eingespart, die Kassen-Beiträge auf unter 13 Prozent gesenkt werden. So stellt sich das Frau Schmidt jedenfalls vor. Um das Ziel zu erreichen, müssten Skifahrer, Motorradfahrer und Drachenflieger die Folgen ihrer Unfälle künftig allein bezahlen. Diese Arten der körperlichen Ertüchtigung rechnet die Ministerin zur Gruppe der Risiko-Sportarten.

Wer ihr diese Liste eingeflüstert hat, ist nicht bekannt. Bekannt, weil von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin statistisch belegt, sind diese Zahlen: Rund 1,5 Millionen Sport-Unfälle ereignen sich jährlich. Fast ein Drittel davon beim Fußball, etwa zwölf Prozent beim Hand-, Volley- und Basketball. Erst an fünfter Stelle dieser Hitliste rangiert der von Ulla Schmidt genannte Skisport mit cirka sechs Prozent. Aber auch diese Statistik ist mit Vorsicht zu genießen ist, weil die Zahl der das ganze Jahr über spielenden Fußballer um ein Vielfaches größer ist als die der skifahrenden Wintersportler. In Wirklichkeit dürfte Fußball wohl zu den risikoärmsten Sportarten gehören.

Hat Ministerin Schmidt also doch recht mit ihrer Liste der Risiko-Sportarten? Mag sein, aber daß ist gar nicht die entscheidende Frage. Denn ein Volk von übergewichtigen Bewegungsmuffeln hat Ulla Schmidt bestimmt auch nicht im Sinn. Diese Patienten kosten am Ende nämlich viel mehr, weil sie weitaus häufiger an Herz-Kreislauferkrankungen leiden als aktive Menschen. Weshalb eine andere Idee mehr Aussicht auf Erfolg hat: nämlich jene zu belohnen, die gesund leben. Nicht rauchen und saufen, sondern joggen wie Außenminister Joschka Fischer. Der findet den Vorschlag einiger Krankassen natürlich klasse. Kein Wunder: Er ist der berühmteste deutsche Läufer der Gegenwart und ernährt sich, anders als in früheren Zeiten, biologisch-dynamisch – Müsli statt Fastfood.

Die Volksgesundheit muss also bei den gewählten Volksvertretern beginnen. Noch hat sie niemand erstellt, die Sündenliste deutscher Politiker. Aber lange wird es nicht mehr dauern, bis wir erfahren, welche Risiko-Sportarten sie ausüben und wie ihre Essgewohnheiten sind. Ein Anfang sei schon mal gemacht: Verteidigungsminister Peter Struck fährt Motorrad (meines Wissens unfallfrei), sein Vorgänger Rudolf Scharping Fahrrad (mehrfach unter Beweis gestellte hohe Unfallgefahr). Verbraucherschutzministerin Renate Künast ist Inlineskaterin (Platz drei auf der Liste der gefährlichsten Sportarten). Bundeskanzler Gerhard Schröder stellt gelegentlich seine Gefährlichkeit als Mittelstürmer unter Beweis (aktuelle Treffer-Quote unbekannt).

Spektakulärster Sportler unter den 603 Volksvertretern aber ist Jürgen W. Möllemann. Der mitunter als geistiger Tiefflieger in Erscheinung tretende FDP-Politiker fällt regelmäßig werbewirksam aus allen Wolken und ist trotzdem kaum gefährdet. Denn Fallschirm-Springen hat Gesundheitsministerin Schmidt nicht genannt, als es um Risiko-Sportarten ging, die künftig extra zu versichern seien. Man darf deshalb gespannt sein, welche Vorschläge zur Senkung der Gesundheitskosten Politiker noch machen werden. Eines steht indes fest: Wäre Politik eine Sportart, müßte diese Disziplin als besonders riskant eingestuft werden.