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Rheingau Musik Festival im Zeichen der Freiheit

Gaby Reucher
25. Juni 2023

Ein grandioses Konzert, ein junger Star und ein Plädoyer für Freiheit und Demokratie vom Altbundespräsidenten Joachim Gauck prägten die Eröffnung des Festivals.

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In der Klosterbasilika spielt das Orchester, im Hintergrund der Chor und im Vordergrund das Publikum.
Alles in öffentlicher Hand: Der MDR Rundfunkchor und das hr-Sinfonieorchester bestreiten das Programm zum EröffnungskonzertBild: Ansgar Klostermann/Rheingau Musik Festival

Für den französischen Dirigenten Alain Altinoglu war das Eröffnungskonzert beim Rheingau Musik Festival ein Heimspiel. Nicht nur, weil sein Orchester, das Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks (hr), traditionell das Festival eröffnet, sondern weil ausschließlich französische Komponisten wie Hector Berlioz und Francis Poulenc unter dem Motto "Vive la France" auf dem Programm standen.

Hessens Ministerpräsident Boris Rhein griff das Motto in seiner Eröffnungsrede auch politisch auf. Er betonte, wie wichtig die guten Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich und anderen Partnern in der EU seien, besonders seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Gemeinsame Werte wie Freiheit und Demokratie seien ein hohes Gut.

Joachim Gauck über Kunst und Musik

Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck (2012 bis 2017) hob in seiner Festrede die Bedeutung von Kunst und Musik für die Zivilgesellschaft hervor. Er stellte die Frage in den Raum, ob es richtig sei zu feiern, wenn anderswo Krieg an der Tagesordnung sei. Schließlich sei der Angriff Putins nicht nur ein Angriff auf die Ukraine, sondern auch auf die Freiheit.

Bundespräsident Joachim Gauck vor einem Mikrophon am Rednerpult.
Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck bricht bei seiner Festrede eine Lanze für Musik und KunstBild: Ansgar Klostermann/Rheingau Musik Festival

Musik sei nicht fern von Realität und könne die Abgründe des Daseins nicht löschen, sagte Gauck, dennoch könnten die Menschen mit Hilfe der Musik den Geschehnissen für kurze Zeit entfliehen. "Musik stärkt die Seelen. Kunst und Musik können nicht die Welt verändern, aber die Menschen", bekräftigte Gauck.

Das Eintauchen in die Musik diene einer Art Selbstfindung, bei der Menschen auch den Wert von Freiheit und Demokratie erkennen und sich auf diese Weise – wie Gauck es nennt – eine "Daseinsgewissheit" verschaffen könnten.

Hector Berlioz und Édouard Lalo  

Der Realität für kurze Zeit entfliehen, das gelang bereits bei der Ouvertüre "Le carneval romain”, dem "Römischen Karneval" von Hector Berlioz. Das hr- Sinfonieorchester zog das Publikum in seinen Bann - zunächst einfühlsam mit zarten Klängen, die sich dann in schnellen Tempi zu einem gewaltigen Klangrausch entfalteten.

Im Anschluss faszinierte der brasilianische Geiger Guido Sant'Anna in der Basilika des Klosters Eberbach die Besucher mit Édouard Lalos (1823–1892) "Symphonie espagnole" d-Moll op. 21. Sant'Anna holte dabei das Maximum aus seiner historischen Geige heraus: Er spielte ausdrucksstark und virtuos in den höchsten Lagen, dann wieder tänzerisch, als würde ihm das Stück leicht von der Hand gehen.

Musikalische Neuentdeckung aus Brasilien

Dabei war das Werk für den 17-Jährigen durchaus eine Herausforderung, die viel Einfühlungsvermögen bedarf. "Lalo wechselt sehr oft die Taktarten, und man muss sehr auf den Rhythmus achtgeben", sagt Sant‘Anna, dessen Geigenbogen beim rasanten Spiel das ein oder andere Haar aus der Bespannung verlor.

Guido Sant'Anna spielt auf seiner Geige neben Alain Altinoglu, der das Orchester dirigiert.
Der brasilianische Geiger Guido Sant'Anna hat Dirigent Alain Altinoglu und das Publikum gleichermaßen begeistertBild: Ansgar Klostermann/Rheingau Musik Festival

Guido Sant'Anna ist eine Neuentdeckung des Festivals. "Wir sind auf diesen jungen brasilianischen Künstler gestoßen, der den Fritz Kreisler Preis gewonnen hatte, und wir versprechen uns von ihm eine große Karriere", sagte Michael Herrmann, Intendant des Festivals, im Interview mit der DW.

Der Fritz Kreisler Preis ist weltweit einer der renommiertesten Preise für Nachwuchsgeiger, benannt nach dem gleichnamigen austroamerikanischen Geiger. "Seit ich den Preis gewonnen habe, sind schon viele Leute auf mich aufmerksam geworden und haben mich angefragt", sagt Sant'Anna. Das Eröffnungskonzert im Rheingau war sein erstes Konzert in Deutschland. Für die Kronberg Academy im Taunus, die junge hochbegabte Musikerinnen und Musiker unterstützt, hat er bereits ein Stipendium in der Tasche.

Großes Orchester in Kloster Eberbach

Das Rheingau Musikfestival, gegründet 1987, ist eins der wichtigsten Festivals Europas, hauptsächlich für Klassik, aber auch für Pop, Jazz und Weltmusik. Eröffnet wird das Festival jedes Jahr im ehemaligen Zisterzienser-Kloster Eberbach meist mit eindrucksvollen Chor- und Orchesterwerken.

Kloster Eberbach Gebäude.
Kloster Eberbach wurde in den 1980er Jahren bekannt als Drehort des Films "Im Namen der Rose" nach dem gleichnamigen Roman von Umberto Ecco. Bild: Gaby Reucher/DW

Das große Orchesterwerk mit gemischtem Chor und Solo-Sopran erklang zum krönenden Abschluss des Eröffnungskonzerts mit Francis Poulencs "Stabat mater". Dabei begeisterte die französische Sopranistin Vannina Santoni in ihren kurzen und einfühlsamen Sequenzen ebenso wie der Rundfunkchor des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR), der stark und präzise auf den Punkt sang. Der MDR-Rundfunkchor ist der größte Chor des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland und feiert in diesem Jahr sein 100-jähriges Bestehen.

Junge Künstler beim Rheingau Festival

Das Rheingau Musik Festival präsentiert nicht nur Stars, sondern kümmert sich bereits seit 20 Jahren umjunge, aufstrebende Nachwuchstalente. "Wir hatten zuletzt sehr viele Künstler aus Russland, das haben wir im Moment eingestellt, weil das auch von der russischen Politik gefördert wurde", sagt Intendant Michael Herrmann. "Damit wollen wir im Moment nichts zu tun haben, denn was da in der Ukraine passiert, ist unfassbar."

Frau in schwarzem Kleid steht vor Orchester und Chor neben dem Dirigenten.
Die französische Sopranistin Vannina Santoni schlüpfte für Poulencs "Stabat mater" in die Rolle der leidenden MariaBild: Ansgar Klostermann/Rheingau Musik Festival

Aber es gebe ja auch Talente in Deutschland, Europa und, so Herrmann, viele aus asiatischen Ländern und auch aus Kuba. So spielt beim Rheingau Musikfestival zum wiederholten Male die Cuban-European Youth Academy zusammen mit ihrer Mentorin Sarah Willis, Hornistin der Berliner Philharmoniker.

Kubanische Musik und Klassik

Bereits seit zehn Jahren pflegt das Rheingau Musik Festival eine intensive Beziehung zu jungen Musikerinnen und Musikern in Kuba. Daraus hervorgegangen ist die besagte Cuban-European Youth Academy, wo kubanische Talente mit europäischen Instrumentalisten gemeinsame Arbeitsphasen verbringen.

Aufnahme aus der Vogelperspektive des Orchesters mit Instrumenten an einer Straßenecke.
Sarah Willis (vorne Mitte) mit dem Havana Lyceum OrchestraBild: Monika Ritterhaus/Rheingau Musik Festival 2023

Ein Projekt, das Brücken baut, erläutert Geschäftsführer Marsilius von Ingelheim im Gespräch mit der DW. "Viele sind Alumni und haben auch in Europa Fuß gefasst. Und aus der Arbeit vor Ort ist das Havana Lyceum Orchestra entstanden." Sarah Willis ist immer wieder in Kuba, um dort mit den jungen Leuten zu arbeiten. Beim Rheingau Musik Festival wird sie mit dem Havana Lyceum Orchestra klassische europäische und kubanische Komponisten spielen und zum wiederholten Male in einer "Kubanischen Nacht" ein buntes Potpourri kubanischer Rhythmen und Melodien bieten. Der Publikumserfolg ist wie bereits im vorletzten Jahr auch in diesem Jahr schon vorprogrammiert.

Kolumbianisches Jugendorchester begeistert

Das Rheingau Musikfestival findet noch bis zum 2. September statt. Die Deutsche Welle ist Medienpartnerin des Festivals.