Respekt und Beifall für beide WM-Teams
5. Juli 2006Auch bei der Rückkehr der deutschen Fußball-Nationalmannschaft ins Berliner WM-Quartier waren die Tränen der Spieler noch nicht getrocknet. Der Schmerz und die Enttäuschung über die bittere 0:2-Niederlage nach Verlängerung im Halbfinale gegen Italien und den geplatzten Traum vom vierten Weltmeister-Titel waren um kurz vor 3 Uhr am Mittwoch (5.7.2006) bei der Ankunft am "Schlosshotel" weiterhin riesengroß. Rund 100 Fans hatten im Grunewald ausgeharrt und feierten Kapitän Michael Ballack & Co.
"Es tut weh, wenn man kurz vor Spielende so einen K.o.-Stoß bekommt", sagte Bundestrainer Jürgen Klinsmann, der seinen Akteuren schon in der Kabine des Dortmunder WM-Stadions Trost zugesprochen hatte. "Jeder ist am Boden zerstört. Das müssen wir erst mal schlucken. Es ist eine bittere Pille. Doch die Mannschaft kann stolz sein, sie hat ein fantastisches Turnier gespielt und ist in jedem Spiel an ihre Grenzen gegangen. Sie hat ein ganzes Land stolz gemacht", kommentierte Klinsmann, der nach dem späten italienischen Doppelschlag selbst um Fassung gerungen hatte.
Schock kurz vor Spielende
"Es war ein großartiges Spiel. Es ging rauf und runter. Zuletzt waren die Italiener glücklicher und cleverer", meinte der deutsche WM-Chef Franz Beckenbauer. Fabio Grosso (119. Minute) und Alessandro del Piero (120.+1) schockten die deutschen Anhänger im Dortmunder WM-Stadion sowie die Millionen auf den Fan-Meilen und vor den TV-Geräten mit einem Doppelschlag, der kurz vor dem Erreichen des Elfmeterschießens das Ende der deutschen Final-Träume bedeutete.
Die Italiener greifen nun im Endspiel von Berlin gegen Frankreich oder Portugal nach ihrem vierten WM-Titel. Der deutschen Mannschaft bleibt nur am kommenden Samstag in Stuttgart das Spiel um Platz 3 gegen den Verlierer des zweiten Halbfinales, das am Mittwoch in München ausgetragen wird.
Klinsmann denkt über Zukunft nach
Ob Klinsmann sein Ziel, auch als Trainer Weltmeister zu werden, neu in Angriff nehmen wird, bleibt ungewiss. "Momentan weiß ich es selber nicht. Ich will jetzt ein paar Tage durchschnaufen. Ich muss mich erst mal selber finden und alles etwas sacken lassen", sagte der 41-Jährige auf die Frage nach seiner Zukunft als Bundestrainer. "Gebt mir ein paar Momente Zeit." Seine Entscheidung will er sorgfältig abwägen. "In der nächsten Woche werde ich mich mit meiner Frau zusammensetzen und darüber sprechen", kündigte er an.
Trotz der riesigen Enttäuschung über den verpassten Einzug der deutschen Nationalelf ins WM-Finale blieben die Fans weitgehend ruhig. Nur kurze Zeit nach dem Schlusspfiff waren es die Fans im Dortmunder Stadion, die ihre Fassung als erste wiederfanden und die weinenden deutschen Spieler trotz der Niederlage mit "Deutschland, Deutschland"-Rufen feierten. Die Polizei in Dortmund sprach von einem "großartigen Fußballfest".
Kleinere Zwischenfälle
Auch in anderen Städten blieb es, von kleineren Zwischenfällen abgesehen, ruhig. In Berlin habe es 45 Festnahmen wegen Beleidigung, Körperverletzung und Drogen gegeben, sagte Polizei-Sprecher Bernhard Schodrowski am Mittwoch. Drei Deutsche wurden festgenommen, weil sie den Hitler-Gruß zeigten. Der Abzug von rund einer Million Fans von der Berliner Partymeile sei ohne nennenswerte Störungen verlaufen, obwohl etliche sichtlich frustriert und aggressiv gewesen seien.
Das Interesse an dem Spiel war riesig. Knapp 30 Millionen Zuschauer (Marktanteil: 84,1 Prozent) verfolgten die dramatische WM-Halbfinalbegegnung zwischen Deutschland und Italien an den Bildschirmen. Das sei der höchste jemals gemessene Zuschauerwert, seit die Einschaltquotenmessung personenbezogene Reichweiten ausweist, teilte das ZDF mit.
Köhler und Merkel in der Spielerkabine
Anerkennung erhielt die deutsche Mannschaft auch von der Politik-Prominenz. Kurz nach Spielende besucht Bundespräsident Horst Köhler zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Nationalspieler in ihrer Kabine. "Nach dem Spiel ist vor dem Spiel", versuchte Köhler, die Klinsmann-Elf aufzumuntern. "Ich bin sicher, dass Sie bei der nächsten Europameisterschaft wieder Großes leisten werden." Auch Bundeskanzlerin Merkel fand lobende Worte: "Schade. Es war ein super Spiel. Leider hat es nicht ganz gereicht, aber diese Mannschaft kann noch viel schaffen."
In Italien kannte der Freudentaumel über den Einzug ins Finale keine Grenzen. Nach Abpfiff brach von Mailand bis Palermo der Jubel der glücklichen Sieger aus. In vielen Städten fuhren die Tifosi mit ihren Autos wild hupend durch die Straßen. In Mailand verwandelten rund 50.000 Fans den Domplatz in ein Fahnenmeer, in Rom zog ein Autokorso vom Colosseum zum Piazza Venezia. "Wir haben es geschafft, es ist ein unbeschreibliches Gefühl, es sind unbeschreibliche Szenen", meinte eine junge Römerin. (stl)