1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Religion und Politik

19. Januar 2012

Während der Glaube in modernen Gesellschaften noch vor kurzer Zeit als Randerscheinung galt, steht er heute wieder auf der Tagesordnung, auch im politischen Leben.

https://p.dw.com/p/13bul
Symbolbild Religionen
Bild: DW

Sie studiert Psychologie, ist Bundesgeschäftsführerin der Piraten und gläubige Jüdin. Für Marina Weisband ist Religion ein zentraler Bestandteil ihres Lebens. Seit den überraschenden Wahlerfolgen der Piratenpartei, in diesem Jahr ist die 25-Jährige hoch beschäftigt. Doch der Freitag ist für die junge Politikerin tabu. Am Sabbat steht der Gang in die Synagoge an erster Stelle. Dabei ist Marina Weisband nicht in einem religiösen Umfeld aufgewachsen. In der ukrainischen Hauptstadt Kiev geboren, kam sie später mit der Familie nach Deutschland. Erst dort fand sie zu ihrer Religion, dem Judentum.

Eine neue Politikergeneration?

Marina Weisband - politische Geschäftsführerin der Piratenpartei. Copyright: Tobias M. Eckrich. Die Bilder kommen von Frau Marina Weißband selbst, Ihre schriftliche Genehmigung zur Verwendung der Bilder liegt vor. Es sollte nur der Namen des Fotografen genannt werden. Er lautet: Tobias M. Eckrich. Quelle: Victor Weitz, DW Russisch
Marina Weisband PiratenparteiBild: Tobias M. Eckrich

Besondere Bedeutung hat der Freitag auch für eine andere Frau: Hasret Karacuban von den Grünen trägt Kopftuch, arbeitet im Düsseldorfer Landtag und engagiert sich im parteiinternen „Arbeitskreis Muslime“. Religion ist für die 32-Jährige ebenso von zentraler Bedeutung. Als Muslimin gehört sie in Deutschland einer Minderheit an. Ihre politische Heimat hat sie bei den Grünen gefunden, weil sie dort die Rechte der Minderheiten am besten vertreten sieht. „Religion steht sicherlich nicht im Vordergrund grüner Politik, daher gibt es von meiner Seite aus auch keine religiöse Motivation Politik zu machen“, sagt Hasret Karacuban. Ihr Engagement bei der Partei sei rein politischer NaturSo unterschiedlich die beiden Frauen auch sind, die Hinwendung zu ihrer Religion scheint ihnen zumindest gemein. Stehen sie beispielhaft für eine neue Politikergeneration?

Bündnis 90/ Die Grünen, NRW, AK Muslime Rechte: Das Bild wurde von Hasret Karacuban zur Veröffentlichung auf dem Internetportal der Deutschen Welle zur Verfügung gestellt. Copyrightangabe: © Hasret Karacuban Thematische oder zeitliche Nutzungsbeschränkungen: Keine.
Hasret Karacuban Bündnis 90/Die GrünenBild: Hasret Karacuban

Spätestens seit den Anschlägen des 11. Septembers 2001 in New York, den Kriegen im Irak oder in Afghanistan ist Religion wieder ein Thema. Die mediale Präsenz des Dalai Lamas, Fernsehübertragungen von Großereignissen des Vatikans machen dies deutlich. Die religiöse Landschaft Europas hat sich durch Zuwanderung verändert. Die „Gastarbeiter“ von einst haben nicht nur ihre Arbeitskraft, sondern auch eine religiöse Identität mit nach Deutschland gebracht. Religionswissenschaftler sprechen hier von einer Pluralisierung der religiösen Landschaft.

Vielfalt wird gebraucht

Innerhalb der Wirtschaft wird Vielfalt als Chance betrachtet, setzen sich Diversity-Strategien mehr und mehr durch. Wie aber sieht es in der politischen Landschaft aus? „Ich glaube, dass wir in der künftigen Politikergeneration Vielfalt brauchen. Wir brauchen Künstler, Atheisten, Agnostiker, wir brauchen Gläubige“ sagt Marina Weisband. Auch innerhalb der politischen Landschaft müsse es künftig möglich sein, sich offen zu einer Religion zu bekennen. „Ich möchte Politikerin sein und offen sagen dürfen, dass ich gläubige Jüdin bin“, sagt die 25-Jährige. Dass das heute möglich ist, sei ein hohes Gut.

Die politische Heimat für Katholiken aber auch Protestanten ist traditionell die CDU (Christlich Demokratische Union Deutschlands). Hier gibt es den Evangelischen Arbeitskreis innerhalb der Union sowie andere mehr oder weniger lose Zusammenschlüsse von gläubigen Christen. Für den Generalsekretär der nordrhein-westfälischen CDU gehören regelmäßige Kirchenbesuche und allabendliche Gebete mit dem Sohn zum religiösen Ritual. Oliver Wittke praktiziert seine Religion, sieht in ihr einen wichtigen Anker und eine Richtschnur fürs Leben. Aus seiner Sicht fließen religiöse Überzeugungen durchaus in die politische Willensbildung mit ein. „Das christliche Menschenbild ist schließlich einer der Leitgedanken in der CDU-Politik“. Beim Beschluss des großen Schulkonsenses in Nordrhein-Westfalen habe die CDU Wert darauf gelegt, dass es künftig auch weiterhin Schulvielfalt gibt. „Aus dem christlichen Menschenbild abgeleitet, sind wir überzeugt, dass jedes Kind individuell gefördert werden muss, weil es eine eigenständige Persönlichkeit ist“, erklärt der Politiker.

Politikangebote für Zugewanderte

Oliver Wittke gehört auch zu den Gründungsmitgliedern des Deutsch-Türkischen Forums der CDU. Die vor zehn Jahren gegründete Plattform richtet sich mit ihrem Politikangebot an die türkischstämmige Bevölkerung, ist jedoch nicht als religiöses Forum zu verstehen.

Innerhalb der SPD gibt es die Arbeitsgruppe der Christen und Christinnen sowie einen „Arbeitskreis Migration“. Dieser will Integrationspolitik aktiv mitgestalten; der Islam als Religion vieler Zuwanderer steht jedoch hier nicht im Fokus. Dennoch spielen Glaubensgrundsätze in der Politik durchaus eine Rolle, meint der stellvertretende Parteivorsitzende der NRW SPD, Jochen Ott: „Wenn man Glauben als moralisches Geländer für ethische Entscheidungen versteht, dann gibt es sicherlich eine ganze Menge politischer Fragen, bei denen Grundüberzeugungen eine Rolle spielen.“ Die Sozialpolitik, Friedenspolitik, Entwicklungspolitik oder die Wirtschaftspolitik seien typische Bereiche, für die das gelte.

Jochen Ott SPD/ NRW/ stellv. Vorsitzender ?: : Jochen Ott, stellv. Vorsitzender der NRW SPD Rechteeinräumung: Das Bild wurde von der NRW SPD zur Veröffentlichung auf dem Internetportal der Deutschen Welle zur Verfügung gestellt. Copyrightangabe: © SPD NRW Thematische oder zeitliche Nutzungsbeschränkungen: Keine.
Jochen Ott SPD PolitikerBild: NRW SPD

Im Gegensatz zu den Arbeitskreisen der CDU oder SPD, die ihre Politikangebote an Menschen mit Zuwanderungsgeschichte richten, gibt es beim Bündnis 90/ Die Grünen den „Arbeitskreis Muslime“. Hier sind auch religiöse Fragen von Bedeutung. „Oberstes Ziel des AK Muslime ist die rechtliche Gleichstellung von Religionsgemeinschaften, auch die von islamischen Religionsgemeinschaften“, sagt Hasret Karacuban. Eine weitere zentrale Forderung des Arbeitskreises sei die Abschaffung des Kopftuchverbots. Dazu gäbe es sogar Beschlüsse der NRW-Grünen auf Landesebene. Das sieht die jüdische Piratin Marina Weisband ähnlich:

„Bei den Piraten gibt es zum Kopftuchverbot noch keine Beschlüsse. Ich persönlich finde aber, dass Lehrerinnen das Tragen eines Kopftuchs erlaubt werden sollte, denn das gehört zur freien Religionsausübung dazu.“ Das Belehren von Schülerinnen und Schülern hingegen müsse ein Tabu bleiben.

Autorin: Ulrike Hummel
Redaktion: Christina Beyert