Religion ist auch in Deutschland ein Reizwort
11. April 2019Es ist "keine gute Entwicklung in der Welt. Die Lage der Religionsfreiheit, die Situation der religiösen Minderheiten in der Welt hat sich verschlechtert", sagt Markus Grübel.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete ist seit einem Jahr "Beauftragter der Bundesregierung für die weltweite Religionsfreiheit". Das ist ein sperrig langer Titel. Für eine Aufgabe, die viele Brennpunkte und ganz unterschiedliche Facetten hat.
"Die Toleranz lässt nach. Radikale Gruppen, insbesondere radikale islamistische Gruppen haben Konjunktur. Auch haben Länder wie China gegenüber religiösen Gruppen zunehmend Vorbehalte. Wir merken das. Die Situation von religiösen Minderheiten wird deutlich schlechter. Deren Raum, Religion zu leben, wird eingeschränkt", so Grübel zur Deutschen Welle.
Regelmäßiger Bericht
Bei der Regierungsbildung vor gut einem Jahr hatten Union und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart, erstmals einen Beauftragten für weltweite Religionsfreiheit einzusetzen. Er soll federführend den Bericht der Regierung zur weltweiten Lage der Religionsfreiheit erstellen. Bislang gab es diesen Bericht lediglich einmal – im Jahr 2016. Künftig will die Regierung ihn alle zwei Jahre vorlegen.
Grübel, 59 Jahre alt, gehört als Abgeordneter aus Baden-Württemberg dem Bundestag seit 2002 an. In der vorigen Legislaturperiode war er Staatsekretär im Verteidigungsministerium. Sein jetziges Büro ist im Entwicklungsministerium. Das passt, wie er findet, denn das Haus habe intensive Kontakte in viele Länder, "und zwar nicht nur in die Hauptstadt, sondern auch in die Fläche hinein".
Immer wieder ist er auf Reisen, trifft Geistliche, Politiker und auch Menschen in Not, weil sie religiös verfolgt werden. So besuchte er vor wenigen Wochen zum dritten Mal die Ninive-Ebene im Irak. Dort bemühen sich Christen, Muslime und Jesiden nach Jahren des IS-Terrors mit religiösen Führern um ein friedliches Miteinander, bei dem jeder unabhängig von seiner Religion seine Vorstellungen einbringen kann. Ein weiter Weg. Aber er hat begonnen.
Schächten und Läuten
Aber auch Anliegen aus Deutschland erreichen ihn. "Meine Bezeichnung lautet ja 'Beauftragter der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit'. Zur Welt gehört auch Deutschland", meint er. Als Themen aus dem Inland nennt er beispielsweise die Frage des Schächtens, also des rituellen Schlachtens bei Juden und Muslimen, das Glockenläuten der Kirchen, aber auch die Frage nach dem politischen Einfluss der türkischen Regierung auf Imame in Deutschland.
Nun ist Grübel als Beauftragter einer unter vielen. Denn die Bundesregierung hat an die 40 Beauftragte, für Migration oder Pflege, Digitalisierung oder Bürokratieabbau, für die transatlantische Zusammenarbeit, für die Belange von Menschen mit Behinderung, für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus. Es sind überwiegend Männer, nur knapp zehn Frauen.
Knapp die Hälfte der Amtsinhaber gehören dem Parlament an. Die knapp 40 Beauftragten bilden zwar keine Neben-Regierung, aber sind doch ein ganz eigener Expertenpool und sollen laut Geschäftsordnung "bei allen Vorhaben, die ihre Aufgabe berühren, frühzeitig" eingebunden werden. Nur wenige dieser Mandate gibt es seit den 50er oder 60er Jahren, die meisten setzte die Regierung in jüngerer Zeit ein.
40 Beauftragte – da ist es kaum möglich, dass alle regelmäßig auffallen. In den deutschen Medien kommt derzeit wohl der Antisemitismus-Beauftragte Felix Klein am häufigsten vor. Was tut Grübel, um mit seinem Thema durchzudringen?
Weideland und Widerstand
"Das Thema Religionsfreiheit hat in den letzten Jahren leider Konjunktur", sagt er nur. Religion überlagere häufig politische oder wirtschaftliche Interessenskonflikte, bei denen es eigentlich nur um Weideland oder lokalen Einfluss geht. Sei es der blanke Terror von Islamisten, oder der Widerstand von Ländern mit ganz eigenen Vorstellungen von Menschenrechten und Religionsfreiheit.
Aber bei einem Erlebnis zeigt Grübel, der selbst katholisch ist, fast Rührung. Vor einigen Tagen empfing er den Imam der Al-Noor-Moschee im neuseeländischen Christchurch, Gamal Fouda. Der Geistliche überlebte Mitte März den Massenmord eines Rechtsextremen an wehrlosen Betern.
"Dieser Imam erschien mir fast wie ein Heiliger", erinnert sich Grübel an die Begegnung. "Er hat eindrucksvoll geschildert, wie er die Tat erlebt hat. Aber er hat auch deutlich gemacht: Es muss ein Wendepunkt sein, damit auf Gewalt nicht mit Gewalt reagiert wird."
Und Grübel spricht, "sehr beeindruckt", von der Verpflichtung der Religionsführer, bei der Jugend für ein friedliches Miteinander zu werben. "Fouda hat eigentlich ein Friedensethos in sich, eine Glaubwürdigkeit, die ich so selten angetroffen habe."