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Reiner Populismus

Klaus Dahmann17. September 2004

In einem Brief an Europa-Politiker hat sich die Chefin der konservativen Oppositionspartei CDU, Angela Merkel, gegen einen EU-Beitritt der Türkei ausgesprochen. Kann die Aktion Erfolg haben? Klaus Dahmann kommentiert.

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Beim Dezember-Gipfel der Staats-

Klaus Dahmann

und Regierungschefs der Europäischen Union soll entschieden werden, ob mit der Türkei schon 2005 konkrete Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden. Grundlage dafür wird ein Bericht sein, den die EU-Kommission Anfang Oktober vorlegt. Bei den deutschen Unionsparteien CDU und CSU regt sich schon seit Monaten Widerstand: Statt einer EU-Vollmitgliedschaft solle man der Türkei eine "privilegierte Partnerschaft" anbieten. Dies forderte CDU-Chefin Angela Merkel nun auch in einem Brief an Europa-Politiker und Mitglieder der EU-Kommission.

Was ist eine "privilegierte Partnerschaft"?

Doch wer Unterstützung für eine Idee sucht, der muss sie auch klar formulieren. Schon hieran krankt der Vorschlag von Angela Merkel: Was konkret unter einer "privilegierten Partnerschaft" zu verstehen ist, hat sie bis heute noch nicht erklärt. Stattdessen spricht sie davon, dass man über eine Alternative zur Vollmitgliedschaft nachdenken solle. Wie aber kann diese Alternative aussehen? Sollen türkische Regierungsvertreter künftig zu Gipfeln und Ministerräten eingeladen werden, ohne bei Entscheidungen mit abstimmen zu dürfen? Dazu schweigt sich Angela Merkel ebenso aus wie der bayrische CSU-Ministerpräsident Edmund Stoiber.

Keine klaren Konzepte gibts auch bei der Frage, wie man die türkische Regierung davon überzeugen soll, sich mit weniger als einer Vollmitgliedschaft zufrieden zu geben. Über 40 Jahre lang - seit das Assoziierungsabkommen unterzeichnet wurde - steht das Land schon im Wartesaal der EU. Und beim Gipfel Ende 1999 gab es dann das eindeutige Versprechen: Wenn die Türkei die Aufnahmekriterien erfüllt, können konkrete Beitrittsverhandlungen beginnen. Sich nun wie Angela Merkel hinzustellen, die Fortschritte in Sachen Menschenrechte und Demokratie zu loben, aber dann doch keine Mitgliedschaft zulassen zu wollen - das ist geradezu zynisch. Um so mehr, da sämtliche CDU-geführte Bundesregierungen seit 1963 eine Beitrittsperspektive für die Türkei befürwortet haben.

Zum dritten: wo soll die Unterstützung für die vage Vision einer "privilegierten Partnerschaft" herkommen? Auf europäischer Ebene gibt es bisher keine Regierung, die beim entscheidenden EU-Gipfel gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen stimmen will. Auch im Lager der konservativen Europäischen Volkspartei kann Merkel nicht ausreichend Unterstützung für ihren Vorschlag finden. Und selbst in den Reihen der deutschen Unionsparteien gibt es einzelne Stimmen, die sich für eine Vollmitgliedschaft der Türkei aussprechen - Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe zum Beispiel.

Auf Stimmenfang

Warum aber halten Angela Merkel und Edmund Stoiber an ihrer nebulösen Idee der "privilegierten Partnerschaft" fest? Als Spitzen der Opposition beobachten sie derzeit sehr genau, mit welchen Themen sich bei den nächsten Wahlen Stimmen holen lassen. Neuere Umfragen zeigen, dass mehr als die Hälfte der Deutschen die Türkei nicht in der EU haben wollen.

Klar ist: Die Ängste vor einem Türkei-Beitritt, die viele Deutsche derzeit haben, muss man ernst nehmen. Klar ist aber auch, dass dieser Beitritt nicht morgen oder übermorgen kommt - sondern frühestens in zehn bis fünfzehn Jahren. Und dass die EU die Erfüllung von Kriterien fordert: Die Türkei muss zunächst beweisen, dass sie eine moderne europäische Demokratie ist, ein Staat, der die Menschenrechte achtet. Und auch die EU wird bis dahin nicht dieselbe bleiben: Subventionen, wie sie Brüssel derzeit noch verteilt, wird es in diesem Maße nicht mehr geben. Der Erklärungsbedarf ist groß - Populismus à la Angela Merkel hilft hingegen niemandem.