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"Reicher Vatikan fasst im armen Russland immer mehr Fuß"

5. März 2002

– "Nesawissimaja gaseta" schließt sich Kritik der russisch-orthodoxen Kirche an vermeintlicher Missionstätigkeit der Katholiken in Russland an

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Moskau, 4.3.2002, NESAWISSIMAJA GASETA, russ., Nadeschda Keworkowa

Die Fernsehbrücke von Samstag (2.3.), über die die Gläubigen, die sich in der Moskauer Kirche der Unbefleckten Empfängnis sowie in einigen weiteren katholischen Kirchen in Russland versammelt hatten, mit dem Pontifex von Rom gemeinsam beten und seinen Segen entgegen nehmen konnten, ist abermals ein Beweis dafür, mit welchem Ernst sich der Vatikan dem Osten zugewandt hat. Patriarch Aleksij II. gab in seinem Kommentar eindeutig zu verstehen, dass das Moskauer Patriarchat die Initiativen, die neuerdings aus Rom kommen, als Expansionsstreben betrachtet, das mit dem alten Ansinnen der katholischen Kirche im Zusammenhang steht, im orthodoxen Russland festen Fuß zu fassen.

Die letzten Besuche des Papstes von Rom in orthodoxen Ländern und im mit Russland benachbarten Kasachstan bereiteten den Boden für ein Vorrücken in die Tiefe des orthodoxen Zentrums - nach Russland. Das Erste Rom begann auch, im Dritten Rom administrativ Fuß zu fassen. Am 11. Februar 2002 wurde bekannt, dass Papst Johannes Paul II. Russland in Diözesen aufgeteilt hat. (...)

Man könnte meinen, es handelt sich lediglich um eine rein bürokratische Umstrukturierung. Rom erachtete es aber für notwendig, zu demonstrieren, dass der Schritt unternommen worden ist, "um die Lage der katholischen Kirche in Russland zu normalisieren" und "das Recht auf Glaubensfreiheit, den Grundstein der Menschenwürde, zu verwirklichen".

Angesichts einer solchen Rhetorik kommt kaum jemandem das in Russland bekannte Vorgehen des Vatikans in den Sinn, beispielsweise der Skandal in Rom wegen der Errichtung einer Kirche auf dem Gelände der Botschaft der Russischen Föderation in Rom, die äußerst eifersüchtige Haltung gegenüber Gesprächen der russisch-orthodoxen Kirche mit hohen Würdenträgern anderer Konfessionen in der Welt und die Unterstützung von Spaltern innerhalb der orthodoxen Kirche...

Am 11. Februar hat also die orthodoxe Kirche sofort reagiert. Der Metropolit Kirill erklärte in einem Kommentar für die Sendung "Westi", "am ehesten werden bald alle Kontakte zwischen dem Patriarchat und dem Vatikan eingestellt werden müssen" und "jetzt brauchen wir eine Pause, um darüber nachzudenken, was geschieht, denn zu bereden gibt es nichts mehr".

Für die obersten Hierarchien der russisch-orthodoxen Kirche kam die Entscheidung aus Rom keineswegs wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Dass diese Entscheidung unvermeidlich sei, darüber war das Patriarchat bereits am 4. Februar über diplomatische Kanäle informiert worden. (...) Am 13. Februar teilte die russisch-orthodoxe Kirche der Kurie von Rom offiziell mit, dass der geplante Besuch von Kardinal Walter Kasper (...) im Februar in Moskau unerwünscht sei. Auch das russische Außenministerium reagierte, denn zwischen Russland und dem Vatikan bestehen bereits seit zehn Jahren offizielle zwischenstaatliche Beziehungen. Am 12. Februar äußerte das russische Außenministerium Bedauern darüber, dass der Vatikan bei seinen Schritten die Meinung der russischen Seite nicht berücksichtigt habe. Die Duma empfahl dem russischen Außenministerium ihrerseits, Abgesandten des Vatikan kein Visum auszustellen.

In orthodoxen Kreisen hat die Entscheidung des Vatikan Unzufriedenheit hervorgerufen. Der Verband orthodoxer Bürger hat die Gläubigen und die Machtorgane aufgerufen, zu verhindern, "dass für die Katholiken in Russland günstige Voraussetzungen geschaffen werden..., solange die Anhänger des katholischen Glaubens weiterhin Druck auf die orthodoxen Gläubigen in der Westukraine ausüben und Willkür gegen sie walten lassen..." Aber in der Provinz, wo die katholische Expansion den Anstrich der Wohltätigkeit hat, ist Widerstand nicht zu erwarten. Angesichts der tiefen Armut nimmt die Bevölkerung jede Hilfe an, ohne auf die Konfessionszugehörigkeit zu schauen. Die materiellen Möglichkeiten, über die der Vatikan verfügt, sind ungleich größer als die der russisch-orthodoxen Kirche. Deshalb können die Missionare ohne Probleme in Waisenhäuser, Kindergärten und Schulen vorstoßen. (...) (TS)