Finnland hat gewählt
19. April 2015Das dauerhafte Lächeln ist sein Markenzeichen. Und der finnische Ministerpräsident Alexander Stubb hat es auch im Wahlkampf nicht verloren. "Ich bin und bleibe Optimist", sagt der Konservative gerne, wenn er von Reportern auf die drohende Wahlniederlage angesprochen wird.
Alle Prognosen sagen voraus, dass Stubb das Amt, das er erst im Juni 2014 übernommen hatte, verlieren wird. "In Finnland herrscht Wechselstimmung", sagt der Chef der finnischen Handelskammer, Risto Penttilä, der DW. "Es geht um eine Richtungsentscheidung bei den Führungspersönlichkeiten." Da die schlechte wirtschaftliche Lage Finnlands das entscheidende Thema ist, würden sich die Wähler wohl diesmal für den Spitzenkandidaten der liberalen Zentrumspartei entscheiden, Juha Sipila. "Damit wird zum ersten Mal ein ehemaliger Unternehmer Regierungschef werden. Die Menschen erhoffen sich von Juha Sipila wohl einen neuen Stil in der Politik", glaubt Penttilä. Sipila gehört erst seit 2011 dem Parlament in Helsinki an. Zuvor hat er im Norden Finnlands Technologie- und Internetfirmen aufgebaut und geleitet.
Finnland muss sparen
Austerität, Sparpolitik zur Reduzierung der staatlichen Ausgaben, ist nicht nur in Griechenland, sondern auch in Finnland in aller Munde - allerdings auf einem anderen Niveau. "Der finnischen Wirtschaft geht es schlecht, deshalb sind Reformen dringend nötig", analysiert der Ökonomie-Professor Sixten Korkman im Gespräch mit der DW die Lage. "Wir leiden auch sehr unter der Wirtschaftsflaute in Russland. Die einst wichtigen Exporte sind eingebrochen. Kaufkräftige Russen kommen nicht mehr nach Finnland."
Die einst wichtige Telekommunikationsbranche und die Papierindustrie schrumpfen wegen sinkender Nachfrage und Missmanagement. Der Staat hat sich in den letzten Jahren mehr und mehr verschuldet. "Allerdings hat die Wirtschaftskrise nicht zu einem Desaster in der finnischen Gesellschaft geführt", so Professor Korkman. Die Arbeitslosigkeit ist nur leicht auf neun Prozent gestiegen. Die Staatsverschuldung liegt nur wenig über der zulässigen 3-Prozent-Grenze in der Euro-Zone. "Die sehr heterogene Koalitionsregierung hat es aber nicht geschafft, zum Beispiel im Gesundheitswesen Reformen durchzusetzen", kritisiert Wirtschaftsexperte Korkman. Die Koalitionspartner hätten sich gegenseitig blockiert.
Das nordische Modell
Der konservative Ministerpräsident Alexander Stubb spricht sich dafür aus, die Ausgaben des Staates zu senken und Leistungen zu kürzen. "Wir können uns den teuren Sozialstaat in Finnland so nicht mehr leisten. Der war auf ein jährliches Wirtschaftswachstum von zwei bis drei Prozent aufgebaut. Das gibt es nicht mehr", sagt Alexander Stubb schonungslos im Wahlkampf. Sein Rezept: sparen.
Das gefällt vielen Finnen nicht, die auf ihren Sozialstaat, das sogenannte nordische Modell, stolz sind. Zwar will auch der Liberale Juha Sipila Ausgaben kürzen und die Wirtschaft ankurbeln, aber nicht mit so einschneidenden Maßnahmen wie die Konservativen. Selbst die Sozialdemokraten, ebenfalls Regierungspartei, wollen sparen - aber wo und wie genau ist offen. Den Sozialstaat wollen sie nicht antasten.
Die Finnen stöhnen allerdings bereits, wenn sie den Begriff Sparpolitik hören. "Dabei hat das Sparen noch gar nicht angefangen. Bisher sind das viele Worte, aber wenige Taten", so Risto Penttilä von der finnischen Handelskammer. Und Ökonomie-Professor Sixten Korkman ist sicher: "Die Wirtschaftskrise in Finnland wird noch einige Zeit dauern. Keine Partei hat ein Patentrezept."
Merkel verliert Partner in der Euro-Politik
Bislang stand Finnland in der EU- und Euro-Politik an der Seite Deutschlands. Der lächelnde Premier Stubb und Bundeskanzlerin Angela Merkel verstehen sich gut. Merkel bedachte den konservativen Parteifreund während des Wahlkampf mit einem Kurzbesuch in Helsinki.
Mit der Harmonie zwischen deutscher und finnischer Regierung könnte es jedoch bald vorbei sein. Der wahrscheinlich neue Ministerpräsident Juha Sipila braucht wegen der zersplitterten Parteienlandschaft in Finnland mindestens zwei Koalitionspartner, um regieren zu können. Im "Eduskunta", dem Parlament in Helsinki, sind derzeit zehn Parteien vertreten.
Gute Aussichten für Rechtspopulisten
Einer dieser Koaltionspartner werden voraussichtlich die eher Europa-skeptischen, rechtspopulistischen "Finnen" des ehemaligen Europaabgeordneten Timo Soini sein. Soini lehnt die bisherige Rettungspolitik der Euro-Gruppe für Griechenland strikt ab und will mehr finnische Souveränität gegenüber der EU-Zentrale in Brüssel durchsetzen. "Die meisten Finnen, egal welcher Partei sie angehören, sind dagegen, noch mehr Geld finnischer Steuerzahler für die Rettung Griechenlands bzw. französischer und deutscher Banken einzusetzen", sagt Soini im DW-Interview.
In Finnland wird Soini nicht als radikal oder extrem angesehen. In Umfragen ist der gemütlich wirkende, etwas korpulente Mann einer der beliebtesten Politiker - ganz im Gegensatz zu Alexander Stubb, dem super-smarten, polyglotten Marathonläufer. Timo Soini möchte entweder Finanzminister oder Außenminister in der Koalition werden. "Wir Finnen sind ganz gut darin, vermeintliche Radikale einzubinden. Das Regierungssystem ist auf Konsens gebaut. Es wird nicht zu starken Brüchen kommen", so Risto Penttilä von der finnischen Handelskammer.
Sicherheitsfragen nur ein Randthema
Das Verhältnis zum großen Nachbarn Russland, mit dem Finnland im Osten eine 1300 Kilometer lange Grenze teilt, wird hauptsächlich aus wirtschaftlicher Perspektive gesehen. "Die Sicherheitspolitik ist erstaunlicherweise im Wahlkampf fast völlig abwesend", sagt der Politologe Juhana Aunesluoma von der Universität Helsinki. "Die Leute haben zwar Sorgen, aber noch hält der Konsens, dass Finnland die Sanktionen der EU gegen Russland in der Ukraine mittragen muss und weiter mit der NATO zusammenarbeiten sollte."
Das traditionell neutrale Finnland ist nicht Mitglied der Militärallianz. Eine Mitgliedschaft in der NATO lehnte eine Mehrheit der Finnen laut Umfragen weiterhin ab. Der Chef der finnischen Streitkräfte, General Jarmo Lindberg, hatte vor der Wahl betont, dass Russland keine direkte Bedrohung für Finnland darstelle, auch wenn die Aktivitäten der russischen Streitkräfte nahe der Grenze zugenommen hätten.
Überraschungen nicht ausgeschlossen
Der sozialdemokratische Präsident des finnischen Parlaments, Eero Heinäluoma, gab kurz vor dem Urnengang der 5,5 Millionen Finnen zu bedenken, dass die Meinungsforscher auch falsch liegen könnten. "Ich habe im Wahlkampf mehr Unentschiedene und Unentschlossene getroffen als jemals zuvor", sagte Heinäluoma der Zeitung "Helsinki Times". Er hält Überraschungen für möglich, weil die Wahlkampagne diesmal viel kakophoner und undurchsichtiger gewesen sei als in Finnland üblich.
Der erfahrene Politiker geht davon aus, dass das liberale Zentrum mit rund 20 Prozent der Stimmen siegen wird. Ob aber die Konservativen, die Sozialdemokraten oder gar die Rechtspopulisten zweitstärkste Kraft in der nächsten Koalitionsregierung sein werden, sei völlig offen.