Regierung gegen Rassismus, "Rasse" und Rechte
22. Oktober 2020Das kennt man sonst nur von Donald Trump: Politik per Twitter. Olaf Scholz, SPD-Kanzlerkandidat und Finanzminister, kündigt über den Nachrichtendienst an, dass die Regierung nun Front machen wolle gegen Rassismus, Rechte und den Begriff "Rasse" im Grundgesetz. Und zwar alle drei Koalitionsparteien zusammen; von konservativ bis sozialdemokratisch will die Regierung in Zeiten des zunehmenden Rassismus und tödlicher Anschläge von rechts ein Signal setzen: "Rassistische Denkmuster sind überall in unserer Gesellschaft zu finden. Es ist höchste Zeit, genauer hinzusehen und zu handeln", schreibt Scholz.
Lange hatte die Koalition um einen Kompromiss gerungen. Nun ist er da, zumindest auf dem Papier; zumindest als Absichtserklärung. Der Druck durch die rassistischen Anschläge mit vielen Toten in Halle, Hanau und demMord am CDU-Politiker Walter Lübcke waren offenbar Fanale, die auch die Skeptiker in der Union zum Einlenken gebracht haben. Hinzu kam der Fall George Floyd in den USA; der Afroamerikaner, der im Mai von einem weißen Polizisten brutal erstickt worden war. Seitdem gewann auch in Deutschland die Rassismusdebatte an Fahrt.
Einer jedenfalls ist zufrieden mit dem Regierungskompromiss: Karamba Diaby. Der Bundestagsabgeordnete der SPD und Integrationsbeauftragte seiner Fraktion hat Rassismus in Deutschland immer wieder hautnah erlebt - in den sozialen Medien und im realen Leben. Auf seiner Homepage beschreibt sich der SPD-Politiker selbst so: "2013 wurde ich als erster in Afrika geborener Schwarzer Mensch in den Deutschen Bundestag gewählt." Ende Januar wurde auf sein Wahlkreisbüro in Halle/Saale ein vermutlich fremdenfeindlicher Anschlag verübt. Im Interview mit der DW zeigt sich Diaby insgesamt zufrieden mit den Plänen der Großen Koalition. Es sei gut, so Diaby, dass "die Bundesregierung die Vorschläge der Zivilgesellschaft aufgegriffen" habe.
"Rasse" raus aus dem Grundgesetz
Besonders lobt er den Vorstoß, den Begriff "Rasse" aus dem Grundgesetz zu streichen. Das sei nicht nur ein symbolischer Erfolg, denn "nur rassistische Theorien gehen davon aus, dass es überhaupt unterschiedliche Rassen gibt".
Auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz, begrüßt die Entscheidung der Bundesregierung. Sie gehört zur konservativen CDU, die sich lange sehr schwer getan hatte mit solcherlei Reformen: "Dass der Begriff "Rasse" im Grundgesetz ersetzt wird, ist ein wichtiger Schritt, denn Sprache prägt unser Denken und Handeln."
Es geht im Artikel 3 um die Gleichheit vor dem Gesetz und das Verbot jeglicher Diskriminierung: "Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden."
Der Begriff "Rasse" werde heute von vielen als unzeitgemäß, sogar als rassistisch eingeordnet, bekräftigt Hendrik Cremer vom unabhängigen Deutschen Institut für Menschenrechte, DIMR. Auch wenn die Mütter und Väter des Grundgesetz 1949 mit ihrer Formulierung ein deutliches Zeichen gegen Rassismus und eine Abgrenzung zum Rassenwahn der Nationalsozialisten setzen wollten.
Das DIMR hatte schon lange gefordert, den Begriff "Rasse" aus dem Grundgesetz zu streichen. Es komme jedoch darauf an, welche Ersatzformulierung gefunden werde, merkt Cremer an. "Nach unserem Vorschlag sollte es heißen, dass niemand rassistisch benachteiligt werden darf", sagt Cremer. Insgesamt äußert sich der Menschenrechtsexperte verhalten optimistisch über die Initiative der Regierung: "So langsam greift hoffentlich die Einsicht, dass Rassismus und Rechtsextremismus lange Zeit nicht ausreichend zur Kenntnis und auch verharmlost worden ist."
Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) sollen nun einen Gesetzentwurf erarbeiten. Cremer hält eine Grundgesetzänderung noch vor den Bundestagswahlen im Herbst nächsten Jahres für möglich: "Die Idee scheint zu sein, die Änderung des Grundgesetzes noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden."
Beauftragter für Rassismus "kein Feigenblatt"
Etwas länger könnte es jedoch mit der zweiten Initiative der Großen Koalition dauern. Die Stelle eines Anti-Rassismus-Beauftragten wird wohl erst 2022 eingerichtet werden; also in der nächsten Legislaturperiode. Unklar ist, welchem Ministerium die Stelle zugeordnet wird. Ein "Feigenblatt" werde sie aber nicht werden, hofft der SPD-Abgeordnete Karamba Diaby. Vielmehr solle der neue Beauftragte Ansprechpartner für Regierung und Parlament werden, in Zeiten in denen "Rassismus und Menschenfeindlichkeit mitten in der Gesellschaft angekommen sind".
DIMR Experte Cremer ist da eher skeptisch: "Die entscheidenden Fragen werden sein: Mit welchen Ressourcen wird die oder der Beauftragte ausgestattet werden? Welche Kompetenzen werden mit dem Amt verbunden?"
Die Große Koalition scheint einen weiteren Streitpunkt beigelegt zu haben: Studie soll den Rassismus bei der Polizei und in der gesamten Gesellschaft untersuchen. Lange hatte sich der zuständige konservative Innenminister Horst Seehofer (CSU) dagegen gesperrt. Immer häufiger war in der letzten Zeit gegen Polizisten ermittelt worden, die sich explizit rassistisch und antisemitisch geäußert hatten. Hitlerbilder tauchten in Polizei-Chatgruppen auf, Fotomontagen von einem Flüchtling in einer Gaskammer.
Ein umfangreiches Regierungsprogramm gegen den "Rasse"-Begriff, Extremismus, Rassismus und Antisemitismus. Nicht viele hätten das der Koalitionsregierung im letzten Amtsjahr noch zugetraut.
Für Henrik Cremer vom DIMR bleibt noch viel zu tun: "Es geht darum, dass ein breiter und nachhaltiger Ansatz zur Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus verankert wird. Es ist nicht mit einzelnen Maßnahmen getan." Der SPD-Integrationsbeauftragte Diaby freut sich über Schritte in die richtige Richtung. Vor allem auch für das Ausland sei die Initiative ein Signal, "dass wir Rassismus und Rechtsextremismus gemeinsam in Deutschland bekämpfen; für eine offene und tolerante Gesellschaft".