Regenwürmer als Bodenverbesserer
29. Januar 2017Ihnen fehlt eindeutig die Lobby. Vielleicht, weil sie blind, taub, stumm, alles andere als Schönheiten und meist unsichtbar im Boden unterwegs sind. Dort lauern Maulwürfe ihnen auf. An der Erdoberfläche gelten Füchse und Krähen als ihre Feinde.
Keine Faulpelze
Dabei sind Regenwürmer fleißig, wertvoll, ja unersetzlich und gleichermaßen eine bedrohte Art. Die Lebewesen gehören zu den häufigeren der unzähligen Organismen, die am und im Boden unermüdlich Zersetzungs-, Umwandlungs- und Aufbauarbeit leisten. Und das kommt dem Menschen zugute, denn dort gedeiht seine Nahrung.
"Genau genommen gibt es 45 Arten und vier Kategorien [von Würmern], die vielseitige Arbeit leisten", beschreibt Professor Heinz-Christian Fründ, Bodenbiologe an der Hochschule Osnabrück, die Ordnung der Wenigborster.
Sein Kot - das Wertvollste am Tauwurm
Einige fressen abgefallenes Laub und Holz an der Erdoberfläche. Andere sammeln sich in Massen in Komposthäufen. Eine dritte Kategorie besiedelt Mineralböden und ernährt sich von organischer Substanz, die mit dem Boden aufgenommen wird. Mit dem Kot verfüllt diese Spezies die angelegten Gänge wieder.
"Die bekannteste Regenwurmart, der 'Tauwurm' spielt für die Landwirtschaft eine große Rolle", erklärt Regenwurmforscher Fründ. Er legt sich ein dauerhaftes Gangsystem als Wohnraum an. Einen Hauptgang gräbt er vertikal bis in eine zuverlässig feuchte Bodentiefe. Mit immenser Muskelkraft wühlt sich der Wurm durch die Erde und durchlüftet sie, sodass Sauerstoff in die Tiefe dringen kann. Damit trägt er zur Bodenregeneration und -bildung bei. Pflanzen wurzeln nach unten, die Wasserleitfähigkeit wird erhöht.
Seine Nahrung ist angerottete und mit Bakterien angereicherte Pflanzensubstanz. Die findet der Tauwurm in Pflanzenresten an der Bodenoberfläche. "Deshalb ist es unbedingt wichtig, dass die Landwirte die Pflanzen nicht bis zur Bodentiefe abernten, sondern noch Stoppeln stehen lassen", rät Agrarwissenschaftler Fründ.
Das Beste: Regenwurmkot enthält Stickstoff, Phosphor, Kalium und Calcium und damit Nährstoffe, die Pflanzen zum Gedeihen brauchen.
Sensible Allesfresser
Durch Verletzung geteilte Regenwürmer können mitunter sogar weiterleben. Zur Regeneration verfallen sie phasenweise in Körperstarre. Doch trotz dieser Fähigkeit ist der Erdwurm nicht so widerstandsfähig wie es scheint.
Ihm geht es schlecht: Äcker ohne Pflanzenreste lassen ihn verhungern, ebenso saure Böden unter einem pH-Wert von unter fünf. Überhöhte Gaben konzentrierter Gülle verätzen ihn. Ob das Total-Herbizid Glyphosat seine Fortpflanzungsfähigkeit vermindert, ist nicht abschließend erforscht. Aber erwiesen ist, dass maschinelle Bodenbearbeitung in der Landwirtschaft seinen Lebensraum alle paar Monate zerstört. Das stresst den Wurm.
Der WWF (World Wildlife Fund) ist daher besorgt: Weniger als 30 Tiere wurden auf intensiv beackerten Feldern pro Quadratmeter bis in eine Tiefe von 30 Zetimetern gefunden. Auf wenig gepflügten Öko-Äckern können hingegen über 450 Würmer gezählt werden.
Leittier des Bodens
Für Agrarforscher und für Gärtner ist der Blick auf die Regenwurmpopulation ein Indiz für die Bodengesundheit. Der Rückzug der Spezies ist so augenscheinlich, dass die Naturschutzorganisation in einem "Regenwurm-Manifest" auf das Schicksal dieses Bodenlebewesen aufmerksam macht.
"Wenn die Regenwürmer leiden, leidet der Boden und damit die Grundlage für unsere Landwirtschaft und Ernährung", stellt Birgit Wilhelm klar. Für die WWF-Landwirtschaftsreferentin zählen die Tiere zu den meist unterschätzten Lebewesen. Auch die Agrarindustrie weiß längst, dass es Regenwürmer zu schützen gilt, erklärt Bernd Hommel, der am Julius-Kühn-Institut, einer Bundesbehörde forscht. "In den Handel kommen nur synthetische Pflanzenschutzmittel, deren Regenwurmverträglichkeit im Labor und bei Feldversuchen überprüft wurde."
Auch Schwermetalle wurmen die Sensibelchen. Regenwurmforscher Bern Hommel hat im Laborversuch festgestellt, dass Kupfer im Boden die Fortpflanzung beeinträchtigt oder zur Abwanderung der Population führt. Kupferbrühe verwenden allerdings ausgerechnet Biobauern unter anderem im Weinbau. Winzer setzen sie seit 100 Jahren gegen Pilzbefall ein, und die EU hat die Verwendung von Kupfer bis Februar 2018 zugelassen.
"Große Mengen Kupfer können die Enzyme der Regenwürmer negativ beeinflussen. Ihr Wachstum wird gehemmt oder sie vermehren sich nicht mehr richtig", hat Bernd Hommel, Experte für Pflanzenanalytik und ökologische Chemie herausgefunden. Der Forscher konnten allerdings auch feststellen, dass einige Regenwurmarten das aufgenommene Metall wieder ausscheiden konnten.
Auswirkungen des Klimawandels
Dürreperioden dezimieren die Wurmpopulationen besonders stark. Gibt es aber zu wenige Würmer, führt das dazu, dass die Böden sich stärker verdichten, schlecht durchlüftet sind und zu wenig Wasser aufnehmen.
"Ein Boden mit sehr vielen Regenwürmern nimmt bis zu 150 Liter Wasser pro Stunde und Quadratmeter auf", erklärt WWF-Expertin Birgit Wilhelm: "Ein an Regenwürmern verarmter Boden reagiert hingegen auf Regen wie ein verstopftes Sieb: Es kommt nicht mehr viel durch." Das kann wiederum zu reißenden Bächen und Hochwasser führen", so Wilhelm.
Guter Boden - viele Regenwürmer
Der WWF warnt vor einer "gefährlichen Kettenreaktion für den Menschen" und fordert: "Die Landwirtschaft muss stärker auf sein Wohlergehen ausgerichtet werden. Daher gilt es, von Politik und Gesellschaft eine Humus aufbauende und Boden schonende Landwirtschaft stärker zu fördern." Erhalt und Förderung der natürlichen Bodenfruchtbarkeit müssten auch Ziel einer gemeinsamen EU-Agrarpolitik sein, fordert WWF-Sprecherin Birgit Wilhelm.
Gute Böden werden zunehmend wichtiger zur Sicherstellung der Nahrung der steigenden Weltbevölkerung bei gleichzeitigem Flächenschwund infolge von Versiegelung durch Bebauung. Doch die langfristige Fruchtbarkeit und Regenerationsfähigkeit landwirtschaftlicher Nutzfläche ist in Gefahr.
Somit müssten die Regenwurmpopulationen durch den Landbau gefördert werden. Und auch dafür gibt es Lösungen: "Eine Bodenbedeckung durch Zwischenfrüchte wie Kleegras über den Winter hat zu einer starken Zunahme der Regenwürmer geführt", hat Heinz-Christian Fründ herausgefunden. Ein Hoffnungsschimmer für Bewohner der Tiefe.