"Es geht um Rassismus"
18. Dezember 2018Sheila Mysorekar ist Vorsitzende der Neuen Deutschen Medienmacher - ein Verein, der sich als bundesweiter Zusammenschluss von Medienschaffenden mit unterschiedlichen kulturellen und sprachlichen Kompetenzen und Wurzeln für mehr Vielfalt in den Medien einsetzt. Sie selbst ist in Indien und Deutschland aufgewachsen und lebt in Köln.
Deutsche Welle: Frau Mysorekar, wie sind Migranten in deutschen Redaktionen repräsentiert?
Sheila Mysorekar: Sie sind schlicht und einfach unterrepräsentiert. Menschen aus Einwandererfamilien bilden ein Viertel der Bevölkerung in Deutschland. Und in den Redaktionen sind nicht ein Viertel der Mitarbeiter aus Einwandererfamilien. Insgesamt hat nur jeder 50. Journalist einen Migrationshintergrund.
Woran liegt das?
Das hat mehrere Gründe: Zum einen denken Redaktionsleiter oder Ausbilder oft, dass Leute mit komischen Namen oder anderen Hautfarben nicht ordentlich Deutsch sprechen. Das nehmen sie einfach mal an. Des Weiteren kommen die meisten Journalisten in Deutschland aus bildungsbürgerlichen Familien. In der Ausbildung muss man viele unbezahlte Praktika machen und das geht nur, wenn die Familie oder jemand anderes einen unterstützt. Leute aus armen Familien können das nicht - das gilt auch für Deutsche. Aber Menschen aus Einwandererfamilien kommen in der Regel eher aus der Arbeiterschicht, die generell unterrepräsentiert ist in den deutschen Medien. Und um einen Job zu bekommen, braucht man ein Netzwerk. Das funktioniert besser, wenn die Eltern schon entsprechende Kontakte haben.
Deshalb fallen Menschen mit Migrationsgeschichte oftmals hinten über?
Ja, wir haben meist keine Eltern, die im Golfclub sind, nicht mit Intendanten Polo spielen - und deswegen ist es wesentlich schwieriger, Kontakte zu knüpfen. Das gilt aber eben auch für Studierende aus Arbeiterfamilien. Die haben es genauso schwer in deutschen Redaktionen.
An welchen Stellschrauben müssen wir arbeiten, damit das besser wird?
Man muss mit den Aus- und Fortbildungsabteilungen der Redaktionen sprechen: Sie müssen auf eine vernünftige Repräsentation achten, und für das Thema sensibilisiert werden. Bei der Auswahl von Volontärinnen und Volontären muss darauf geachtet werden - man achtet ja auch darauf, dass Frauen dabei sind. Das ist nicht nur gut für "die Ausländer" hier. Vielfältige Perspektiven, Mehrsprachigkeit und interkulturelle Kompetenz sind für die ganze Redaktion gut und damit auch für die Zuschauer, Hörer oder User. Wenn die Redaktionen sehr einheitlich besetzt sind - mit Männern, Weißen, Westdeutschen - dann ist die Berichterstattung recht einseitig und bestimmte Erfahrungen der Bevölkerung werden nicht wahrgenommen. Mit einer vielfältigen Redaktion wird also auch die Berichterstattung besser.
Wie zeigt sich dieses Problem konkret in der Berichterstattung?
Es geht um die Perspektive: Wie werden migrantische Minderheiten in den Medien dargestellt? Meist werden sie als Problem oder als Risiko dargestellt. Selten geht es um Bereicherung oder einfach um Normalität. Das ist besonders traurig, weil die meisten ein ganz normales Leben führen als Steuerzahler oder Eltern von Kindergartenkindern, die zu allen Themen etwas zu sagen hätten. Tatsächlich kommen sie aber nur vor, wenn es um Terror oder Islam geht. Das ist absurd.
Was sind denn Fehler, die viele Medien immer noch machen in der Berichterstattung über Migranten?
Ein alltäglicher Fehler ist zum Beispiel die Bildauswahl. Man gibt ein: Frau, Islam, Flüchtling - da kommen immer stereotypisierende Bilder, sei es eine Gruppe von Flüchtlingen, die auf die Kamera zuläuft, oder eine Frau mit Kopftuch und Plastikeinkaufstüten. Das hilft nicht. Ein eigenes Archiv mit guten Bildern könnte da helfen. Zum anderen ist die Wortwahl wichtig: Reden wir von Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit? Wenn Nazis schwarze oder muslimische Deutsche für Ausländer oder Fremde halten, müssen wir das noch lange nicht so wiedergeben. Reden wir von Rassismus, denn darum geht es! Des Weiteren sollten wir darauf achten, in welchen Zusammenhängen Menschen mit Migrationsgeschichte auftauchen. Ist es immer nur der Fall, wenn es um Islam, Sicherheit oder Terrorismus geht? Oder wird auch mit ihnen gesprochen, wenn es um Steuern oder Parkplätze geht? Also um Normalität?
Wie hat sich die Berichterstattung denn in Deutschland entwickelt?
Es hat einmal einen wirklichen Peak in sehr negativer Berichterstattung Anfang der 1990er Jahre gegeben. Damals ging es auch um Asyl - und die Rechten haben eine enorme Kampagne gegen Flüchtlinge gefahren. Damals sind ja viele Flüchtlingsunterkünfte angezündet worden und Menschen sind sogar gestorben. Damals wurde über Migration nur als Problem berichtet. In den Nullerjahren hatte sich die Lage etwas beruhigt, und seit ein paar Jahren sehe ich wieder eine Art Obsession, was das Thema angeht. Zum Beispiel haben sich die meisten Menschen bei den letzten Bundestagswahlen nachgewiesen stärker für andere Themen als Flüchtlinge interessiert. Doch die Wohnungsnot wurde kaum thematisiert.
Beobachten Sie große Unterschiede zwischen verschiedenen Migranten-Gruppen, etwa wie über Muslime oder andere Europäer berichtet wird?
Selbstverständlich. Da gibt es eine ganz klare Hierarchie, Ausländer ist nicht gleich Ausländer. Ein Engländer kann vielleicht ein schrulliger Brexit-Anhänger sein, aber ansonsten wird er nicht schlecht dargestellt. Aber über Muslime wird eigentlich nur negativ berichtet - auf andere Religionen wird kaum geachtet. Es gibt einen Generalverdacht gegenüber Muslimen - und dabei sind die Statistiken eindeutig: Die Zahl der Muslime in Deutschland wird stark überschätzt (Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lebten Ende 2015 bis zu 4,7 Millionen Muslime in Deutschland, das entspricht einem Anteil von 5,7 Prozent an der Gesamtbevölkerung, Anm. d. Red.). Muslime sind also immer ein Problem - und Roma.
Zum Internationalen Tag der Migranten: Wenn Sie sich eine Sache als Vertreterin der Neuen Deutschen Medienmacher wünschen könnten - was wäre das?
Ich wünschte, diesen Tag müsste man nicht so begehen. Stattdessen könnten wir uns daran erinnern, wer von unseren Eltern oder Großeltern wo auch immer her migriert ist. Zum anderen denke ich, dass man es als Tatsache nehmen sollte, dass die Menschen in ihrer Geschichte immer hin- und hergezogen sind - und dass wir keine Kultur hätten, wenn das nicht so gewesen wäre.
Das Interview führte Jennifer Wagner.