Iran: Frauen zwischen Rebellion und Repression
20. November 2024Mit einem Budget von umgerechnet 3,5 Millionen Euro soll eine "soziale Schönheitsklinik" in der Hauptstadt Teheran errichtet werden, um Frauen, die die islamischen Kleidervorschriften nicht einhalten, "zu helfen", teilte Mehri Talebi Darestani letzte Woche auf der Plattform X mit. Darestani ist Leiterin der Frauen- und Familienabteilung der staatlich finanzierten Organisation "Gutes befehlen und Böses verbieten".
Diese Ankündigung löste eine Welle der Empörung im Iran aus. "Wäre eine Entzugsklinik gegen Korruption nicht wichtiger?" oder "Haben wir nicht ständig Stromausfälle? Wäre es nicht sinnvoller, dieses Geld anders einzusetzen?", kommentierten iranische User. "Das ist doch ein Witz", schrieb das Nachrichtenportal "Khabar-Online".
Die Regierung von Präsident Massud Peseschkian versucht sich von diesem Plan zu distanzieren und betonte, nichts mit der Angelegenheit zu tun zu haben. "Und wer hat das Budget genehmigt?", fragte das Nachrichtenportal Jamaran.ir Anfang der Woche in einem ausführlichen Beitrag über die Empörung in der Gesellschaft über diese Idee.
Rebellion gegen Unterdrückung: Der Fall Ahoo Daryaie
"Hinter dieser ‚Kreativität‘ steckt sicher eine Menge Recherche, Überlegungen und zweifellos ein gigantisches Budget", merkt die Fotojournalistin Aliyeh Motallebzadeh zynisch an. Im Gespräch aus Teheran mit der DW erklärt sie: "Mehr Druck auf Frauen wird ihre Protestaktionen gegen den obligatorischen Hijab radikalisieren". Motallebzadeh, die auch Vizepräsidentin der "Iranischen Vereinigung zur Verteidigung der Pressefreiheit" ist, wurde mehrfach wegen ihres Engagements für Frauenrechte inhaftiert - zuletzt von Oktober 2022 bis Februar 2023.
"Der Fall der Studentin Ahoo Daryaie, die sich aus Protest gegen die Sittenwächter in der Öffentlichkeit bis auf ihre Unterwäsche auszog, zeigt, dass diese mutigen jungen Frauen keine Angst vor drastischen Protestaktionen haben" sagt sie und fügt hinzu: "Viele Frauen haben Verständnis für sie. Hier vor Ort gab es viel Empathie. Ihr Handeln war das Ergebnis einer lang angestauten Wut infolge harter Unterdrückung."
Die 30-jährige Ahoo Daryaie, eine Studentin an der Islamischen Azad-Universität in Teheran, wurde am 2. November 2024 wegen eines angeblich nicht korrekt getragenen Hidschabs angehalten und schikaniert. Während dieser Auseinandersetzung sollen Teile ihrer Kleidung zerrissen worden sein. Aus Protest zog sie sich bis auf ihre Unterwäsche aus und setzte sich in den Innenhof der Universität. Kurz darauf wurde sie verhaftet. Laut Behörden habe die Studentin an "psychischer Labilität" gelitten und wurde in einem Krankenwagen in eine psychiatrische Einrichtung gebracht.
Aliyeh Motallebzadeh äußerte sich besorgt über den Gesundheitszustand von Ahoo Daryaie. Viele Protestierende leiden während und nach ihrer Haft in Gefängnissen oder psychiatrischen Einrichtungen unter schweren Krankheiten. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Protestierender in eine psychiatrische Einrichtung gebracht wird. Kianoosh Sanjari, Journalist und Menschenrechtsaktivist, der sich am 13. November 2024 mitten in Teheran das Leben nahm, litt unter den Folgen seiner Zwangseinweisungen und Elektroschockbehandlungen.
"Jede Person, die Widerstand leistet, gilt aus Sicht des politischen Systems im Iran als verrückt", sagte Mina Khani im Gespräch mit der DW. Die iranische Menschenrechtsaktivistin und Publizistin lebt in Berlin. Sie fügte hinzu: "Lange war nicht bekannt, wie die protestierende Studentin heißt. Niemand aus ihrem Umfeld wagte es, Medien oder Menschenrechtsorganisationen zu kontaktieren. Ein Mann, der sich als ihr Ex-Mann ausgab, wurde schnell vor die Kamera gestellt und appellierte an die Öffentlichkeit, ihre Fotos nicht weiter zu verbreiten und den Fall nicht zu verfolgen. Was sie getan hat, war ein Schock für die patriarchalische Gesellschaft im Iran. Es kann sein, dass wir nie wieder von ihr hören. Doch ihre Protestaktion hat Spuren hinterlassen."
Ahoo Daryaie soll am 7. November entlassen worden sein. Das teilte Vahid Shariat, der Präsident der Iranian Psychiatrists Association, am 17. November auf seinem Account auf der Plattform X mit. In welchem Zustand sie sich befindet und welche "Behandlung" sie erhalten hat, ist nicht bekannt.
Kritik aus Fachkreisen: Missbrauch der Wissenschaft
Die Idee, eine "soziale Schönheitsklinik" für Frauen einzurichten, die sich weigern, die strengen Kleidervorschriften zu befolgen, scheint ein Versuch zu sein, Frauen einzuschüchtern und gleichzeitig der religiösen Basis des politischen Systems entgegen zu kommen. Die Organisation "Gutes befehlen und Böses verbieten" betont, ihre sei Initiative auf Wunsch und wiederholte Aufrufe vieler Familien zustande gekommen, die aufgrund des zunehmenden Ignorierens der Kleiderordnung vom Zusammenbruch bedroht seien.
Initiativen, die Frauen zwingen wollen, ihr Verhalten zu ändern, stoßen in Fachkreisen des Landes auf deutliche Kritik. So äußerte sich Vahid Shariat, Professor für Psychiatrie an der Iranischen Universität für Medizinische Wissenschaften, in einem Interview mit der Tageszeitung "Etimad". Es sei ein grundlegender Irrtum zu glauben, man könne durch die Gründung einer Klinik den Lebensstil von Menschen verändern oder behandeln. "Diese Idee stellt einen Missbrauch der wissenschaftlichen Sprache und des wissenschaftlichen Vokabulars dar, was letztlich der Wissenschaft selbst schadet", betont Shariati weiter. "Man kann wissenschaftliche Prinzipien nicht willkürlich interpretieren und jeden Tag etwas Neues als Krankheit oder Anomalie deklarieren. Wir können und sollten unterschiedliche Ansichten nicht als Abweichung etikettieren und dann versuchen, sie zu 'heilen'."
Seit Beginn der Frauenbewegung im September 2022 verzichten immer mehr Frauen auf das Tragen des obligatorischen Kopftuchs und stellen sich der islamischen Kleiderordnung entgegen, selbst in der Öffentlichkeit. Auch die strengen und teilweise gewaltsamen Kontrollen der Sittenwächter konnten diese Entwicklung nicht aufhalten. Auslöser der Frauenproteste war der Tod der jungen iranischen Kurdin Mahsa Amini. Sie wurde von der Sittenpolizei festgenommen, weil unter ihrem Kopftuch einige Haarsträhnen zu sehen waren, und starb später im Polizeigewahrsam.