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Gegen Institutionen

6. Februar 2010

Russland will eine neue Sicherheitsarchitektur für Europa - doch der Westen bremst Moskau bei jeder Gelegenheit aus. Der russische Außenminister Sergej Lawrow suchte in München nach einer Lösung.

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Symbolbild Nato / Russland (Quelle: DW)
Bild: AP GraphicsBank/DW

Über das russische Selbstbewusstsein ist auf der Münchner Sicherheitskonferenz schon viel diskutiert worden. Besonders der Auftritt von Wladimir Putin vor drei Jahren gehört zu den Höhepunkten der Konferenzgeschichte. Damals legte der russische Präsident die enge diplomatische Weste ab und überraschte das Publikum mit einer wütenden Generalabrechnung mit dem Westen. Viel wurde in den Monaten danach über die Befindlichkeiten der Russen und ihre Sorge vor einer Nato, die sich mit der Osterweiterung den russischen Grenzen nähert, diskutiert.

Der russische Praesident Wladimir Putin spricht am 10.Februar 2007 auf der Sicherheitskonferenz in Muenchen. (Foro: AP)
Wladimir Putin auf der Sicherheitskonferenz 2007Bild: AP

Vom Tisch ist das Thema bis heute nicht. Am Freitag (05.02.2010) unterzeichnete Russlands Präsident Dmitri Medwedew neue verteidigungspolitische Grundsätze, die als Hauptbedrohung die Nato sehen. In München legte Außenminister Sergej Lawrow den Finger in genau diese Wunde und kritisierte die Ausdehnung des westlichen Militärbündnisses. Es gehe für die Zukunft um das Prinzip der Unteilbarkeit der Sicherheit in ganz Europa. Kein Staat dürfe seine Sicherheit auf Kosten anderer gewährleisten, forderte Lawrow.

Neues Kräfteverhältnis in Europa

Das aktuelle Kräfteverhältnis in Europa ist geprägt von der Einbindung Moskaus in unterschiedliche sicherheitspolitische Institutionen. Seit 1991 arbeiten Nato und Russland in militärischen Fragen zusammen - seit 2002 gibt es den Nato-Russland-Rat. Außerdem kooperiert Moskau in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mit seinen Nachbarn. Dass dies nicht auf Dauer so bleiben muss, wissen die Partner Russlands spätestens seit Präsident Medwedew im Sommer 2008 seine Idee eines "neuen europäischen Sicherheitsvertrags" und im vergangenen November erste Details dazu präsentierte. Demnach geht es Russland um einen juristisch bindenden Vertrag, der alle relevanten Staaten und Organisationen vereinen und ihre Beziehungen neu regeln soll. Wie genau dieser Vertrag ausgestaltet sein soll, ist aber bis heute völlig unklar.

Nato-Russland-Rat (Logo)

"Russland will aus den alten Institutionen raus"

Warum aber will Moskau das eng geknüpfte Netz der Sicherheit in Europa durch ein neues System ersetzen? Der Politikwissenschaftler Christian Hacke ist sich sicher: "Russland will aus den alten Institutionen raus." Das Land fühle sich nach dem Machtzuwachs durch die derzeitigen Partnerschaften eingeengt. Tatsächlich hat zum Beispiel die OSZE-Mitgliedschaft für Moskau durchaus unangenehme Folgen, da sich die Organisation zum Beispiel neben militärischen Fragen auch um Menschenrechtsfragen kümmert. In einem nach den Wünschen Russlands geformten europäischen Sicherheitsvertrag stünde dieses Thema sicher nicht im Vordergrund, dafür aber die Rüstungskontrolle.

Welche Chancen haben die russischen Pläne?

Russisches Raktensystem (Foto: ITAR-TASS)
Russlands Militär zu neuer Stärke?Bild: picture-alliance/dpa

Den westlichen Nato-Staaten, die sich auf den Kampf gegen den Terrorismus konzentrieren, kommt das Drängen Moskaus reichlich ungelegen. Die Sicherheit in Europa im traditionellen militärischen Sinn sehen dort nur wenige Politiker in Gefahr. Allenfalls die osteuropäischen Staaten in der russischen Nachbarschaft diskutieren heute noch über die klassischen Bedrohungen.

Auch die Rüstungskontrolle im Hinblick auf Russland ist für den Westen heute weniger drängend als noch in der Vergangenheit. Eine neue europäische Sicherheitsarchitektur mit dem Fokus auf klassische Bedrohungsszenarien erscheint ihnen daher wenig verlockend. Und so hat der Westen die russischen Pläne an die OSZE verwiesen, wo sie seit vergangenem Sommer diskutiert oder - wie Russland fürchtet - tot geredet werden. In der Tat sind Ergebnisse dieser Diskussionen derzeit nicht absehbar. Auch ein Blick in die Vergangenheit dürfte die Russen beunruhigen: Rund 2.400 Treffen waren zwischen der Sowjetunion und dem Westen in den 1970er Jahren nötig, um die Vorläuferorganisation der OSZE auf dem Weg zu bringen.

Die russische Gefahr

Wenn sich Russland in München einen Schub für seinen Sicherheitsvertrag erhofft hat, ist dieser Wunsch nicht in Erfüllung gegangen sein. Aus Washington übermittelte US-Außenministerin Hillary Clinton zu Konferenzbeginn eine klare Absage an Medwedews Sicherheitsplan. Auch der deutsche Außenminister Guido Westerwelle zeigte sich skeptisch, wenngleich er in München für eine "substantielle Diskussion" warb. Hinter dieser Zurückhaltung steckt wohl auch die Unsicherheit über die wahren Ziele der Russen. Gut möglich, dass Moskau vor allem eine Schwächung der Nato und einen größeren Einfluss in Europa im Sinn hat. Doch genau das liegt nicht im Interesse des Westens.

Am Ende also viel Lärm um nichts? Nicht ganz. Nach dem Auftritt der Russen in München ist klar: Der russische Patient leidet unter den bestehenden Kräfteverhältnissen in Europa. Und ein gekränktes Russland, so Politikwissenschaftler Hacke, könnte zur Gefahr für die europäische Sicherheit werden.

Autor: Andreas Noll

Redaktion: Manfred Böhm