Rauchen in China
27. Februar 2014Pekings Kettenraucher haben eine neue Verteidigungsstrategie entwickelt, um ihre Sucht zu rechtfertigen: Weil der Smog in der Stadt ohnehin immer dichter wird, würden ein paar Zigaretten am Tag mehr oder weniger auch nichts weiter ausmachen. Das ist nur solange lustig, solange der Staat die Gesundheitskosten der Raucherkrankheiten nicht tragen muss. Vor allem deshalb hatten die Nichtraucher in Europa und den Vereinigten Staaten eine Chance, Verbote durchzusetzen, in deren Folge die Zahl der Raucher seit Jahren zurückgeht. In China ist das noch anders. Das Land ist etwa in der Entwicklungsphase wie Deutschland in den sechziger und siebziger Jahren. Da gehörte auch in Deutschland die Zigarette zum guten Ton. Im Bett wurde geraucht, im Auto und morgens diente die leere Schale des Frühstückseis als Aschenbecher.
Qualmweltmeister China
So ist es jetzt noch in China außerhalb der großen Städte. Nur, dass es nun ein paar mehr sind, als es selbst in den USA je waren. Die Volksrepublik zählt inzwischen sogar mehr Raucher als Menschen in den USA leben. Über 350 Millionen und die Tendenz: weiter steigend. Hinzu kommen 760 Millionen Passivraucher. Wenn die Regierung nicht hart durchgreift, sollen bis 2020 noch einmal 100 Millionen Raucher dazukommen. Denn anders als zum Beispiel in Deutschland dürfen Zigaretten auch an Minderjährige verkauft werden.
Zudem sind die Tabaksteuern in China so niedrig wie fast nirgendwo sonst auf der Welt. Hier könnte der Staat ansetzen. Denn trotz der geringen Steuern machen Zigaretten fast ein Zehntel der jährlichen Staatseinnahmen aus. In Tabakanbauregionen sogar knapp die Hälfte. Die Tabakindustrie ist natürlich dagegen und argumentiert, dass rund 60 Millionen Chinesen davon leben, Zigaretten herzustellen und zu verkaufen. In der Hochburg der Zigarettenproduktion, Gongan in der Provinz Hubei, war die Stadtregierung vor einigen Jahren deshalb besonders kreativ: Sie ordnete an, dass die Behördenmitarbeiter insgesamt 230.000 Packungen lokal hergestellter Zigaretten pro Jahr rauchen müssen. Abteilungen, die ihr Soll nicht erfüllten, wurden bestraft. Das ist allerdings volkswirtschaftlich nur kurzfristig sinnvoll.
Eine Million Tote pro Jahr
Jährlich sterben über eine Million Chinesen an den Folgen des Rauchens. Allein im letzten Jahrzehnt haben sich die Lungenkrebsraten verfünffacht. Da spielt natürlich auch der Smog eine Rolle. Zyniker mögen in chinesischen Blogs zwar einwenden, dass es eine wirksame Methode sei, um das Bevölkerungswachstum einzudämmen und auch die Behandlungen der Raucherkrankheiten Menschen im Gesundheitswesen Lohn und Arbeit geben. Der neue Präsident Xi Jinping will sich nun aber trotzdem mit der Tabakindustrie und den Rauchern anlegen. Es wird sich zeigen müssen, ob Xi Jinpings Reformwille den Weg durch den dichten Qualm findet oder nur heiße Luft bleibt.
Immerhin: Erste Schritte in die richtige Richtung hat Xi bereits einleiten lassen. Seine Frau hat er so kürzlich zu Chinas Anti-Raucher Botschafterin gemacht. Seit Anfang des Jahres sind Zigaretten für Beamte in Schulen, Krankenhäusern, Sportarenen und im öffentlichen Nahverkehr zudem tabu. Untersagt ist es den Staatsbediensteten auch, Zigaretten während der Arbeit anzubieten oder in Büros der Kommunistischen Partei Tabakprodukte zu verkaufen oder zu bewerben. Sein Ziel ist, Zigaretten wie im Westen gänzlich von öffentlichen Plätzen zu verbannen.
Meinte Xi es tatsächlich ernst mit seiner Offensive gegen das Rauchen, müsste eigentlich ein viel entschlossenerer Schritt folgen: Die Tabaksteuer muss deutlich erhöht werden. Das würde die Zahl der Raucher senken und nebenbei mehreren Millionen Chinesen das Leben retten. Auch wenn Peking diesen Schritt tatsächlich diskutiert, eine Sache dürfte auch dem furchtlosen Xi dabei kalte Füße bereiten: Wie wird die größtenteils arme Landbevölkerung reagieren, wenn ihr das einzige Laster, das sie sich leisten kann, genommen wird? Werden die Menschen demonstrieren und der Regierung ihre Unterstützung versagen?
Die Angst vor sozialer Unruhe ist bei den Machthabern tief verankert. Und deshalb ist dies womöglich die schwierigste politische Herausforderung, weitaus schwieriger als der Kampf gegen Korruption. Denn bei der hat Xi zumindest die Bevölkerung hinter sich.
DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.