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Ralph Giordano: Ein Mahner verstummt

Jochen Kürten10. Dezember 2014

Er war Journalist und Schriftsteller, Filmemacher und ein gefragter Zeitgenosse, wann immer es um gesellschaftliches Engagement ging. Er nahm kein Blatt vor den Mund. Das gefiel nicht allen. Nun ist er gestorben.

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Ralph Giordano Schriftsteller Deutschland (Foto: dpa-bildfunk)
Bild: picture-alliance/dpa/A. Warmuth

Wer immer Ralph Giordano einmal gegenüber gesessen, mit ihm über Gott und die Welt gesprochen und ihm zugehört hat, der war beeindruckt. Giordano konnte erzählen. Zudem war er mit seiner schlohweißen Mähne und dem stets um den Hals geschlungenen roten Schal auch äußerlich eine eindrucksvolle Persönlichkeit. Und Giordano konnte sein Gegenüber mitreißen, ihn teilhaben lassen an seinem Leben, an seinem reichen Erfahrungsschatz. Das heißt nicht, dass man alles gutheißen musste, was Giordano sagte. Doch es war immer faszinierend, wie engagiert, auch wie emotional er dabei war, wenn es um Politik und Geschichte, um eigene Erlebnisse und andere Sichtweisen ging.

Schlüsselerlebnis Befreiung

Giordano war ein Vollblutautor. Als Journalist und Schriftsteller, als Filmemacher und als kritischer Begleiter des Zeitgeschehens. Das hatte vor allem wohl auch mit einem Ereignis zu tun, dass er selbst später einmal als Schlüsselerlebnis bezeichnet hat. Als Sohn einer jüdischen Klavierlehrerin, der Vater war Pianist, hatte er sich in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges vor den Nazis in einem Hamburger Keller versteckt gehalten. Dort befreiten ihn britische Soldaten, seine beiden Brüder und seine Eltern.

HH nach Ende des 2. WK (Foto: by Fox Photos/Hulton Archive/Getty Images)
Zwischen den Trümmern seiner Geburtsstadt Hamburg wuchs der junge Ralph Giordano aufBild: Getty Images

"Die Befreiung von der Angst vor dem jederzeit möglichen Gewalttod (…) war und ist das Schlüsselerlebnis meines Daseins", schrieb Giordano später in seiner Autobiografie. Geboren 1923 in Hamburg, wo er auch zur Schule ging, wurde er schnell mit dem nationalsozialistischen Machtanspruch konfrontiert. Das Gymnasium musste er aufgrund der "Nürnberger Gesetze" verlassen. Die Familie wurde schikaniert, auch der Heranwachsende wurde von der Gestapo verhört und misshandelt.

Anfänge als Journalist

Diese Erlebnisse sollten sein Leben prägen. Zunächst schlug er eine journalistische Laufbahn ein, ließ sich in Leipzig ausbilden, arbeitete unter anderem für die "Allgemeine Jüdische Wochenzeitung". Weltanschaulich war die nächste Dekade von sozialistischem Gedankengut geprägt. Von 1946 bis 1957 war Ralph Giordano Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands. Doch konfrontiert mit dem "Realen Sozialismus", folgte der nächste Bruch im Leben. Nach nur neun Monaten Aufenthalt in Leipzig zog es Giordano 1955 wieder in den Westen. Ein paar Jahre später brachte er dann in seinem Buch "Die Partei hat immer recht" das zu Papier, was er schmerzlich erleben musste: dass die Ideale des Sozialismus und Kommunismus häufig nichts mit den wahren Bedürfnissen der Menschen zu tun hatten. Das Buch wurde zu seiner ganz persönlichen Abrechnung mit dem Stalinismus.

Rechtsradikale Gewalt gegen Ausländer in Rostock-Lichtenhagen 1992n (Foto: dpa)
Giordano engaierte sich vehement gegen rechtsextreme Ausschreitungen wie hier in Rostock-Lichtenhagen 1992Bild: picture-alliance/dpa

Fast drei Jahrzehnte arbeitete Giordano dann bei westdeutschen Fernsehanstalten, drehte über 100 Filme, meist zu historischen und politischen Themen, schrieb auch für das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Gleichzeitig verschaffte sich der Autor ein zweites Standbein als Schriftsteller. Sein zum Teil autobiografisches Werk "Die Bertinis", das eine Familiengeschichte über die Zeitspanne von vier Jahrzehnten umfasste, wurde zu einem großen Bucherfolg. Dass dann auch die Verfilmung für das Fernsehen ein Erfolg wurde, entpuppte sich für den Autor als Glücksfall. Den Popularitätsschub nutzte er nicht zuletzt für weitere Bücher. Viele wurden Bestseller.

Vom Umgang der Deutschen mit dem Nationalsozialismus

Insbesondere der Umgang der Deutschen nach 1945 mit ihrer Vergangenheit der Jahre während des Nationalsozialismus ließ ihn nicht mehr los. Bücher wie "Die zweite Schuld oder Von der Last, Deutscher zu sein" kreisten um die seiner Meinung nach mangelnde Aufarbeitung der braunen Historie in seinem Heimatland. Giordano schlug dabei oft einen harten und manchmal von einigen auch als unversöhnlich verstandenen Tonfall an. Das nahmen ihm viele übel. Er erregte ebenso viel Widerspruch wie er Zustimmung fand. Doch sein Engagement gegen Antisemitismus und Fremdenhass war stets getragen von einer tiefen Überzeugung und dem Willen, das auch öffentlich zum Ausdruck zu bringen: Dem "rechten Ungeist" müsse man mit Aufklärung und inhaltlicher Auseinandersetzung begegnen und mit Zivilcourage, so der Publizist.

Bildergalerie Moscheen in Deutschland Köln (Foto: Marius Becker/dpa)
Giordano rieb sich an der neuen großen Kölner MoscheeBild: picture alliance/dpa

Dieser Widerspruchsgeist und wohl auch die Lust an der Provokation führten in den letzten Lebensjahrzehnten dazu, dass sich Giordano im Mittelpunkt erregter gesellschaftlicher Debatten wiederfand. Seine harschen islamkritischen Positionen, die er auch gerne zuspitzte, fanden manchmal Beifall von Seiten, die dem Autor wohl auch nicht behagten. Unter anderem wandte er sich gegen die These des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff, der Islam gehöre zu Deutschland. Auch engagierte sich der Autor gegen die geplante und später realisierte große Moschee in Köln, der er Gigantismus vorwarf. Der Friedensbewegung und linken Parteien warf er beim Thema Irak eine zu lasche Haltung vor. Zuletzt äußerte er großes Unverständnis über die verschleppten Ermittlungen im NSU-Prozess: "Mir wird bange um die demokratische Republik - die einzige Gesellschaftsform, unter der ich mich sicher fühlen kann", bemerkte er in diesem Zusammenhang.

Bis zum Schluss engagiert

Manchmal hatte man den Eindruck, Ralph Giordano befinde sich mit seinen Positionen zwischen allen Stühlen. Ein Mann der Diplomatie war er nicht. Dafür liebte er zu sehr das freie Wort, die engagierte Debatte und die klar formulierte Meinung. In Anbetracht seiner Erfahrungen in den Jahren zwischen 1933 und 1945 ist das verständlich. In Erinnerung bleiben wird Ralph Giordano, der jetzt im Alter von 91 Jahren in Köln gestorben ist, als ein ungemein engagierter Zeitgenosse, mutig und mit nicht nachlassender Energie, Meinungsfreiheit und Menschenrechte zu propagieren.