Widerstand mit Raketen
13. Juli 2014Raketen aus dem Gazastreifen am Himmel über Tel Aviv, Kampfflugzeuge und Drohnen über Gaza: Palästinenser und Israelis bekämpfen sich wieder. Nach den mörderischen Kriegen von 2008 und 2012 nehmen es die beiden Feinde noch einmal miteinander auf. Über 160 Palästinenser hat die Ende Juni neu entflammte Konfrontation bis zum Sonntagnachmittag (13.07.2014) das Leben gekostet, über 1100 wurden verletzt.
Was war der Zündfunke für den aktuellen Gewaltausbruch? Die Entführung und Ermordung der drei israelischen Teenager im Westjordanland? Die bis heute nicht belegte Behauptung der Israelis, die islamistische Hamas stecke hinter diesem Verbrechen? Oder erst die Ermordung eines 16-jährigen Israelis palästinensischer Herkunft durch jüdische Extremisten? Je nach Standpunkt erhält man auf die Frage ganz unterschiedliche Antworten. Die Hamas habe Raketen auf Israel abgefeuert, und dagegen habe man sich verteidigen müssen, sagt der israelische Sicherheitsexperte Shaul Shay vom Interdisciplinary Center Herzliya.
Neue Form des Widerstands
Die Juristin Rania Madi von der palästinensischen Menschenrechtsorganisation Badil sieht es anders. Für sie sind die Raketen aus Gaza eine Reaktion auf die Ereignisse rund um die Entführung und Ermordung der drei israelischen Teenager im Westjordanland. Israel habe darauf übermäßig reagiert. Das Militär habe hunderte Unschuldige festgenommen, die Häuser zweier Mitglieder der Hamas zerstört, ohne Beweise für deren Täterschaft zu haben. Hinzu komme, dass die palästinensische Autonomiebehörde all dies habe geschehen lassen. Das habe viele Menschen empört und dazu gebracht, die Raketenangriffe aus Gaza gutzuheißen. In den sozialen Medien kommuniziere sie ausgiebig mit palästinensischen Rechtsanwälten oder Menschenrechtsaktivisten, so Madi: "Die meisten sind Linke und unterstützen die Hamas nicht. Wohl aber unterstützen sie den Widerstand."
Harte Lebensumstände
Im Gazastreifen seien viele Menschen mit der Hamas noch aus einem anderen Grund solidarisch, so der Politikwissenschaftler Usama Antar von der Al-Azhar-Universität in Gaza. Die Lebensumstände seien dort sehr schwierig. Die Menschen würden wie Tiere behandelt, so Antar weiter. Sie bekämen Nahrung zugeteilt, dürften aber sonst keine Ansprüche stellen und vor allem ihr Gehege, den Gazastreifen, nicht verlassen. "Niemand kann akzeptieren, unter derartigen Bedingungen zu leben."
Der Widerstand sei auch darum legitim, weil Gaza - völkerrechtlich betrachtet - immer noch von Israel besetzt sei, sagt Rania Madi. "Die Bevölkerung hat weder Zugang zur See noch in den Luftraum. Sie kann den Gazastreifen nicht verlassen", argumentiert die palästinensische Juristin. "Die Grenzen werden von den Israelis kontrolliert. Darum gilt der Gazastreifen weiterhin als besetzt."
Auge um Auge
Antar und Madi widersprechen der These, die Hamas setze die Raketen vor allem darum ein, um verlorenes politisches Terrain wiederzugewinnen. Der Kampf werde nicht nur von der Hamas und andere islamistischen Gruppen getragen. Auch weltliche Kräfte hätten sich ihm angeschlossen - auch Mitglieder der säkularen Fatah: "Sie alle betrachten die Raketen als Akt des Widerstands", sagt Usama Antar. Israel betreibe eine rücksichtlose Politik, meint der Politikwissenschaftler aus Gaza. Die wollten die Palästinenser nicht einfach hinnehmen. "Solange wir unter Beschuss liegen, sollen auch die anderen unter Beschuss stehen. Solange wir leiden, sollen es auch die anderen - darüber sind sich die Palästinenser einig."
Sowohl Antar als auch Madi - beide Experten sind sich einig: Es wäre viel klüger, diesen Krieg sofort zu beenden und eine politische Lösung zu finden. Doch das sei derzeit unmöglich, so Antar. Auch darum, weil die Palästinensische Autonomiebehörde es an einer entschlossenen Politik gegenüber Israel fehlen lasse. Insbesondere wünscht er sich ein weiteres Vorgehen auf internationaler Ebene, vor allem den Beitritt der Palästinenser zum Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Sei der entsprechende Vertrag erst unterzeichnet, könnten die Palästinenser gegen Israel auch juristisch vorgehen - und so erheblich unter Druck setzen. "Netanjahu und seine Regierung haben Angst vor dem Internationalen Strafgerichtshof", mein der Politikwissenschaftler aus Gaza. "Das wird sie davon abhalten, so brutal gegen die Menschen im Gazastreifen vorzugehen." Dennoch zögere der palästinensische Präsident Mahmud Abbas, die entsprechenden Schritte einzuleiten.
Abbas stehe unter erheblichem internationalem Druck, erklärt Rania Madi dessen Lage. Denn wenn der Palästinenserpräsident eine Beitrittserklärung zum Internationalen Strafgerichtshof unterzeichne, seien die westlichen Staaten unter Umständen verpflichtet, sämtliche israelischen Siedler im Westjordanland als politische Straftäter anzusehen. Damit täte sich die Staatengemeinschaft schwer.
Nach dem Scheitern der Friedensgespräche und der jüngsten Eskalation der Gewalt schwindet bei vielen Palästinensern die Hoffnung auf eine politische Lösung. Die aus Gaza abgeschossenen Raketen seien militärisch völlig wirkungslos, räumt Usama Antar ein. Aber sie seien ein Zeichen, dass die Palästinenser sich Israel nicht beugen wollten. Nutznießer dieser Entwicklung ist die Hamas. Ihr trauen viele Palästinenser am ehesten zu, Israel entgegenzutreten. Diplomatie und Politik haben in ihren Augen versagt. Als letzte Option scheint ihnen allein die Gewalt zu bleiben.