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KlimaGlobal

Rätsel um Hitze-Rekorde geklärt: Es fehlen Wolken

5. Dezember 2024

Das Jahr 2023 brachte sprunghafte Hitze-Rekorde - in den Meeren wie bei der globalen Durchschnittstemperatur. Warum der Anstieg so heftig war, blieb lange ein Rätsel. Nun haben Forscher eine mögliche Erklärung gefunden.

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Die Sonne scheint an einem blauen zwischen Wolken hindurch
Ein Rückgang bestimmter Wolken treibt die Erderwärmung anBild: Rolf Vennenbernd/dpa/picture alliance

Sie heißen Cumulus, Stratus oder Stratocumulus:Wolken, die sich in eher geringer Höhe zur Erdoberfläche bilden. Allen gemeinsam ist: Sie reflektieren das Sonnenlicht und kühlen damit die Erdoberfläche ab.

Und sie werden weniger - zumindest in bestimmten Regionen. Das zeigt eine aktuelleStudie des Alfred-Wegener-Instituts, dem Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI).

Wir blicken auf das Jahr 2023: alarmierende Rekorde beim Anstieg der Meeresspiegel, dem Schmelzen der Gletscher sowie extreme Hitzewellen an Land und auch in den Meeren. Die globale Durchschnittstemperatur stieg erstmals kurzfristig auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau.

Eine Person mit Gasmaske und gelber Warnweste trägt einen Schlauch, unweit von ihr schlagen Flammen in die Luft
2023: Hitzewellen in Europa fachten vielerorts Brände an, wie hier in der griechischen Lagonisi-RegionBild: SPYROS BAKALIS/AFP

"Erklärungslücke" von 0,2 Grad

Ein Großteil dieser Erwärmung ließ sich mit der hohen Treibhausgas-Konzentration in der Atmosphäre durch menschliche Einflüsse erklären. Außerdem mit den Auswirkungen des Wetterphänomens El Niño. Aber auch wenn man all diese Faktoren zusammenrechnete: In der Bilanz blieb eine Lücke von 0,2 Grad Celsius.

"Die Frage nach der Erklärungslücke von 0,2 Grad Celsius im Jahr 2023 ist aktuell eine der prominentesten Fragen der Klimaforschung", sagt Helge Gößling, Hauptautor der neuen AWI-Studie.

Gößling und sein Team schlossen zunächst die stärkere Sonnenaktivität sowie das Fehlen von Aerosolpartikeln, also Schwebeteilchen in der Atmosphäre, in die Rechnung mit ein. Eine Lücke blieb dennoch.

Dann verglich das AWI-Team gemeinsam mit dem Europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage (ECMWF) Satellitendaten der NASA und Erkenntnisse des ECMWF aus Beobachtungsdaten und Wettermodellen. Die Forschenden blickten bis ins Jahr 1940 zurück und betrachteten auch Informationen zur Bewölkung in verschiedenen Höhen.

Dabei kam heraus, dass 2023 im analysierten Zeitraum das Jahr mit dem geringsten sogenannten Albedo-Effekt war. Der Albedo-Effekt beschreibt die Fähigkeit einer Oberfläche die Sonnenergie zu reflektieren, und hängt von deren Helligkeit ab. Frischer Schnee ist fast weiß und reflektiert somit am meisten Sonnenenergie auf der Erde. Im Gegensatz dazu steht Asphalt, der die meiste Energie absorbiert.

Wird weniger Sonnenenergie zurück ins All gestrahlt, befeuert das die globale Erderwärmung. Das könnte die bisher fehlenden 0,2 Grad Celsius in der Klimarechnung für 2023 erklären.

Weniger Schnee, weniger Sonnenreflexion

Die Forschenden rechneten aus: Wäre die Reflexion der Sonneneinstrahlung von Dezember 2020 an stabil geblieben, wäre das Jahr 2023 im Mittel um etwa 0,23 Grad Celsius kühler gewesen.

Die Albedo der Erdoberfläche nimmt seit den 1970er Jahren ab, weil Schnee und Meereis in der Arktis seitdem immer weniger werden. Das bedeutet: weniger weiße Flächen, die Sonnenstrahlen reflektieren. Seit 2016 kommt noch der Meereis-Rückgang in der Antarktis hinzu.

"Die Analyse der Datensätze zeigt jedoch, dass der Rückgang in den Polarregionen nur etwa 15 Prozent zum jüngsten Rückgang der planetaren Albedo beigetragen hat", erklärt Helge Gößling. Die gesunkene Reflexion von Sonneneinstrahlung musste also noch an etwas anderem liegen.

Und tatsächlich, Gößlings Team fand heraus: Es werden deswegen weniger Sonnenstrahlen ins All zurückgeworfen, weil es immer weniger niedrige Wolken gibt – also Cumulus, Stratus und Stratocumulus.

Eine einzelne weiße Cumuluswolke am blauen Himmel
Eine typische Cumuluswolke, auch Schönwetterwolke genannt, bringt in der Regel keinen RegenBild: Imago

Niedrige Wolken kühlen, hohe Wolken erwärmen Erde

Niedrige Wolken nahmen vor allem in den in nördlichen mittleren Breiten, in den Tropen und über dem Atlantik ab. In der Atlantik-Region wurden 2023 die ungewöhnlichsten Hitzerekorde verzeichnet.

Die Wolkenbedeckung in hohen und mittleren Höhen ging dagegen kaum bis gar nicht zurück. Und das verschärft das Problem. Denn Wolken in hohen, kalten Luftschichten reflektieren zwar auch einen Teil der Sonneneinstrahlung. Sie haben aber zusätzlich eine wärmende Wirkung.

Der Grund: sie halten die Wärme, die die Erdoberfläche abstrahlt, in der Atmosphäre – wie eine Decke. Niedrigere Wolken haben diesen Effekt nicht. "Gibt es weniger niedrigere Wolken, verlieren wir nur den Kühleffekt, es wird also wärmer", erklärt Gößling. In Europa habe es in den vergangenen zehn Jahren immer weniger solcher Wolken gegeben. 

Cirrocumulus-Wolken am weiß-blauen Himmel
Cirrocumulus-Wolken bilden sich in großen Höhen und halten die Wäre der Erde zurück wie eine DeckeBild: Pond5 Images/IMAGO

Lässt die Erderwärmung die Wolken verschwinden?

Zusammengefasst: Weniger Wolken in niedriger Höhe bedeuten weniger Sonnenreflexion und das wiederum bedeutet höhere Temperaturen auf der Erde. Nicht so eindeutig ist, warum es weniger niedrige Wolken gibt.

Ein Grund dürfte sein, dass weniger Ruß- und andere Feinstaubpartikel in die Luft gelangen. Dafür haben Luftreinhaltungsgesetze, etwa strengere Auflagen beim Schiffsdiesel, gesorgt. Solche Aerosole wirken in der Atmosphäre als sogenannte Kondensationskeime, um die herum sich Wassertröpfchen sammeln - also Wolken bilden. Natürliche Schwankungen und Wechselwirkungen in den Ozean könnten ebenfalls den Wolkenrückgang in niedrigen Höhen verursacht haben.

Satellitenaufnahme vom Wirbel zweier tropischer Stürme im Atlantik
In der Atlantikregion gab es 2023 Temperaturrekorde - und durch wärmere Luft entstehen mehr Wirbelstürme Bild: NOAA/AP/picture alliance

Laut AWI-Forscher Gößling reichen diese Faktoren als Erklärung aber eher nicht aus. Er vermutet noch einen dritten Mechanismus hinter dem Verschwinden von Cumulus, Stratus und Co: die Erderwärmung selbst.

Eine solche Rückkopplung zwischen Erderwärmung und Wolken legten auch einige Klimamodelle nahe. Sollte diese Rückkopplung tatsächlich für den gesunkenen Albedo-Effekt verantwortlich sein, so Gößling, "müssen wir mit einer starken zukünftigen Erwärmung rechnen."

"Wir könnten 1,5-Grad-Grenze schneller erreichen als gedacht"

Das hieße nicht, dass es schon bald eine Erwärmung der globalen Durchschnittstemperatur um acht Grad oder dergleichen gebe, so Gößling. Aber: "Unter den verschiedenen Klimamodellen, die es gibt, dürften dann eher die zutreffen, die einen schnelleren Anstieg der Temperaturen voraussagen. Wir könnten einer dauerhaften globalen Klimaerwärmung von über 1,5 Grad Celsius also schon jetzt näher sein als gedacht."

Daher sei noch schnelleres und entschiedeneres Handeln gegen die Klimakrise dringend geboten, betont der Wissenschaftler. Um die im Pariser Klimaabkommen vereinbarte Grenze der Erwärmung von 1,5 Grad Celsius einhalten zu können, dürften noch viel weniger Treibhausgase ausgestoßen werden. Und, so Gößling: "Maßnahmen gegen die Auswirkungen der zu erwartenden Wetterextreme werden noch dringlicher."

DW-Redakteurin Jeannette Cwienk
Jeannette Cwienk Autorin und Redakteurin, Fokus unter anderem: Klima- und Umweltthemen