Queen verliest Wahlprogramm der Tories
14. Oktober 2019Langsam steigt die 93-jährige Elisabeth II. die Stufen zu ihrem Thron im House of Lords empor, ein Diener arrangiert die rote Schleppe, während die Queen sich in ihrer schweren Robe setzt. Neben ihr Thronfolger Prinz Charles, der weiter darauf wartet, einmal selbst für die rituelle Verlesung der Regierungserklärung zuständig zu sein. Die Königin aber ist hier zu einer Schauveranstaltung gezwungen, denn Boris Johnson hat keine Mehrheit im Parlament, kann also gar keine Gesetze verabschieden. Was die Queen vorliest, ist das Wahlprogramm seiner konservativen Partei.
Brexit dominiert Regierungserklärung
"Ziel meiner Regierung war immer der Brexit am 31. Oktober", liest die Königin vom Blatt, und Boris Johnson hat ihr aufgeschrieben, wie er sich das denkt. Die Neuregelung des Verhältnisses zur EU solle im Mittelpunkt stehen, bei Fischerei, Landwirtschaft und Handel, alles basierend auf einem neuen Freihandelsabkommen, das aber vage bleibt. Bekannt ist, dass Boris Johnson dabei eine Minimallösung sucht und sich von EU-Regeln so weit wie möglich entfernen will. Ein neues Zuwanderungsgesetz werde die Bewegungsfreiheit beenden und neue Kriterien für Migration einführen, heißt es weiter.
Nach den Brexit-bezogenen Themen kommt eine lange Liste mit anderen Gesetzesvorhaben und Projekten - insgesamt sind es 26. Sie reicht von einer besseren Finanzierung des Gesundheitswesens bis zu einem ganzen "Law und Order"-Paket, Verschärfung von Gefängnisstrafen, schnellere Ausweisung ausländischer Straftäter und mehr Polizei inklusive. Auf dem konservativen Parteitag in Manchester hatte Innenministerin Priti Patel für diese Pläne den größten Beifall bekommen.
Die Queen muss auch bessere Bildung für alle ankündigen, und dass Großbritannien ein Weltführer bei Wissenschaft und Raumfahrt werden solle. All diese Vorhaben sind leere Hülsen, ohne Einzelheiten und Kostenrechnungen. Unterhaus wie Bürger wissen: Der Premierminister muss erst Wahlen gewinnen, um dieses Programm umzusetzen. Die Eröffnungsrede der Königin im Parlament war im Prinzip der Startschuss für den beginnenden Wahlkampf - und ein Missbrauch der Monarchin. Aber spätestens seit Johnsons früherer Lüge der Queen gegenüber, als es um die illegalen Zwangsferien für das Unterhaus ging, ist sie von ihm Kummer gewöhnt.
Eröffnungsrede ist eine Farce
Oppositionsführer Jeremy Corbyn nennt die Rede der Königin eine Farce: Boris Johnsons Regierung fehlten 45 Stimmen zu einer Mehrheit im Parlament, und sie habe bisher eine Versagerquote von 100 Prozent. Damit bezieht er sich auf die Tatsache, dass der Premier seit seinem Amtsantritt im Juli jede einzelne Abstimmung im Unterhaus verloren hat. Ansonsten widerspricht er den Plänen der Konservativen und verspricht eine politische und ökonomische Umkehr unter Labour. Das leidige Thema Brexit lässt er weitgehend aus, fordert aber Boris Johnson zu einem Verlängerungsantrag auf. In seiner Partei wird immer noch darüber gestritten, ob sie zuerst für ein zweites Referendum kämpfen oder erst Neuwahlen anstreben solle. Corbyn will Wahlen, was aber gefährlich ist, denn die Umfragen zeigen einen soliden Vorsprung der Tories.
Boris Johnson setzt seine inzwischen bekannten hemmungslosen Versprechen und Übertreibungen dagegen: Großbritannien werde der großartigste Ort der Welt, und nach dem Brexit werde ein Zeitalter neuer Chancen beginnen. Man müsse nur zuerst am 31.Oktober die EU verlassen. Was der Premierminister dagegen weglässt, sind die unerfreulichen Zahlen, die von seinen eigenen Beamten veröffentlicht wurden. Ein karger Freihandelsvertrag mit der EU, wie er ihn plant, werde die britische Wirtschaft um sieben Prozent schrumpfen lassen, so errechneten sie.
Seine Regierungserklärung, sagt Boris Johnson, sei ein ehrgeiziges Programm, das Land wieder zu vereinen. Es ist gespickt mit Ausgabeversprechen, deren enorme Kosten bisher nicht gegengerechnet scheinen. Am 6. November werde Finanzminister Sajit Javid seinen Haushalt vorstellen, so ist angekündigt. Allerdings dürfte der Termin kaum zu halten sein, weil bis dahin vermutlich Neuwahlen angesetzt sind. Zu den Details des Brexit am 31. Oktober aber hält sich der Premierminister zurück.
Heiße Woche in Westminster
Den Rest der Woche über soll die Regierungserklärung im Unterhaus debattiert werden. Dann aber folgt der sogenannte Super-Samstag, an dem der eigentliche Kampf um den Brexit, um Neuwahlen und eine Verlängerung stattfinden wird. Wenn Boris Johnson am Donnerstag beim EU-Gipfel tatsächlich das Ja für den Umriss eines Brexit-Deals bekommt, dann muss er ihn am Samstag dem Parlament vorlegen. Ob er dann auf eine Mehrheit setzen kann, ist ungewiss. Die Opposition hat ihm schon eine Absage erteilt, und die nordirische DUP ist wütend über die jüngsten Zugeständnisse bei der Zollunion. Sicher ist nichts.
Außerdem ist für die gleiche Sitzung eine Abstimmung darüber geplant, ob der Deal in einem zweiten Referendum den Bürgern vorgelegt werden soll. Die Frage hieße dann: In der EU bleiben oder Johnsons Austrittsdeal zustimmen? Auch hier ist noch nicht sicher, wie die Mehrheitsverhältnisse aussehen.
Und schließlich geht es um die Frage der Verlängerung. Kommt Boris Johnson ohne Deal aus Brüssel zurück, zwingt ihn das Gesetz zu einem Antrag auf Verlängerung. Bisher hat er sich um eine klare Position dazu herumgewunden.
Mäßiger Optimismus in Brüssel
Irlands Außenminister Simon Coveney zeigte sich beim Treffen seiner EU-Kollegen in Luxemburg zuversichtlich. Ein Deal sei "vielleicht noch in dieser Woche möglich". Aber er muss Zweckoptimismus zeigen; schließlich hatte sein Premier mit Boris Johnson die letzte Verhandlungsrunde in Gang gesetzt.
EU-Brexit-Unterhändler Michel Barnier warnte dagegen am Sonntag, dass noch viel Arbeit vor den Teams beider Seiten liege. Die Europäer sind weiter unzufrieden mit der von Boris Johnson vorgeschlagenen Zolllösung für Nordirland. Nirgendwo auf der Welt würde ein derartiges hybrides System funktionieren, sagen Diplomaten in Brüssel. Die UK-Regierung hatte vorgeschlagen, dass Nordirland zwar zum britischen Zollsystem gehören solle, den EU-Regeln aber quasi assoziiert würde. Die Briten müssten zurückkehren zum alten Nordirland-Backstop, so heißt es hinter den Kulissen, selbst wenn man einen neuen Namen dafür erfindet.
Bis Dienstagabend läuft die Frist für die Verhandlungen. Gibt es dann keine Lösung, muss der Brexit einmal mehr für mindestens ein Vierteljahr - wenn nicht länger - aufgeschoben werden.