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LiteraturDeutschland

Putin-Kritikerin Anne Applebaum erhält Friedenspreis

Stuart Braun
26. Juni 2024

Die Historikerin und Journalistin Anne Applebaum wird mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2024 ausgezeichnet. Die Jury überzeugten vor allem ihre präzisen Beobachtungen der russischen Politik.

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Eine Frau in Anzugjacke schaut nach links
Anne Applebaum ist bis dato jüngste Trägerin des FriedenspreisesBild: Angel Navarrete/IMAGO/El Mundo

"In einer Zeit, in der die demokratischen Errungenschaften und Werte zunehmend karikiert und attackiert werden, wird ihr Werk zu einem eminent wichtigen Beitrag für die Bewahrung von Demokratie und Frieden", heißt es in der Preisbegründung über Anne Applebaum.

Die polnisch-amerikanische Journalistin schreibt für das US-Magazin "The Atlantic" und hat ausführlich über Mittel- und Osteuropa berichtet.

Sie hat auch "schon früh vor der möglichen gewaltvollen Expansionspolitik Wladimir Putins gewarnt", wie es in ihrer Biografie heißt.

Appelbaum ist die Autorin der Bücher "Der Gulag (2003)", "Der Eiserne Vorhang" (2012), "Roter Hunger" (2019) und die "Die Verlockung des Autoritären" (2021), in denen sie sich mit den Mechanismen autoritärer Machtsicherung auseinandersetzt.

Sie hat zahlreiche wichtige Auszeichnungen erhalten, darunter den renommierten Pulitzer-Preis 2004 und den Carl-von-Ossietzky-Preis 2024.

Der Friedenspreis wird alljährlich zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse vom Börsenverein des deutschen Buchhandels im Herbst verliehen, in diesem Jahr am 20. Oktober.

Im vergangenen Jahr ging die Auszeichnung an den britisch-amerikanischen Autor Salman Rushdie. Zu den bisherigen Preisträgern gehören unter anderem Margaret Atwood, Orhan Pamuk, Susan Sontag, Amos Oz und Vaclav Havel.

Ein Kämpfer für die Freiheit des Wortes

Reise durch die kommunistische und postsowjetische Geschichte

Anne Applebaum wurde 1964 in Washington, D.C. als Tochter jüdischer Eltern geboren. Sie studierte russische Geschichte und Literatur an der Yale University und später Internationale Beziehungen an der London School of Economics und in Oxford.

Ihre journalistische Laufbahn begann 1988 als Auslandskorrespondentin in Polen für die Zeitschrift "The Economist". Dort erlebte sie das Ende des Eisernen Vorhangs und berichtete vor Ort vom Fall der Berliner Mauer.

Nachdem sie für verschiedene britische Zeitungen wie "The Spectator", "The Evening Standard" und als Kolumnistin beim "Daily Telegraph" gearbeitet hatte, zog sie in die USA, um für die "Washington Post" zu schreiben, wechselte dann zum Magazin "The Atlantic" wechselte, wo sie weiterhin als Kolumnistin tätig ist.

"Wir waren nicht wachsam genug"

In den letzten Jahren wurde sie zu einer der wichtigsten Beobachterinnen des russischen Autokraten Wladimir Putin und des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine.

"Dies ist ein Krieg, der Europa für immer verändert hat", sagte sie 2023, ein Jahr nach dem Einmarsch, der Deutschen Welle. "Die Vorstellung von einem für immer sicheren Europa ist jetzt vorbei. Dies ist ein Krieg, der uns in eine neue Ära führt."

Anne Applebaum spricht in ein Mikrofon mit dem "Deutsche Welle"-Logo.
Anne Applebaum im DW-InterviewBild: DW

"Wir waren nicht wachsam genug, als Putin sagte, er wolle das Sowjetimperium wiederherstellen", fügte sie hinzu.

Der bekannte deutsche Historiker Karl Schlögel, der sich wie Applebaum auf osteuropäische und russische Geschichte spezialisiert hat, sagte im DW-Gespräch, die Arbeit der polnischen Amerikanerin sei ein "seltener Fall" von "tiefgründiger akademischer Forschung in Kombination mit der Fähigkeit, eine Geschichte zu erzählen". 

Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels sei "hochverdient", so Schlögel, nicht nur, weil Applebaum in ihrem Buch "Der Gulag" die Geschichte der sowjetischen Gulags entscheidend "aktualisiert" habe, sondern auch, weil ihre umfangreichen Recherchen in ukrainischen Archiven sie zu "einer der besten Beobachterinnen und Kommentatorinnen" der Situation im Land seit der Invasion gemacht hätten.   

Inzwischen wird Applebaums neues Buch "Die Diktatoren, die die Welt regieren wollen", das später in diesem Jahr erscheinen soll, als "ein alarmierender Bericht" darüber beschrieben, wie "Autokratien zusammenarbeiten, um die demokratische Welt zu untergraben, und wie wir uns organisieren sollten, um sie zu besiegen".

Putin und Kim Jong Un geben sich die Hand und lächeln in die Kamera.
Gefahr für die demokratische Welt? Putin und Nordkoreas Diktator Kim Jong UnBild: GAVRIIL GRIGOROV/AFP/Getty Images

Viel Lob für ihr Werk, das vor Putins Aggression warnt

Anne Applebaum erhält die Auszeichnung auch für ihre Verdienste um Demokratie und Frieden.

Ein zentrales Element ihrer Arbeit sei es, die Fragilität demokratischer Gesellschaften aufzuzeigen, gerade wenn, so die Begründung der Jury, "Demokratien von innen, durch Wahlerfolge von Autokraten, ausgehöhlt werden".

Der niederländische Historiker Pieter Gerrit Kroeger gratulierte Applebaum auf X. Er hatte 2018 in einem Podcast mit Applebaum über die Bedrohung der Demokratie durch Wladimir Putin gesprochen. "Putin ist wirklich der moderne Erfinder dessen, was die Russen verwaltete Demokratie nennen", sagte Applebaum damals. "Was im Grunde eine gefälschte Demokratie ist."  

Sie warnte auch vor einem beispiellosen Ausmaß an "hasserfüllter Rhetorik" in Russland gegenüber Europa und einer angeblichen Bedrohung durch die NATO. Das Narrativ der Kreml-Propaganda "Die europäische Zivilisation stirbt, die NATO will Russland vernichten" bezeichnete sie als "extrem aggressiv". Gut drei Jahre später überfiel Russland die Ukraine unter dem Vorwand, sich vor der NATO zu schützen. 

Propagandaschlacht um die Ukraine

Als sich damit Applebaums Prophezeiungen über Putin und das Wiederaufleben eines russischen Autokratismus erfüllten, sei sie dennoch nie "in eine Art Triumphalismus" verfallen, bemerkte der Historiker Karl Schögel. Vielmehr habe auch sie einen "selbstkritischen" Blick auf die entsprechenden "Schwächen" der westlichen liberalen Demokratien gehabt. Bei all ihren Kommentaren, ihrer Publizistik und ihrer wissenschaftlichen Arbeit für die Demokratie habe Applebaum davon profitiert, "die Situation vor Ort zu kennen", so Schlögel weiter.

Die Schriftstellerin ist die jüngste Trägerin des Friedenspreises, der 1950 erstmals vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels für sein "Engagement im Dienste der internationalen Verständigung zwischen Völkern und Kulturen" gestiftet wurde.

Die mit 25.000 Euro (26.730 US-Dollar) dotierte Auszeichnung, die von Verlegern und Buchhändlern gestiftet wird, hat inzwischen - nicht zuletzt durch ihre prominenten Preisträger - weltweite Anerkennung gefunden.

Dieser Artikel erschien zuerst in englischer Sprache. Adaption: Silke Wünsch

DW Autor l Kommentatorenfoto Stuart Braun
Stuart Braun Australischer DW-Journalist und Buchautor.