Putin prescht vor
31. August 2014Was will Wladimir Putin in der Ukraine erreichen? Über diese Frage rätseln führende Politiker im Westen seit Beginn der Krise. Einigkeit herrscht, dass ohne den russischen Präsidenten keine politische Lösung in dem russischen Nachbarland möglich ist. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier betonte zuletzt aber, es habe nur dann Sinn, mit Moskau zu sprechen, "wenn Russland mit offenen Karten spielt".
Nun hat der Kremlchef einen neuen Aspekt ins Spiel gebracht: Bei einem TV-Auftritt forderte er offiziell Gespräche über eine Eigenstaatlichkeit für die umkämpfte Südostukraine. Die Verhandlungen über "die politische Organisation der Gesellschaft und die Eigenstaatlichkeit für die Südostukraine" müssten "sofort beginnen", sagte Putin. Ziel müsse es sein, die "gesetzlichen Interessen der dort lebenden Menschen zu schützen".
Putins Sprecher Dimitri Peskow bestritt indes, dass Moskau eine Spaltung der Ukraine anstrebe. Die Rebellen sollten keinen eigenen Staat erhalten, allerdings müsse Kiew "die Interessen Neurusslands anerkennen". Den Begriff "Neurussland" hatte Putin in der Nacht zum Freitag in einer offiziellen Erklärung für die umkämpfte Südostukraine verwendet.
Putins Forderung - Einblick in russische Kriegsziele?
Die von den russischen Nachrichtenagenturen verbreiten Putin-Zitate stammten aus einem am Freitag aufgezeichneten TV-Interview. Es war der bislang deutlichste Ruf Putins nach einem eigenen Status für die gesamte Region. Lange hatte Russland einzig mehr Rechte für die ostukrainischen Gebiete im Zuge einer Föderalismusreform gefordert. Die selbst ernannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk und die zwischen ihnen geschlossene Union namens "Neurussland" erkennt Moskau bisher nicht an. Mit seiner jüngsten Aussage unterstützt Putin aber die prorussischen Separatisten, die eine Unabhängigkeit von der Ukraine erreichen wollen. Seit fast fünf Monaten liefern sich diese mit ukrainischen Regierungstruppen erbitterte Kämpfe im Südosten des Landes. Nach UN-Angaben wurden dabei inzwischen fast 2600 Menschen getötet.
Die ukrainische Regierung hatte bereits eine Dezentralisierung angekündigt, um einzelnen Regionen mehr Befugnisse und Minderheiten mehr Mitspracherechte zu geben. Eine Unabhängigkeit oder ein Sonderstatus der von den Separatisten besetzten Gebiete kommt für sie aber nicht infrage. Verhandlungen mit den Separatisten lehnt Kiew ab. Russland wirft der ukrainischen Regierung vor, diese mit Waffen und mit eigenen Soldaten zu unterstützen und die ukrainische Souveränität zu untergraben.
Ukraine übergibt gefangene Soldaten an Russland
Moskau hat bislang alle Vorwürfe zurückgewiesen, Soldaten zum Kampf an die Seite der Separatisten in die Ukraine geschickt zu haben. Allerdings waren in der vergangenen Woche zehn russische Fallschirmjäger auf ukrainischem Territorium festgenommen worden. Am Sonntagmorgen wurden die Soldaten wieder in ihre Heimat entlassen. Im Gegenzug ließ Russland mehr als 60 ukrainische Soldaten frei, die nach Kämpfen im Konfliktgebiet Donbass die Grenze überschritten hatten.
Die russischen Soldaten hatten sich nach Darstellung des Außenministeriums in Moskau auf einer Patrouille "versehentlich" auf ukrainisches Territorium begeben. Westliche Diplomaten wie die kanadische NATO-Delegation bezweifeln dies.
Zweiter russischer Hilfskonvoi
Unterdessen hat Russland erneut rund 280 Lastwagen mit Hilfsgütern für die notleidenden Menschen im Konfliktgebiet Ostukraine gefüllt. Der Konvoi warte in der Region Rostow auf die Einfahrt in das Krisengebiet Donbass, berichtete das russische Staatsfernsehen. Der Zeitpunkt des Grenzübertritts und die Marschroute würden geheim gehalten.
Die neue Hilfslieferung hatten Kremlchef Wladimir Putin und der ukrainische Präsident Petro Poroschenko Medien zufolge bei ihrem Treffen am vergangenen Dienstag in Minsk vereinbart. Vor eineinhalb Wochen hatte Russland, begleitet von internationaler Kritik, mit rund 300 Lastwagen etwa 2000 Tonnen humanitärer Hilfe in die Ostukraine gebracht. Die Ukraine hatte dem Nachbarland daraufhin eine Invasion vorgeworfen, weil die Lastwagen ohne Zustimmung der Behörden die Grenze überquert hatten.
sp/as (dpa/afpd)