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Pussy Riot-Gründerin setzt die Wut gegen Putin in Kunst um

Elizabeth Grenier | Rayna Breuer
5. Juli 2024

Nadya Tolokonnikova wird in Russland für ihren Protest gegen das Regime verfolgt. Jetzt war sie für eine Performance in Berlin - im Gepäck ihre erste Soloausstellung mit dem Titel "Rage".

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Frauen mit Sturmmasken und schwarzen kurzen Kleidern tanzen vor einem Gebäude
"Rage": Die Performance vor der Neuen Nationalgalerie begeisterte das PublikumBild: Carsten Koall/dpa/picture alliance

"Wir brauchen ein bisschen mehr Platz, weil ich gleich schreien werde", sagt Pussy Riot-Gründerin Nadya Tolokonnikova und fordert die versammelte Menschenmenge auf, ein paar Schritte zurückzutreten, während sie sich mit ihrer Künstlergruppe vor der Neuen Nationalgalerie in Berlin auf den Auftritt vorbereitet.

"Und wisst ihr, warum ich schreien werde?", fügt Tolokonnikova hinzu, bevor sie mit ihrer Performance beginnt. "Weil von uns, Frauen und queeren Menschen, erwartet wird, leise zu sein, und deshalb werden wir jetzt unseren Platz einnehmen."

Porträt von Nadya Tolokonnikova
Nadya Tolokonnikova: Mit Kunst gegen UnterdrückungBild: Manuel Carreon Lopez/kunst-dokumentation.com/OK Linz

Unter den Hunderten von Anhängern des russischen feministischen Protestkollektivs tragen an diesem Tag viele Fans die ikonische Sturmhaube von Pussy Riot - genau wie die rund 50 Künstlerinnen, die Tolokonnikova  bei dieser Veranstaltung begleiten.

Pussy Riot erregte erstmals 2012 die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit, als die Aktivistinnen eine Performance in einer Moskauer Kathedrale aufführten. Ihr "Punk-Gebet", das sie in den für das Kollektiv typischen bunten Sturmhauben vortrugen, führte dazu, dass die Gründerinnen der Gruppe, Nadya Tolokonnikova und Maria "Masha" Alyokhina, wegen "Hooliganismus aus religiösem Hass" zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurden.

Vier Frauen mit Sturmasken tanzen in einer Kathedrale
Mit dieser Aktion in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau am 21. Februar 2012 wurde Pussy Riot weltbekanntBild: Mitya Aleshkovsky/TAR-TASS/dpa/picture alliance

"Wut" als Kunstform

Die einmalige Performance in Berlin soll dazu dienen, die Ausstellung von Nadya Tolokonnikova im OK Linz, einem österreichischen Museum für zeitgenössische Kunst, zu bewerben. Es ist das erste Mal, dass ihre Werke in einer Einzelausstellung in Europa zu sehen sind.

Der Titel der Ausstellung, "Wut", ist auch der Name von Tolokonnikovas letzter in Russland gedrehter Videoarbeit. Während der Dreharbeiten zu diesem Video stürmte Polizei herein; in einem dokumentarischen Ausschnitt am Ende des Musikvideos wird gezeigt , dass die Teilnehmer festgenommen wurden, weil sie an einem Filmdreh teilgenommen hatten, der laut russischen Behörden "Propaganda für Homosexualität enthält".

Das Video wurde veröffentlicht, kurz nachdem Alexej Nawalny bei seiner Rückkehr aus Deutschland nach Russland im Jahr 2021 verhaftet worden war. Pussy Riot setzt sich für die sofortige Freilassung des politischen Gefangenen ein. Nun, nach dem Tod Nawalnys in einer sibirischen Strafkolonie, treibt die Wut Tolokonnikowa weiter zu ihren Aktionen an.

Inspiration schöpft sie von Nawalnys Witwe, Julia Nawalnaja. "Sie hat es gut auf den Punkt gebracht", sagt Tolokonnikova. Es sei wichtig, nach dem Tod ihres Mannes nicht nur Trauer zu empfinden, sondern auch Wut. "Sie (Nawalnaja, Anm.d.Red.) benutzte genau das Wort: Wut. Wut ist ein sehr produktives Gefühl. Aber ich denke, sie muss richtig eingesetzt werden", so Tolokonnikova gegenüber der DW. "Wenn man die Wut nur aufstaut, brodelt sie in einem weiter und kann einen auffressen, aber wenn man sie herauslässt, zu einer Kundgebung geht oder eine Geste der politischen Kunst macht, kann sie großartig sein."

Frauen mit Sturmmasken stehen vor einem Gebäude, sie halten Banner auf denen auf Russisch und Englisch "Mörder" steht. Im Vordergrund liegen Blumen, dazwischen stehen Kerzen
Aktivistinnen der Pussy Riot Bewegung protestieren nach dem Tod Nawalnys vor der russischen Botschaft in Berlin Bild: ANNEGRET HILSE/REUTERS

Auf der Liste der meistgesuchten Personen Russlands

Nawalnys berühmtes Zitat "Liebe ist stärker als Angst" ist auch für Tolokonnikova immer wieder Motivation für ihre Arbeit, die bis heute von Furchtlosigkeit geprägt ist.

Ihre Performance aus dem Jahr 2022 mit dem Titel "Putins Asche" ist eine direkte Konfrontation mit dem russischen Präsidenten. Sie zeigt Frauen des Pussy Riot-Kollektivs, die ein Porträt von Wladimir Putin verbrennen und die Asche in Glasflaschen abfüllen.

In einem Glaskasten steht ein Fläschchen mit der Aufschrift "Putin's Ashes"
Ein Fläschchen mit der Aufschrift "Putins Asche" ist in der Ausstellung in Linz zu sehenBild: Manuel Carreon Lopez/kunst-dokumentation.com/OK Linz

Die Darstellerinnen, die Tolokonnikova in dem Video begleiten, sind "12 Frauen aus der Ukraine, Belarus und Russland, die Unterdrückung und Aggression durch den russischen Präsidenten erfahren haben", heißt es in einer Presseerklärung der konzeptionellen Performance-Künstlerin.

Kurz nach der Veröffentlichung des Videos landete Tolokonnikova auf der russischen Liste der meistgesuchten Frauen, wie das Nachrichtenportal "Mediazona" herausfand. Mediazona ist ein unabhängiges Medienunternehmen, das von Tolokonnikova und Maria Alyokhina gegründet wurde.

Unterstützung für die Ukraine

Tolokonnikova ist inzwischen aus Russland geflohen, doch sie bleibt gesellschaftspolitisch aktiv. Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine gründete sie eine andere Organisation, die NFTs von weiblichen, nicht-binären und LGBTQ+-Kunstschaffenden kuratiert. Durch den Verkauf der NFTs sammelte die Organisation sieben Millionen Dollar zur Unterstützung der Ukraine.

In ihrem TED-Vortrag von 2023 machte sie deutlich, warum Russland seinen Nachbarn angreift: "Putin wurde eingeschüchtert, weil die Ukraine den Weg der Freiheit und der Demokratie gewählt hat. Deshalb bombardiert die russische Armee Entbindungsstationen, Schulen und Krankenhäuser, vergewaltigt und tötet Zivilisten und wirft ihre Leichen in Massengräber. Putin und alle, die ihn unterstützen, sind innerlich tot, und sie müssen besiegt werden", sagte Tolokonnikowa.

Sie hielt ihre Rede, kurz nachdem sie erfahren hatte, dass sie auf der Liste der meistgesuchten Personen Russlands steht. Darin ging sie auch darauf ein, warum Putin sie als Bedrohung für sein diktatorisches System ansieht: "Nicht weil ich eine reelle Macht habe, sondern weil Mut ansteckend ist", sagte sie. Mut, so fügte sie hinzu, sei eine Kraft, die alle haben: "Es ist ein moralischer Akt, diese Kraft zu nutzen. Es mag sein, dass man nicht die gewünschten Ergebnisse erzielt, aber es liegt eine unglaubliche Schönheit darin, nach der Wahrheit zu suchen und alles zu riskieren, was man hat, um das Richtige zu tun."

Adaption aus dem Englischen: Rayna Breuer

Das Interview mit Nadya Tolokonnikova  führte Natalia Smolentceva auf Russisch.

DW Mitarbeiterportrait | Rayna Breuer
Rayna Breuer Multimediajournalistin und Redakteurin