1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Psychische Probleme von Soldaten nicht klein reden

Das Gespräch führte Steffen Leidel21. Dezember 2005

Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Bernhard Gertz, bescheinigt Verteidigungsminister Jung einen "guten Einstand". Gleichzeitig mahnt er, psychische Probleme der Soldaten im Auslandseinsatz ernst zu nehmen.

https://p.dw.com/p/7fxi
Weihnachten im Auslandseinsatz oft besonders belastendBild: dpa

DW-WORLD: Der neue Verteidigungsminister Franz Josef Jung ist auf Reisen, er war erst in Washington, am Dienstag folgte Dschibuti und dann kommt Afghanistan. Wie fällt Ihre Bilanz der ersten Amtshandlungen des neuen Ministers aus?

Bernhard Gertz: Mein Eindruck ist, dass er sehr zielorientiert an die Aufgabe herangeht und sich auch ganz bewusst den Soldaten zuwendet. Das begann mit dem ersten Truppenbesuch in seiner früheren Kaserne in Lahnstein und das setzt sich fort mit einer sehr anspruchsvollen und strapaziösen Rundreise nicht nur zu den Verbündeten, sondern auch zu den Soldaten im Einsatz. Und das soll ganz sicher das Signal sein: "Ich will euer Minister sein". Und das ist für den neuen Verteidigungsminister schon ein guter Einstand.

In Washington hat Jung gesagt, er möchte das deutsch-amerikanische Verhältnis noch "vertrauensvoller" gestalten. Was soll das denn heißen?

Ich denke, dass in der CDU/CSU doch mehr gewachsene transatlantische Bindungen da sind als vielleicht bei der Vorgängerregierung. Aber es wird schwer sein, diese besondere Sympathie durch Taten zu beweisen. Denn etwa bei der Frage "Einsatz von Soldaten im Irak" wird auch die Regierung der Großen Koalition den klaren Standpunkt "Wir schicken da keine Soldaten hin" verfolgen. Das wird sich nicht ändern. Deshalb sehe ich keine großen Möglichkeiten, diese gute Absicht handfest zu untermauern.

"Vertrauensvollere Zusammenarbeit" würde aber doch gerade mehr Einsätze bedeuten...

Es mag gut sein, dass die neue Regierungschefin in Bezug auf die ein oder andere Unternehmung der Amerikaner, was die Vokabeln angeht, etwas zurückhaltender sein und nicht mehr von "militärischen Abenteuern" oder ähnlichem sprechen wird. Da kann man für das Klima eine ganze Menge tun, aber auch eine ganze Menge mit kaputt machen mit solchen Vokabeln. Da wird sich die neue Regierung sicher etwas klüger verhalten. Aber in der Politik selbst, in der Frage "Was machen deutsche Soldaten mit" bin ich ziemlich sicher, dass da eine klare Kontinuität beibehalten wird.

Hat die Bundeswehr ihre Belastungsgrenze erreicht oder ist da noch was drin?

Die Bundeswehr muss man immer in dem Zustand sehen, in dem sie sich gerade befindet. Wir sind ja mitten in einem Transformationsprozess. Wir sind da lange noch nicht am Ende, der wird bis zum Jahre 2010 reichen. Bis dahin werden wir noch viele Standorte, viele Verbände auflösen, umgliedern. Erst im Jahr 2010 wollen wir deutlich mehr Soldaten verfügbar machen für Auslandseinsätze als heute, um auch die Belastungen gerechter auf mehr Soldaten verteilen zu können, damit nicht eine relativ kleine Anzahl von Soldaten immer wieder in Einsätze geschickt werden muss. So wie wir heute aufgestellt sind, haben wir unsere Grenzen erreicht. Ich möchte kräftig davor warnen, dass wir uns weiter Engagements anlachen, die wie im Balkan oder Afghanistan womöglich Jahrzehnte dauern.

Jung war am Dienstag in Dschibuti: Ist dieser Einsatz noch gerechtfertigt?

Das Horn von Afrika ist ein durch Piraten hoch gefährdetes Gebiet. Wir haben das in jüngster Zeit erlebt mit deutschen Kreuzfahrtschiffen, die der Hilfe und Unterstützung der Marine bedurften, um solche Angriffe zu erwehren. Das sind sehr unsichere Gewässer, Von daher macht es schon Sinn, dort die Seewege zu kontrollieren, auch wegen Waffenschmuggel und Proliferation beispielsweise von Kernwaffentechnologie, da kann man gar nicht vorsichtig genug sein.

Danach geht es weiter nach Afghanistan, einem der gefährlichsten Einsatzgebiete der Bundeswehr: Wie ist denn gerade die Stimmung so kurz vor Weihnachten?

Die Jungs fühlen zu Weihnachten mit den Familien. Und wenn man da nicht zu Hause sein kann, dann ist das ein hartes Brot. Auf der anderen Seite ist es das Los, das sie selbst gewählt haben. Sie tragen das Ganze sehr mannhaft. Aber gelegentlich wird man dann in solchen Phasen mal nachdenklich werden und über die Risikolage nachdenken. Denn auch wenn das in unserer Gesellschaft nicht gerne zur Kenntnis genommen wird, nur dann wenn es wieder einmal gekracht hat. Unsere Soldaten und Soldatinnen sind an jedem Tag, in jeder Minute und Sekunde gefährdet Opfer von Terroranschlägen zu sein.

In den USA haben die psychischen Belastungen von Soldaten nicht nur wegen des Irak-Einsatzes stark zugenommen. Wie ist das bei der Bundeswehr, nehmen auch hier die so genannten posttraumatischen Störungen zu?

Wir haben diese posttraumtischen Störungen auch. Sie treten bei manchen erst eine ganze Weile nach dem Einsatz auf. Das ist in der Tat ein Ernst zu nehmendes Problem. Deshalb versuchen wir nach dem Einsatz auch wirklich mit den Soldaten eine seriöse Nachbereitung zu machen. Wir bereiten sie auch vorher psychologisch auf solche Einsätze vor. Einer der Gründe, weshalb wir die Dauer des Kontingenteinsatzes von sechs Monaten Verbleib im Einsatzland auf vier Monate wieder herabgesetzt haben, ist die medizinische Beobachtung, dass ab dem vierten Monat im Auslandseinsatz die Gefahr solcher Gesundheitsstörungen signifikant ansteigt und gleichzeitig die physische Einsatzfähigkeit und psychische Belastbarkeit signifikant sinken. Daraus haben Ex-Minister Struck und Generalinspekteur Schneiderhahn auf Empfehlung des Bundeswehrverbandes die Konsequenzen gezogen. Ich bin dankbar dafür.

Haben Sie in dieser Beziehung Forderungen an den neuen Minister?

Wir haben Psychologen in der Bundeswehr, die die psychischen Probleme beobachten, wir haben Mediziner, Psychiater und Militärpfarrer, die in der Lage sind, solche Erkrankungen zu behandeln. Schwierig ist es, die Soldaten zu finden, bei denen eine solche Störung beginnt. Weil das Männerbild, das Soldaten von sich entwerfen, meist nicht wirklich zulässt, dass sie sich einem Vorgesetzten offenbaren, um ihm mitzuteilen: "Herr Major, ich glaube ich bin krank". Das ist unüblich, das wird verdrängt. Insgesamt ist das Problembewusstsein da, aber wir müssen da sehr aufpassen. Sicher wird das Problem nicht im gleichen Maße auftreten wie bei den Amerikanern, aber es wäre höchst unklug, das Ganze klein zu reden, denn dann hätten wir bald ein ganz gravierendes Problem (Nach Schätzung des Bundeswehrverbandes leiden fünf Prozent der im Ausland eingesetzten Soldaten unter psychischen Problemen, d. Red.).