Präsidentenwahl in Polen: Historiker gegen Bürgermeister
9. Dezember 2024Im August 2025 wird der amtierende polnische Präsident Andrzej Duda nach zwei Perioden aus dem Amt scheiden. Im Mai soll sein Nachfolger gewählt werden. Noch steht der genaue Termin nicht fest. Trotzdem kämpfen bereits jetzt die beiden politischen Lager um die Gunst der Wähler: die Mitte-Links-Regierung um Premier Donald Tusk und die nationalkonservative Opposition um den Vorsitzenden der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) Jaroslaw Kaczynski.
Lasershow und Zementsäcke
Kandidat der größten Gruppierung in der Regierung, der Bürgerkoalition (KO), ist der Stadtpräsident von Warschau (Bürgermeister), Rafal Trzaskowski. Er stellte sein Programm am Samstag (7.12.2024) bei der Auftaktveranstaltung seines Wahlkampfs in Gliwice (Gleiwitz) in Oberschlesien vor. An der im amerikanischen Stil mit großen Aufwand inszenierten Show mit Laserstrahlen und Bergmannsmusik beteiligten sich etwa 7000 Parteimitglieder und Anhänger. Auch sein Parteifreund Ministerpräsident Tusk war zugegen.
Der von der PiS ins Rennen geschickte Karol Nawrocki trat am gleichen Tag im 170 Kilometer entfernten Ladek Zdroj auf. Der Ort hatte während der Überschwemmungen im Spätsommer schwer gelitten. Am vergangenen Samstag half Nawrocki den Opfern des Hochwassers bei den Aufräum- und Renovierungsarbeiten. Er schleppte Zementsäcke und half dabei, einen Kühlschrank in ein saniertes Haus zu bringen.
Der 41-jährige Historiker gab der Tusk-Regierung die Schuld an der Naturkatastrophe und forderte Trzaskowski auf, den Flutopfern zu helfen, statt sich beklatschen zu lassen. Zudem eröffnete PiS-Chef Kaczynski an genau diesem Samstag auf dem Kurznachrichtendienst X (Twitter) ein Konto, auf dem er die Rede des KO-Kandidaten kritisch kommentierte.
Bei dieser Wahl geht es um alles
"Bei dieser Wahl geht es um alles", sagte Tusk in Gliwice. Sein Mitte-Links-Lager hat vor einem Jahr die Macht übernommen, konnte allerdings wegen der Obstruktionspolitik von Präsident Duda die meisten versprochenen Reformen bisher nicht umsetzen. Duda legt immer wieder sein Veto gegen die Gesetzesvorhaben der Regierung ein und verhindert damit, dass die Politik der Vorgängerregierung rückgängig gemacht wird.
Trzaskowskis Sieg würde die Blockade etwa bei Frauenrechten oder bei der Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit aufheben. Im Falle seiner Niederlage droht der Regierungskoalition dagegen Stagnation und womöglich auch der Zerfall.
Deshalb schickt Tusk mit dem Stadtpräsidenten von Warschau einen erfahrenen Kampfgenossen in die Schlacht um die Präsidentschaft. Trzaskowski hatte vor fünf Jahren nur knapp gegen Duda verloren. Damals hatten ihm 10 Millionen Polen ihre Stimme gegeben.
Der 52-jährige Politologe mit dem Doktortitel kann auf eine lange erfolgreiche Karriere zurückblicken: Er war unter anderem Minister für Verwaltung und Digitalisierung, Staatssekretär im Außenministerium und Europaabgeordneter. Seit 2018 regiert er Polens Hauptstadt. In der Partei ist er Stellvertreter von Tusk.
Trzaskowski wirbt um Wähler in der Provinz
Der linksliberale Politiker weiß, dass er zum Sieg auch die Zustimmung aus der Provinz braucht. Im Sommer hatte er heftige Proteste der katholischen Kirche ausgelöst, als er die Entfernung religiöser Symbole, darunter auch Kreuze, aus den Amtsstuben im Rathaus anordnete. Auch viele seiner Anhänger hielten diesen Schritt für einen Fehler.
Als Präsidentenkandidat ist Trzaskowski nun vorsichtiger geworden. In Gliwice sprach er viel von der Liebe zum Vaterland, von Gemeinschaftssinn und gleichen Chancen für alle. "Ich glaube an ein Polen, in dem die offene Hand gegen die geballte Faust gewinnen kann", sagte er.
Trzaskowski versprach, das restriktive Abtreibungsrecht zu liberalisieren. Auch eine Geste an die Adresse der Gastgeber fehlte nicht: Er kündigte an, die schlesische Sprache als Regionalsprache anzuerkennen, was Duda strikt ablehnt. Er nannte drei Themen, die in seinem Programm im Vordergrund stehen sollen: Wirtschaft, Sicherheit und Gleichheit.
Nadelstiche gegen EU und Deutschland
Mit Nadelstichen gegen die Europäische Union und Deutschland versuchte der Kandidat auch Wähler am Rand anzusprechen, die dem großen Nachbarn und der EU skeptisch gegenüberstehen. "Wir brauchen ökonomischen Patriotismus. Schluss mit naiver Betrachtung der Globalisierung", forderte er und kritisierte das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Wirtschaftsbündnis Mercosur. "Dieses Abkommen bedroht die Interessen polnischer Landwirte und sollte nicht geschlossen werden", sagte er.
Trzaskowski kündigte die Erhöhung der Verteidigungsausgaben bis 2026 auf fünf Prozent des BIP an und bezeichnete die Tatsache, dass Deutschland mit seiner neunmal größeren Volkswirtschaft als Polen "genauso viel oder nicht viel mehr" für das Militär ausgibt, als Skandal.
PiS-Kandidat gibt sich als Friedensengel
In Umfragen gibt derzeit die Mehrheit der Polen Trzaskowski bei einer Stichwahl einen deutlichen Vorsprung vor Nawrocki. Nach einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts United Survey am 2.12.2024 glaubte mehr als die Hälfte der Befragten, dass er die Wahl gewinnen werde. Nur 27 Prozent sahen Nawrocki vorn.
PiS-Chef Kaczynski glaubt allerdings an die Wirksamkeit seines taktischen Manövers: Obwohl mehrere Spitzenpolitiker der PiS als Kandidaten in den Startlöchern warteten, hatte er überraschend den parteilosen Außenseiter Nawrocki aus dem Hut gezaubert. Der promovierte Historiker leitet das Institut des Nationalen Gedenkens - eine polnische Entsprechung der 2021 aufgelösten Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen. Früher war er Direktor des Museums des Zweiten Weltkrieges in Danzig. Auf beiden Posten setzte er die Geschichtspolitik der PiS durch.
Nach acht Jahren Regierungsverantwortung assoziieren viele Polen die PiS mit Machtmissbrauch, Korruption und Vetternwirtschaft. Der Kandidat, den sein Wahlkampfstab als "bürgerlich und unabhängig" bezeichnet, soll gemäßigte Wähler anziehen. Diesem Ziel dient auch sein Selbstbild als Friedensengel.
"Ich will den polnisch-polnischen Krieg beenden", sagte Nawrocki nach der Nominierung vor zwei Wochen. Er betonte, er stamme aus einer Arbeiterfamilie in Danzig und lebe "mit Polen im Herzen - bescheiden, aber mit Würde". Der ehemalige Amateurboxer, der als Student sein Geld als Türsteher im Grand Hotel in Sopot verdiente, präsentiert sich als volksnah. "Ich bin einer von Euch", betonte er.
Kriminelle Vergangenheit?
Nawrockis Unbekanntheit, die eigentlich ein Vorteil sein sollte, könnte nun aber zu einer schweren Belastung werden. Aus einem in der vergangenen Woche bekannt gewordenen Bericht geht hervor, dass der PiS-Kandidat Kontakte zu kriminellen Milieus, unter anderem Hooligans des Fußballklubs Lechia Gdansk und Motorradgangs, unterhalten haben soll. Die Herkunft des Papiers, über das die Internetplattform Onet erstmals berichtet hat, ist nicht klar. Es wird vermutet, dass die Autoren unter den Kritikern seiner Kandidatur in den PiS-Reihen zu suchen sind.
Zu Nawrockis Bekannten soll auch Olgierd L. gehören, ein ehemaliger Neonazi, der wegen Zuhälterei und schwerer Körperverletzung verurteilt wurde. Es seien "öffentliche Kontakte" bei "patriotischen Veranstaltungen" gewesen, verteidigte sich Nawrocki gegen die Vorwürfe. Solche Kontakte habe er mit "Tausenden Polinnen und Polen" unterhalten. Olgierd L. wurde am vergangenen Freitag wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung festgenommen, der unter anderem Waffenhandel und Anstiftung zur Brandstiftung vorgeworfen wird.
Trotz des Vorsprungs in den Umfragen will Trzaskowski wachsam bleiben, um den Fehler seiner Partei von 2015 zu vermeiden. Damals unterschätzte der liberal-konservative Präsident Bronislaw Komorowski, der sich erneut um das Amt beworben hatte, den unbekannten Europaabgeordneten Andrzej Duda. Am Ende machte Duda das Rennen und leitete die achtjährige Dominanz der PiS ein.