Proteste der Soldatenfrauen: Gefahr für den Kreml?
18. Februar 2024Vor den Mauern des Kremls in Moskau finden immer wieder Protestaktionen statt, bei denen Frauen Blumen am Grab des unbekannten Soldaten niederlegen und die Rückkehr ihrer Männer von der Front fordern. Ähnliche Aktionen gibt es auch in anderen Regionen Russlands. Auf diese Weise macht die Bewegung Familienangehöriger von Männern, die in den Krieg gegen die Ukraine geschickt wurden, immer stärker auf sich aufmerksam. Russische Oppositionelle erklärten sich inzwischen bereit, die Bewegung zu unterstützen, da sie glauben, dass die Mobilmachung, vor allem die Rekrutierung von Soldaten, die Schwachstelle des Kremls ist.
Doch unter Politikern und auch unter den Angehörigen der mobilisierten Soldaten gibt es unterschiedliche Ansichten, was den seit zwei Jahren andauernden Krieg angeht. Die einen verurteilen ihn und fordern den Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine, während die anderen nur eine Rotation der Soldaten verlangen und die Fortsetzung der Kampfhandlungen befürworten.
Erste Mahnwache in Moskau schon im November
"Wir löschen alle Nachrichten, die zu Kundgebungen aufrufen!" - hieß es vergangenes Jahr in der russischen Telegram-Gruppe für Frauen der mobilisierten Soldaten "Wir sind zusammen". So sollten Angehörige von Protesten abgehalten werden.
Die bekannte Aktivistin Olga Kaz, deren Bruder vergangenes Jahr an der Front umkam, begründete dies auf ihrem Telegram-Kanal "Wernjom Rebjat" ("Lasst uns die Jungs zurückholen") damit, dass Kundgebungen ein komplexes Thema seien. "Natürlich ist es am einfachsten, seinen Unmut zu zeigen, indem man auf den Roten Platz geht und unzufrieden mit dem Fuß stampft", so Kaz. Ihr zufolge könnten solche Aktionen aber Provokateure anlocken, was den "Dialog mit den Behörden" beenden würde. Kaz selbst sieht den Krieg als Konfrontation mit dem Westen. Dieser versuche, Russland zu zerstückeln, was gestoppt werden müsse.
Während Kaz vor Protesten warnte, versammelten sich am 7. November fünf Frauen der Bewegung "Put domoj" ("Heimweg") im Zentrum von Moskau zu einer ersten Mahnwache. Sie forderten die Rückkehr ihrer Angehörigen, vor allem, weil für einen Einsatz an der Front keine zeitlichen Begrenzungen vorgesehen sind.
Fotos von ihrer Aktion verbreiteten sich schnell in sozialen Netzwerken. Die Polizei wagte aber keine Festnahmen. Doch später bekamen einige Teilnehmerinnen Besuch von den Behörden. Diese drängen die Frauen dazu, den öffentlichen Protest einzustellen. Aber das Gegenteil trat ein. Die Mahnwachen verlagerten sich an die Kremlmauer, wo die Frauen nun jede Woche Blumen am Grab des unbekannten Soldaten niederlegen.
Festnahmen bei Kundgebungen in Russland
Die ersten Proteste waren eher Debatten zwischen Befürwortern und Gegnern der russischen Invasion in der Ukraine, an denen anfangs acht und nach zwei Monaten schon gut 50 Personen teilnahmen. Inzwischen gibt es auch in anderen Regionen ähnliche Aktionen, bei denen Blumen niedergelegt werden.
Bei einer von ihnen, am 10. Februar in Jekaterinburg, wurden jedoch fünf Teilnehmer am Mahnmal für die Opfer der Kriege in Afghanistan und Tschetschenien von der Polizei festgenommen - wegen Verstoßes gegen die Regeln zur Teilnahme an einer öffentlichen Veranstaltung. Ein Mann wurde wegen der "Organisation einer Kundgebung gegen die Spezielle Militäroperation", wie in Russland der Krieg gegen die Ukraine genannt wird, zu acht Tagen Haft verurteilt.
In Moskau schlossen sich weitere Frauen den Aktionen an. Olga (Name geändert), deren Mann an der Front ist, nahm vor kurzem erstmals an einer teil. Zuvor hatte sie an verschiedene Behörden geschrieben und die Rückkehr ihres Mannes verlangt. Wie auch andere Frauen bekam sie als Antwort, sie solle einen Erlass von Präsident Wladimir Putin über die Beendigung der Mobilmachung abwarten.
Seitens des Generalstabs der Russischen Föderation hieß es unterdessen, der Einsatz von mobilisierten Soldaten könne nicht zeitlich begrenzt werden, da dies eine "grundlegende Änderung des Systems der militärischen Ausbildung" erfordere. Darüber war Olga so empört, dass sie entschied, mit auf die Straße zu gehen.
Wer unterstützt die Proteste der russischen Frauen?
Inzwischen versuchen die Frauen, Politiker im Land für sich zu gewinnen. Während der in Russland laufenden Kampagne zur Präsidentschaftswahl in diesem Frühjahr bekamen sie zunächst Unterstützung von Jekaterina Dunzowa und Boris Nadeschdin. Doch als die Behörden beiden die Teilnahme an den Wahlen verwehrten, wandte sich Maria Andrejewa, eine der Anführerinnen der Bewegung "Put domoj" an den Präsidentschaftskandidaten Wladislaw Dawankow. Zusammen mit anderen Frauen besuchte sie seinen Wahlstab und bat um Unterstützung.
Andrejewa wandte sich mit dem gleichen Appell auch an den Wahlstab von Wladimir Putin, der zum fünften Mal für das Präsidentenamt kandidiert. Doch eine Reaktion gab es weder von Dawankow noch von Putin.
In den zwei Jahren des Krieges, den Putin gegen die Ukraine führt, hat er kaum über die mobilisierten Soldaten gesprochen. Beim einem der seltenen Treffen mit Angehörigen gefallener Soldaten im November 2022 sagte er nur zynisch: "Wir werden alle eines Tages diese Welt verlassen." Die Medien in Russland versuchen unterdessen, den Menschen zu erzählen, dass es gar keine Probleme im Zusammenhang mit der Mobilisierung gebe.
Russische Oppositionspolitiker hingegen greifen die Probleme auf. Unter ihnen sind etwa der liberale Politiker und YouTuber Maxim Kaz, der seit 2022 in Russland als "ausländischer Agent" gelistet wird und seitdem in Tel Aviv lebt, das Team des gerade in Haft verstorbenen Alexej Nawalny und auch Michail Chodorkowski, der in London lebt.
Nicht alle Soldatenfrauen sind gegen den Krieg
Maxim Kaz meint, die russischen Behörden können gegenüber den Frauen keine Zugeständnisse machen, weil dann andere Verwandte fordern würden, die Männer nach Hause zu lassen. Doch ihm zufolge begreifen die Russen mit jedem Tag immer mehr, dass es in dieser Frage um "Leben und Tod" gehe. "Die Behörden sehen für sich keine bequeme Lösung, daher reagieren sie auf den Protest schwammig", so der Oppositionelle.
Er rät, die Frauen mobilisierter Männer durch das Abonnieren ihres Telegram-Kanals "Put domoj" mit über 70.000 Followern zu unterstützen.
Übrigens unterscheidet sich die Position einiger Angehöriger der Bewegung "Put domoj" deutlich von der Haltung der Nawalny-Anhänger. Eine der Anführerinnen der Bewegung, Paulina Safronowa, sagte der DW in einem Vorgespräch, sie unterstütze die "Spezielle Militäroperation". Gleichzeitig ist sie in einem Video auf YouTube zu sehen, wo sie kritisiert, dass es keine zeitliche Begrenzung für den Einsatz an der Front gebe. Ein vereinbartes Interview lehnte sie im letzten Moment ab, mit der Begründung, angesichts der heutigen Gefahren sei es besser, nicht mit ausländischen Medien zu sprechen.
Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk