1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Pro Asyl: Asylrecht verhindert Integration

Richard A. Fuchs, Berlin 23. September 2015

Menschenrechtsorganisationen schlagen Alarm: Die geplante Änderung der Asylrechts werde die Verfahren nicht beschleunigen. Stattdessen würden die Menschenrechte der Flüchtenden zur Verhandlungsmasse.

https://p.dw.com/p/1Gash
Notunterkunft für die Flüchtlinge am Flughafen Köln/Bonn (Foto: DW)
Bild: DW/J. Campoamor

Sie nennen es ein Asyl-Behinderungs-Gesetz, das zudem die langfristige Integration von Flüchtlingen in Deutschland torpediert. Auf diese Formel lässt sich die Kritik der drei Menschenrechtsorganisationen bringen, die in Berlin vor der jetzt geplanten Änderung des Asylrechts warnten.

Amnesty International Deutschland, der Paritätische Wohlfahrtsverband und Pro Asyl sehen in dem von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vorgelegten Entwurf für ein neues Asylgesetz einen Frontalangriff auf verbriefte Menschenrechte. Statt schnellerer Asylverfahren, eines der Kernziele der Neufassung, produzierten die jetzt vorgestellten Vorschläge vor allem eines, sagt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl: "Mehr Bürokratie."

Unter dem Existenzminimum

Günter Burkhardt, Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl (Foto: picture alliance/dpa)
Verschieben von Flüchtlingen "menschenrechtswidrig": Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter BurkhardtBild: picture-alliance/dpa

An diesem Donnerstag findet ein Treffen von Bund und Ländern im Kanzleramt statt, bei dem über die vom Innenminister vorgelegten Gesetzesänderungen entschieden werden soll. Dabei wird es um Kosten für Unterbringung und Integration von Flüchtlingen gehen, ebenso wie um die Frage der gerechten Verteilung auf die Bundesländer. Aber es soll auch um Einschnitte bei Bargeldzahlungen und um Leistungskürzungen für Flüchtlinge gehen, was nach Ansicht des Ministers Anreize für die Flucht nach Deutschland verringern wird. Der aktuelle Gesetzentwurf sieht vor, dass all jenen die Sozialleistungen gekürzt werden, die ihr Asylverfahren eigentlich in einem anderen EU-Staat als Deutschland durchlaufen müssten oder deren Asylanspruch abgelehnt wurde und die auf Abschiebung warten.

Vertreter der drei Menschenrechtsorganisationen halten dies für eine verfassungswidrige Einschränkung der Menschenwürde. Menschen "unter das Existenzminimum zu drücken", dürfe nicht Regierungspolitik werden, forderte Günter Burkhardt. Ein weiterer Kritikpunkt: Flüchtlinge aus dem Westbalkan mit geringen Chancen auf Asylanerkennung sollen künftig bis zu ihrer Abschiebung in Erstaufnahmelagern bleiben.

"Wenn Menschen auf Dauer kaserniert werden, führt dies zu Spannungen", sagt der Pro-Asyl-Vertreter. Seine Forderung: Statt mit Erstaufnahmelagern soziale Brennpunkte zu schaffen, sollten Flüchtlinge möglichst schnell aus den Einrichtungen herauskommen. "Warum sollen Syrier, Afghanen oder Iraker, von denen viele in Deutschland ihre Angehörigen haben, nicht ausziehen dürfen aus diesen Einrichtungen?" Und auch die Kasernierung jener, die wahrscheinlich abgeschoben werden müssten, sei bedenklich.

Infografik Anerkennungsquoten von Asylanträgen in Deutschland (Grafik: DW)

Keine sicheren Herkunftsstaaten

Besonders kritisch sehen die drei Organisationen aber, dass die Bundesregierung mit der Einstufung weiterer Westbalkanländer als "sichere Herkunftsländer" den Zustrom von Flüchtlingen aus Albanien, Kosovo und Montenegro unterbinden will. Diese Debatte sei ein Ablenkungsmanöver der Regierung, das lediglich Ressentiments gegen Flüchtlinge schüre, so der Geschäftsführer von Pro Asyl. Wiebke Judith, bei Amnesty International Deutschland für Asylfragen zuständig, hält das Konzept zudem für wenig praxistauglich. Es werde die derzeitige Massenflucht nach Europa nicht stoppen, weil derzeit nur ein kleiner Teil der Flüchtenden aus dem als "sicher" etikettierten Westbalkan käme.

Zudem sei eine pauschale Weigerung Deutschlands, Asylanträge von Migranten aus diesen Ländern zu prüfen, grundgesetzwidrig. "Das erhöht die Gefahr, dass der Schutzbedarf einer Person, die in ihrem Heimatland einer marginalisierten Minderheit wie den Roma angehört, nicht erkannt wird", sagt die Amnesty-Vertreterin. Eine Kritik, die in der Regierungskoalition wenig Gehör finden dürfte, denn was lange Zeit als umstritten galt, ist inzwischen konsensfähig geworden. Beobachter glauben, dass die Definition der "sicheren Herkunftsländer" ausgeweitet werden wird.

Scheinlösungen

Deshalb konzentrierten die Menschenrechtsaktivisten ihre weitere Kritik auf das, was sich auf der europäischen Bühne abspielt. So verabschiedeten die EU-Innenminister in einer umstrittenen Mehrheitsentscheidung, dass 120.000 Flüchtlinge aus den besonders überforderten Ländern Griechenland und Italien nach einem bestimmten Schlüssel auf andere EU-Staaten umverteilt werden sollen.

"Die EU-Innenminister produzieren Scheinlösungen, die den Praxistext nicht bestehen werden", prognostiziert Burkhardt. Denn Flüchtlinge gegen ihren Willen in bestimmte EU-Länder zu verschieben, sei eine Politik fernab der Realität. Für eine gelingende Integration sei besonders eine vorhandende Community von Landsleuten wichtig. Und in Europa lebten die meisten Syrer, Afghanen und Iraker - also Migranten aus den Ursprungsländern der meisten derzeit Flüchtenden - seit langem vor allem in einem Land: Deutschland.

Die Organisationen schlagen daher vor, die europäischen Asylgesetze ingesamt durchlässiger zu machen. Es müsse möglich sein, dass in Deutschland anerkannte Flüchtlinge auch nachträglich auf eigenen Wunsch ein Asylverfahren in Frankreich, Großbritannien oder andernorts durchlaufen könnten.

Quadriga - Flüchtlingskrise - Merkel ohne Plan?

Harald Löhlein vom Deutschen Paritiätischen Wohlfahrtsverband betonte, dass es statt starrer Regeln mehr Flexibilität im Asylverfahren brauche. Ein "Spurwechsel" müsse möglich werden, also eine legale Aufenthaltsgenehmigung für all jene, die während eines laufenden Asylverfahrens einen Job gefunden haben. Zudem gelte es, so Löhlein, Barrieren wie die Vorrangprüfung abzuschaffen, nach der zunächst deutsche Bewerber und EU-Bürger einen Job bekämen. "Wenn man Asylsuchenden eine faire Chance auf dem Arbeitsmarkt geben will, dann muss man ihnen nach drei Monaten einen gleichberechtigten Arbeitsmarktzugang geben."

Bundesländer könnten blockieren

Was derzeit passiere, so Günter Burkhardt, sei ein eklatanter Missbrauch des Asylrechts. Noch könne der allerdings verhindert werden, so der NGO-Sprecher weiter, beispielsweise von Parteien, die sich explizit die Wahrung der Menschenrechte auf die Fahnen geschrieben hätten. "Pro Asyl appelliert an die Grün-mitregierten Bundesländer, dass sie diesem Gesetzespaket ihre Zustimmung verweigert". Ob dieser Appell fruchtet oder verhallt, wird sich beim Treffen der Bundesregierung mit den 16 Ministerpräsidenten der Länder am Donnerstag entscheiden.