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Post-Polio-Syndrom - Wenn Polio nach Jahren zurückkommt

Gudrun Heise
26. Oktober 2023

Polio, bekannt auch als Kinderlähmung, tritt meist in frühen Jahren auf. Einige leben mit Einschränkungen, andere erholen sich wieder. 15 bis 40 Jahre später kann die Krankheit aber erneut ausbrechen.

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Bild: Andrey Popov/PantherMedia/picture alliance

Hans-Joachim Wöbbeking hatte geglaubt, seine Polio-Erkrankung ein für alle mal hinter sich gelassen zu haben.

Als er die Polio-Diagnose erhielt, war er drei Jahre alt. Er kämpfte sich zurück ins Leben. Es dauerte lange, aber schließlich sah es  so aus, als könne er ein Leben ohne Beschwerden und Einschränkungen führen. Damit, dass die Polio-Erkrankung über vierzig Jahre später fast wie aus dem Nichts wieder auftauchen würde, hatte er nicht gerechnet. 

Die neue Diagnose: Post-Polio-Syndrom. Und das kann eben Jahrzehnte später auftauchen. Seit 1995 sitzt Wöbbeking im Rollstuhl. Es hat ihn zum zweiten Mal schwer getroffen.

An die Zeit nach der ersten Diagnose erinnert sich der Vorsitzende des Bundesverbandes Polio gut. Er war komplett gelähmt und musste sogar in die "Eiserne Lunge". Es war zu der Zeit das erste klinische Gerät, in dem Patienten mit Atemlähmung künstlich beatmet werden konnten.

"Nach circa eineinhalb Jahren hat sich mein Zustand wieder gebessert. Dann begann ein Heilungs- und Regenerationsprozess, der zehn Jahre dauerte", erzählt Wöbbeking. Er sei ganz normal in die Schule gegangen. "Heute würde man sagen, ich wurde integrativ geschult und das hat auch ganz gut geklappt. Aber ich habe auch unter Hänseleien gelitten. Ich war 'Humpelbein'."

Eiserne Lunge im Historischen Museum der Charite in Berlin
Lange war die "Eiserne Lunge" das einzige Gerät, um Patienten zu beatmen Bild: Rolf Kremming/picture alliance

Die eigenen Kräfte werden überschätzt

Polio oder Poliomyelitis ist eine Schädigung der Nerven. An Armen und an Beinen treten Lähmungserscheinungen auf, aber auch die Atmungsorgane können betroffen sein. Einige bleiben ihr Leben lang eingeschränkt, andere wiederum erholen sich erst einmal, so wie Wöbbeking. 

Das ginge lange Zeit gut, aber irgendwann könne es dann zu einer Überlastung kommen, erklärt Axel Ruetz vom Polio-Zentrum in Koblenz. "Das bedeutet, dass neue Lähmungen eintreten. Die Patienten, die immer versucht haben zu kämpfen und mit ihrer Polio ganz gut klargekommen sind, die merken nach 40 Jahren auf einmal, dass es ihnen immer schlechter geht. In Form des Post-Polio-Syndroms kommt dann genau das zurück, was sie schon einmal erlebt haben."

Heute weiß Wöbbeking, dass er sich über viele Jahre einfach zu viel zugemutet hat. Nach einem schweren Krankheitsverlauf waren Betroffene wie er froh, wenn sich das Krankheitsbild verbesserte und sie sich mit wenigen oder keinen Einschränkungen wieder bewegen konnten.

Eine seltene, aber gefährliche Erkrankung

In Deutschland leiden etwa 70.000 Menschen unter dem Post-Polio-Syndrom (PPS). Damit gehört diese Erkrankung in die Reihe der Seltenen Erkrankungen. "Das bedeutet auch", so Axel Ruetz, "dass die Forschung kein besonders großes Interesse daran hat. Spezielle Lehrbücher fehlen und während des Studiums gibt es keine gesonderten Vorlesungen zur Polio. Die Versorgung über ganz Deutschland ist also nicht gesichert", sagt der Arzt, und ein Medikament, das die Post-Polio-Erkrankung verzögern oder gar stoppen könnte, gebe es noch immer nicht.

Impfen gegen Polio

Die Gefahr ist nicht vorbei

Weltweit ist Polio noch immer nicht ausgerottet. In Afghanistan und in Pakistan gibt es immer wieder Neuinfektionen und 2022 wurden Fälle in Malawi und in Mosambik gemeldet. Die Viren wurden vermutlich aus Pakistan eingeschleppt. 2022 erkrankte ein junger Mann im Bundesstaat New York schwer an Polio. In London wurden Polio-Viren in Abwasserproben nachgewiesen. In Israel entwickelte ein Kind, das nicht geimpft war, Lähmungen.

Übertragen wird Polio fäkal-oral, also über Ausscheidungen. Aber auch kleinste Speicheltropfen können das Virus über Schmierinfektion übertragen, etwa über Mund oder Nase. Von dort aus kommt der Erreger erst in den Magen-Darm-Trakt und schließlich in die Blutgefäße.

Die meisten Menschen, die sich mit dem Polio-Virus infizieren, merken es nicht einmal. Sie haben keinerlei Symptome, obwohl sie das Virus in sich tragen. Das trifft auf 90 Prozent der Infizierten zu. Diese Menschen sind dann zwar gegen das Virus immun, mit dem sie sich angesteckt haben, nicht aber gegen Varianten des Polio-Erregers.

Poliovirus Animation
Übertragen wird das Polio-Virus fäkal-oral, also über AusscheidungenBild: StockTrek Images/IMAGO

Nur Impfungen bieten Schutz

Einen zuverlässigen Schutz bietet nur eine Impfung. Eine solche wurde Kindern in Deutschland in Form einer Schluckimpfung seit Anfang der 1960er Jahre verabreicht. Die Aktion "Kinderlähmung ist grausam, Schluckimpfung ist süß", war erfolgreich. Seit 1998 ist Deutschland poliofrei, seit 2002 trifft das laut Weltgesundheitsorganisation auf ganz Europa zu. Für Hans-Joachim Wöbbeking aber kam die Impfung zu spät.

Auch wenn nicht alle Infizierten schwere Symptome zeigen, raten Experten zur Impfung. Sie ist der einzige Schutz vor der unberechenbaren Krankheit, denn geheilt werden kann Polio nicht.