1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Musik

Nigel Kennedy wird 60

Rick Fulker
27. Dezember 2016

Konventionen sind nicht seine Sache. Bis heute ist Nigel Kennedy der Rebell unter den klassischen Geigern - der meistverkaufte aller Zeiten. Mit 60 spielt er auch eigene Kompositionen auf seinem neuesten Album ein.

https://p.dw.com/p/2UuyC
Jazz Nigel Kennedy Violinist
Bild: picture-alliance/dpa/M. Kulczynski

Er würzt seine Auftritte mit Schimpfwörtern und Witzen, macht musikalische Ausflüge in Jazz und Pop. Mit angegrautem Stoppelbart, selbst frisiertem Irokesen-Haarschnitt und Fußball-Klamotten pflegt der Geiger Nigel Kennedy immer noch das Image des Rebellen. Auf den Konzertbühnen der 1980er- und 90er-Jahre kam das gut an. Im 21. Jahrhundert geht das gerade noch, weil es bei ihm authentisch wirkt.

Nigel Kennedy wird am 28. Dezember 1956 im südenglischen Seebad Brighton geboren. Sein Vater und sein Großvater sind klassische Cellisten, seine Mutter und Großmutter beide Pianistinnen. Mit sieben Jahren wird er Stipendiat der Yehudi Menuhin School für musikalisch hochbegabte Kinder - der jüngste und berühmteste Schüler des Jahrhundert-Geigers. "Menuhin war wie ein Vater für mich und hat mir eine Menge beigebracht", sagt Kennedy 2010 in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung (SZ). "Einiges davon musste ich wieder verlernen. Ganz normal für eine Vater-Sohn-Beziehung."

Nigel Kennedy
Mit sieben Jahren ist Nigel der jüngste Schüler an der Menuhin-SchuleBild: Getty Images/E. Auerbach

Vor allem dürfte es die offene Haltung zur Musik gewesen sein, die ihm Yehudi Menuhin vermittelt. Mit 16 wechselt Nigel Kennedy an die berühmte, aber erzkonservative Talentschmiede Julliard School in New York und studiert dort in der Klasse der Geigerin Dorothy DeLay. Bei einem Konzert will der junge Nigel Kennedy zusammen mit Jazzgeiger Stephane Grapelli  auftreten - trotz der Warnung, dass dies seine Chancen auf einen Plattenvertrag ruinieren könne. Er reagiert, wie so oft, in einer Weise, die sein Lebensmotto werden soll: "Wenn mir jemand sagt, was ich tun soll, mache ich einfach das Gegenteil."

Ewiger Außenseiter

Gleich seine erste Schallplattenveröffentlichung - eine Aufnahme vom Cellokonzert des englischen Komponisten Edward Elgar - kürt das britische Grammophone-Magazine zum besten Klassik-Album des Jahres 1985. Vier Jahre später erscheint Kennedys Einspielung der "Vier Jahreszeiten" von Antonio Vivaldi. Mit über drei Millionen Exemplaren erhält diese Platte im Guinness Book of Records die Auszeichnung als meistverkaufte Klassik-Einspielung aller Zeiten. 2015 kommt eine neue Version heraus: "Vivaldi - The New Four Seasons. Kennedy spielt zwar die Noten von Vivaldi, interpretiert sie aber auf sehr eigene Weise. Und er bringt Gastmusiker ins Spiel - mit Jazztrompete und elektrischer Gitarre. Das Ganze, so die englische Zeitung The Guardian, klinge "wie eine riesige Jam-Session aus dem Inneren einer Botticelli-Gemälde".

Es sind nicht nur die Gags auf der Bühne und seine eigenwilligen Interpretationen von Klassikern, für die Nigel Kennedy berühmt wird. Auf dem Mainstream-Markt erscheint er mit viel verkauften Aufnahmen von Solokonzerten von Bach, Beethoven, Berg, Brahms, Bruch, Mendelssohn, Sibelius, Tschaikowsky und Walton. Hinzu kommen Live-Veröffentlichungen von Kammermusik- und Soloabenden.

Nigel Kennedy Jazzfest Bonn
Im Schlabber-Look beim Jazzfest Bonn 2015Bild: DW/R. Quesada

1992 kündigt der Künstler, der zwischendurch nur den Bühnenname "Kennedy" verwendet, seinen Abschied von der Klassik an. "Ein Künstler muss sich verändern, sonst stirbt er ab", ließ er über seine Agentur vermitteln. Waren die von ihm so gehassten etablierten Klassik-Rituale daran schuld? "Ich kann nicht nachvollziehen, warum sich bei einem Konzert, bei dem es doch um Kommunikation geht, alle verstellen." 

In einem Interview mit der australischen Zeitung "The Age" kokettiert er mit seiner sehr persönlichen Beschreibung von Dirigenten: "Sie winken nur herum und sagen den Leuten, was sie tun sollen. Alles, was Sie aus Zuschauer-Sicht sehen, ist ihr Arsch, also was zum Teufel tun sie eigentlich?"

Von Klassik zum Crossover - und zurück

Nigel Kennedy unternimmt Ausflüge in alles, was nicht Klassik heißt. 1997 entsteht seine Band "The Kennedy Experience", mit der er sich ausschließlich den Werken von Jimi Hendrix widmet. Seine Leidenschaft für Jazz äußert sich in den "Blue Note Sessions", in denen Jazzgrößen wie Ron Carter und Jack DeJohnette mitwirken.

Der Geiger versteht sich als Grenzgänger zwischen den Musikstilen. Mit dem Etikett "Crossover" ist der Künstler jedoch in keiner Form einverstanden: "Crossover heißt für mich, dass jemand in einem Mist herumwühlt, der nicht sein eigener ist, von dem er keine Ahnung hat. Bei dem, was Plattenlabels als Crossover verkaufen, muss ich immer ganz schnell die nächste Toilette aufsuchen."

Endgültig hat sich Kennedy doch nicht von der Klassik verabschiedet. 2002 wird er zum künstlerischen Leiter der Polish Chamber Orchestra ernannt - und tritt damit in den Fußstapfen seines einstigen Mentors Yehudi Menuhin. 2009 erscheint "A Very Nice Album" mit dem "The Nigel Kennedy Quintett", zu dem der Violinist und vier Musiker aus der polnischen Jazzszene gehören. 2010 gründet er dann das "Orchestra of Life" - auch wieder mit polnischen Musikern.

PROMOBILD NIGEL KENNEDY
Kennedy ist auch ein Meister der SelbstvermarktungBild: Rankin licensed to EMI Classics

Frühe Altersweisheit

Kann ein 60-Jähriger Musiker noch als Enfant terrible der Klassik-Szene gelten? Die Konzert-Welt ist - oder gibt sich - längst nicht mehr so elitär wie früher. Die Kleiderordnung bei Konzerten ist lockerer geworden, die erfolgreichen Stars sind sexy, zugänglich und alle irgendwie unkonventionell. Aber Nigel Kennedys Virtuosität reicht nach wie vor aus, um ihn als Popstar der Klassik in den Charts und im Gespräch zu halten.

Sein neuestes Album "My World", seit 23.12.2016 auf dem Markt, erscheint mit eigenen Kompositionen und ist voller indischer, Klezmer- und Rock-Einflüsse. "Musik zu spielen macht mich jetzt glücklicher als je zuvor", hat er schon 2011 der Zeitung Die Welt gesagt. "Als ich jung war, habe ich immer an gestern oder morgen gedacht. Heute zählt für mich nur der Moment. Besonders in einem Konzert. Das sind magische Momente, die nie wieder kommen."

Ein Künstler und Musiker, der schon mit 60 altersweise ist? Wie es denn für ihn sei, älter zu werden? "Keine Ahnung - ist mir bislang noch nicht passiert", kam die schlagfertige Antwort.