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Politik

Politischer Coup? Olaf Scholz und der Leopard 2

25. Januar 2023

Die Ukraine erhält Kampfpanzer, auch Leopard 2 aus Deutschland. Hat der Bundeskanzler dem internationalen Druck nachgegeben - oder war sein Zögern Absicht?

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Bundeskanzler Olaf Scholz duckt sich Oktober 2022 beim Vorübergehen an einem Kampfpanzer Leopard 2 A6
Bundeskanzler Olaf Scholz duckt sich vergangenen Oktober beim Vorübergehen an einem Kampfpanzer Leopard 2 A6 Bild: Björn Trotzki/IMAGO

Es war die SPD, die Partei des Kanzlers, die vorpreschte, noch bevor die Bundesregierung überhaupt offiziell bestätigte, dass Leopard-2-Panzer in die Ukraine geliefert werden sollen. Von einem "riesigen diplomatischen Erfolg" für Olaf Scholz sprach Katja Mast, die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion. Der Kanzler habe es geschafft, eine breite internationale Allianz zu schmieden, und das sei ungeheuer wichtig in der derzeitigen Situation.

Die USA wollten eigentlich keine Kampfpanzer liefern, jetzt sind sie doch dazu bereit. Es zähle doch, was am Ende rauskomme, so Mast zu den Vorwürfen, der Kanzler habe mit seiner zögerlichen Haltung und seinem tagelangen Lavieren in der Panzerfrage dem Ansehen Deutschlands geschadet. Es sei um den Grundsatz gegangen, Alleingänge zu vermeiden und die NATO "nicht zur Kriegspartei werden zu lassen", sagt Mast. Das sei nun passiert und daher die Kritik an Scholz "völlig unangemessen".

Die Geschichte neu erzählen

Die Botschaft der SPD lautet: Der Kanzler hat alles im Griff, denn er wusste, was er tat. Er hatte einen Plan, wollte unbedingt die Amerikaner mit ins Boot holen und hat sich durch die öffentliche Kritik und die Diskussionen nicht beeinflussen lassen. Er hat alles richtig gemacht und eine Erfolgsgeschichte geschrieben.

Scholz sei niemand, "der Schlagzeilen hinterherläuft und sich kirre machen lässt", so Katja Mast. Ausschlaggebend sei für ihn sein Amtseid, "Schaden vom deutschen Volk abzuwenden".

Zwei Bataillone Leopard 2

Kurz vor Mittag erklärte sich dann die Bundesregierung schriftlich. Der Kanzler habe im Kabinett angekündigt, dass Deutschland die militärische Unterstützung für die Ukraine weiter verstärken werde, lässt der Regierungssprecher wissen. Die Bundesregierung habe entschieden, den ukrainischen Streitkräften Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 zur Verfügung zu stellen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht vor einem Kampfpanzer Leopard 2 nach der Ausbildungs- und Lehrübung des Heeres im Landkreis Heidekreis in der Lüneburger Heide zu Soldaten.
Olaf Scholz Im Oktober 2022 bei einer militärischen Übung mit dem Leopard-2-KampfpanzerBild: Moritz Frankenberg/dpa/picture alliance

Die Rede ist von zwei Panzerbataillonen. Bei der Bundeswehr besteht ein Leopard-2-Bataillon aus 44 Panzern. Zwei Bataillone wären damit rechnerisch 88 Panzer. In einem ersten Schritt soll eine Kompanie mit 14 Panzern aus Beständen der Bundeswehr übergeben werden. Weitere europäische Partner würden ihrerseits Leopard 2 zur Verfügung stellen. Die Ausbildung der ukrainischen Besatzungen soll in Deutschland zügig beginnen. Neben der Ausbildung sind auch Logistik, Munition und Wartung der Systeme vorgesehen.

31 Abrams-Panzer aus den USA

Über die Panzerpläne der USA schreibt der deutsche Regierungssprecher natürlich nichts. Wie die US-Regierung aber mittlerweile mitgeteilt hat, stellen die USA  31 Panzer des Typs M1 Abrams zur Verfügung. Die "Washington Post" meint allerdings, dass es Monate, wenn nicht Jahre dauern könnte, bis sie in dem Krieg zum Einsatz kommen.

Ein Abrams-Panzer schießt bei einer Übung. Eine Explosion ist zu sehen
Kompliziertes Gerät: Der US-Kampfpanzer Abrams, hier bei einer Übung in LettlandBild: INTS KALNINS/REUTERS

Es sei unwahrscheinlich, dass die Fahrzeuge zum Frühjahr in der Ukraine ankommen, wenn mit der Offensive Russlands beziehungsweise einer Gegenoffensive der Ukraine zur Rückeroberung russisch besetzter Gebiete gerechnet wird, so die Zeitung. Die USA hatten immer betont, eine Abrams-Bereitstellung aus praktischen Gründen nicht für sinnvoll zu halten. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin hatte mehrfach erklärt, man wolle der Ukraine kein militärisches Material liefern, das sie "nicht reparieren, nicht erhalten und sich langfristig nicht leisten" könne.

Scholz geht es ums Prinzip

Olaf Scholz aber hatte sich nicht davon beeindrucken lassen, dass der Abrams ein sehr kompliziertes Gerät sein soll. Teuer in der Beschaffung, anspruchsvoll in der Ausbildung und mit elf Liter Flugbenzin pro Meile ausgesprochen sprithungrig. Unabhängig vom Sinn oder Unsinn einer Abrams-Lieferung ging es ihm um das politische Signal.

"Bislang wurde der Abbau des von der ukrainischen Armee verwendeten Materials durch die Lieferung von Material sowjetischen Ursprungs ausgeglichen, über das europäische Länder und NATO-Mitglieder aufgrund ihrer Geschichte noch verfügten", erklärt Eric-André Martin vom Institut français des relations internationales (IFRI) in Paris gegenüber der DW. "Dies führte dazu, dass es von außen, insbesondere von Russland aus gesehen, unsichtbar war, woher diese Panzer stammten."

Eskalation gegenüber Russland

Im Gegensatz zu den alten sowjetischen Panzern sei bei den Leopard-2-Panzern klar, woher sie stammen. Zumal sie in Deutschland produziert werden und die Bundesregierung zustimmen muss, wenn Drittländer den Panzer weitergeben wollen. Es stelle sich durchaus die Frage, inwieweit die Russen das als eine neue Stufe der Eskalation dieses Krieges ansehen und wie sie darauf reagieren werden, so Eric-André Martin. "Die Russen könnten der Ansicht sein, dass Deutschland immer Mitwisser und an jeder Lieferung immer beteiligt ist."

Nato-Übung in Polen. Drei Leopard-Panzer der polnischen Armee stehen bei einer Übung nebeneinander und sind von hinten zu sehen. Auf den Panzern stehen Soldaten
Polen hat bereits vor Tagen angekündigt, Leopard-2-Panzer an die Ukraine abgeben zu wollenBild: STR/NurPhoto/picture alliance

Wie zur Bestätigung reagierte der russische Botschafter in Deutschland, Sergej Netschajew, scharf. Via Telegram schrieb er, die Lieferung von Leopard 2 werde "den Konflikt auf eine neue Ebene der Konfrontation führen". Der Westen befinde sich in einer Logik der "permanenten Eskalation". Und auch das schrieb Netschajew: Deutschland werde seiner historischen Verantwortung für die Nazi-Verbrechen nicht gerecht. "Mit der Genehmigung der deutschen Regierung werden wieder einmal Panzer mit deutschen Kreuzen an die 'Ostfront' geschickt."

Deutschland will das Risiko nicht allein tragen

Von der russischen Botschaft in Berlin sind es nur ein paar Schritte bis zum Reichstagsgebäude. Dort erklärte sich Bundeskanzler Scholz am Mittag im Bundestag und stellte sich den Fragen der Abgeordneten. Es sei richtig und wichtig, dass "sehr wirksame Waffensysteme" nur in enger Kooperation mit internationalen Partnern bereitgestellt würden. Es gelte zu verhindern, dass die Risiken für das eigene Land "in eine falsche Richtung wachsen", so Scholz.

War es das, was Scholz US-Präsident Joe Biden in einem Telefonat am 17. Januar klar gemacht hatte? Die anschließende Pressemitteilung des deutschen Regierungssprechers fiel ungewöhnlich kurz aus. Der Bundeskanzler habe sich mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika zur Lage in der Ukraine ausgetauscht. "Im Mittelpunkt stand dabei die Frage der Unterstützung der Ukraine in ihrem Kampf gegen die russische Aggression. Beide stimmten überein, dass diese Unterstützung wirksam, nachhaltig und eng abgestimmt erfolgen müsse."

"Stück für Stück voran gearbeitet"

Die Presseerklärung der Amerikaner war ebenfalls knapp gehalten, thematisierte aber lediglich, dass Biden und Scholz ihre "standhafte" und "weitere Unterstützung der Ukraine" diskutiert hätten. Kein Wort von enger Abstimmung. Was in dem Telefonat gesagt wurde, ist nicht öffentlich. Die Reaktion der Amerikaner lässt aber darauf schließen, dass Scholz und Biden am 17. Januar inhaltlich noch weit auseinander lagen.

Joe Biden, Präsident der USA, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Pedro Sánchez, Ministerpräsident von Spanien, Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, Rishi Sunak, Premierminister von Großbritannien, und Justin Trudeau, Premierminister von Kanada, sprechen am Rande des G20-Gipfels in Indonesien zusammen. Das Bild entstand im November 2022.
Nur gemeinsam vorangehen: US-Präsident Joe Biden, Kanzler Olaf Scholz, Pedro Sánchez, Ministerpräsident von Spanien, Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, Rishi Sunak, Premierminister von Großbritannien, und Justin Trudeau, Premierminister von Kanada, im November 2022 in Indonesien auf dem G20-GipfelBild: Steffen Hebestre/Bundesregierung/dpa/picture alliance

Es sei "richtig und mit voller Absicht geschehen", dass wir uns "Stück für Stück voran gearbeitet" und "nicht haben treiben lassen", erklärte Scholz dazu im Bundestag. Auch er stellt sein Zögern im Nachhinein so dar, wie es seine Partei tut. "All die vorschnellen Urteile lösen sich in heiße Luft auf. Weder bremst Deutschland noch ist es isoliert", schreibt der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich in einem Brief an die sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten.

Zögernd, auch mit Blick auf die SPD

Doch wie konnte sich Scholz sicher sein, dass sein Plan aufgehen würde? Eine Frage, die im Nachhinein kaum zu beantworten ist. Grundsätzlich ist es so etwas wie ein Charakterzug von Olaf Scholz, dass er an einem einmal eingeschlagen Weg festhält. Warum er sich bei der militärischen Unterstützung der Ukraine nicht im Alleingang exponieren will, hat aber noch einen weiteren Grund: Seine Partei und seine Wähler.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Lars Klingbeil (l), Bundesvorsitzender der SPD, und Saskia Esken (r), Bundesvorsitzende der SPD, gehen durch das Atrium des Willy-Brandt-Hauses in Berlin. Am Rand ist eine große Installation aus den Buchstaben SPD in rot zu sehen.
Entscheidungen nur in enger Absprache: Kanzler Olaf Scholz (Mitte) mit den SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia EskenBild: Kay Nietfeld/dpa/picture-alliance

Die Anhänger der SPD sind bei der Frage, ob Deutschland noch mehr Waffen als bisher in die Ukraine liefern sollte, gespalten. In der Partei selbst gibt es einen starken linken Flügel mit vielen Verfechtern einer antimilitaristischen und auf Friedensinitiativen ausgerichteten politischen Linie. Gute Beziehungen zu Russland waren für sie bis zum Überfall auf die Ukraine selbstverständlich und eine Friedensordnung in Europa ohne Russland unvorstellbar.

Keine Flügelkämpfe in der SPD riskieren

Olaf Scholz gehört dem rechten Flügel der Partei an. Rechts im Sinne von unideologisch und pragmatisch. Als Kanzler hat er zwar den Respekt seiner Partei, keinesfalls kann er aber eine Politik durchsetzen, die der SPD gegen den Strich geht. Das würde die alten Flügelkämpfe in der SPD neu beleben, über die schon viele Parteigrößen gestürzt sind. Auch deshalb lässt es der Kanzler langsam angehen und riskiert lieber, auch international als zögerlich wahrgenommen zu werden.