Angst vor Flüchtlingen in Polen
14. Juni 2017Die polnische Regierung lehnt die Aufnahme von Flüchtlingen kategorisch ab. "Polen ist bereit, seine Haltung vor dem (EU-)Gerichtshof zu verteidigen" - mit dieser kämpferischen Ankündigung reagierte der stellvertretende Außenminister Konrad Szymanski auf die Entscheidung aus Brüssel, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen, Ungarn und Tschechien einzuleiten, da sie keine Flüchtlinge aufnehmen wollen. Szymanski warf der EU-Kommission vor, sie wolle keinen politischen Kompromiss in der Flüchtlingsfrage und ihr Kurs könne "die Spaltung der EU vertiefen".
Doch das eigentliche Problem um die Flüchtlingspolitik liegt in Polen viel tiefer und wird vor allem immer dann sichtbar, wenn ein weiterer IS Anschlag vermeldet wird. Egal ob Manchester, London oder in Paris, auf jedes neue Terror-Attentat reagiert das polnische Staatsfernsehen TVP gleich.
Tendenziöse Berichterstattung
Zuerst berichtet ein eilends aufgebotener Sonderkorrespondent vor Ort betont neutral über die Opfer, Zerstörungen und die Jagd auf die Täter. Gleich darauf folgt ein minutenlanger Hintergrundbericht über die Flüchtlingswelle in Europa, die tapferen Ungarn, die ihre Grenzen vor dem Ansturm schützen, gefolgt von Angela Merkel, die mit ihrem "Willkommen!" an allem schuld sei und nun die Umverteilung der Flüchtlinge wolle. Und zum Schluss gerät die Europäische Kommission in die Schusslinie, die Warschau mit einer Klage drohe, wenn es sich weiterhin weigere Flüchtlinge - unter denen sich künftige Attentäter versteckten - ins Land zu lassen. Dazu hatte sich die liberale Vorgängerregierung kurz vor ihrer Abwahl vor zwei Jahren verpflichtet; 7000 Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak und Eritrea sollten nach Polen kommen.
Bei diesen Umsiedlungszahlen hinken zwar außer Portugal fast alle EU-Mitglieder hinterher. Erst knapp ein Fünftel von 160.000 in Griechenland und Italien gestrandeten Flüchtlinge konnten bisher verteilt werden. Doch Polen hat neben Ungarn als einziges Land bisher überhaupt keine Flüchtlinge aufgenommen. EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos gab Warschau und Budapest noch bis Ende Juni Zeit und drohte im Falle einer weiteren Verweigerung mit einer Klage beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Beide Länder müssten mit hohen Geldstrafen rechnen.
Öl ins Feuer
Doch auch dies schreckt die Polen nicht ab. Und die Kaczynski-Regierung sieht die Bevölkerung hinter sich. Denn die Saat des rechtspopulistischen Wahlkampfs ist inzwischen aufgegangen. Bereits im Wahljahr 2015 hatte die Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) vor einer Flüchtlingswelle und der damit angeblich einhergehenden Islamisierung gewarnt. Im Zuge der Terroranschläge ist die damalige Aufnahmebereitschaft für Flüchtlinge von immerhin 75 Prozent der Befragten auf 25 Prozent gesunken. Selbst wenn Polen damit EU-Fördergeldkürzungen auf sich nehmen müsste, sind heute zwei Drittel gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Und dies obwohl die katholische Bischofskonferenz erst im Mai wieder humanitäre Korridore für Kriegsflüchtlinge auch nach Polen gefordert hatte.
Doch statt solche Aufforderungen ernst zu nehmen, gießt die sich gerne als besonders christlich gebende PiS-Regierung immer wieder neues Öl ins Feuer. Erst vor ein paar Tagen hat Regierungschefin Beata Szydlo gegen die verblendeten, politisch korrekten Eliten in Brüssel gewettert und den Flüchtlingen pauschal die Schuld für die islamistischen Terroranschläge in Europa zugeschoben.
Dabei macht sich schon lange keiner mehr die Mühe, Kriegs- von Wirtschaftsflüchtlinge zu unterscheiden. Polen werde die "Utopie der offenen Grenzen" bekämpfen, sagte Szydlo. "Polen widersetzt sich jeglicher Erpressung seitens EU", versprach Kaczynskis Regierungschefin und schlug betont anti-europäische Töne an. "Wir machen beim Wahn der europäischen Eliten nicht mit!". Vielmehr würde ihre Regierung dafür sorgen, "dass polnische Kinder sicher in die Clubs, in die Schule und auf den Spielplatz gehen könnten", ohne wie in Manchester einen Terroranschlag befürchten zu müssen.
"Es droht eine gesellschaftliche Katastrophe"
Inzwischen hat Warschau auch angekündigt, Polens angebliches Recht überhaupt keine Flüchtlinge aufzunehmen, vor dem Europäischen Gerichtshof verteidigen zu wollen. Dies kündigte PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski in einem Interview mit der Regierungszeitung "Gazeta Polska Codzinna" ("Polnische Tageszeitung") an. Dort verteidigte er auch die Entscheidung der PiS-Regierung, überhaupt keine Flüchtlinge aus Lagern in Italien und Griechenland zu übernehmen.
Die Aufnahmen würden "einer gesellschaftlichen Katastrophe gleichkommen", warnt Kaczynski. "Außer einem Anstieg des Terrorismus in Polen lauern eine Menge anderer Gefahren", warnt Kaczynki die Polen. "Nur schon um unsere Frauen zu schützen, müssten wir Repressionen anwenden - und man würde uns Nazis schimpfen", warnt Kaczynski. Aus all diesen Gründen sei es besser, wie bisher keinen einzigen Flüchtling ins Land zu lassen. Aus PiS-Regierungskreisen heißt es seitdem, man wolle lieber Geld zahlen, als Flüchtlinge aufnehmen.
Polnischer Präsident im Spagat
Noch beim Antrittsbesuch des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier Ende Mai hatte Staatspräsident Andrzej Duda (PiS) eine mögliche Bewegung Polens im EU-Streit um die Flüchtlingsverteilung signalisiert. "Polen ist offen; wer immer freiwillig kommen will, ist willkommen", sagte er noch kürzlich gegenüber der internationalen Presse. "Was wir jedoch nie zulassen werden, ist die zwangsweise Versendung von Flüchtlingen nach Polen und ihre zwangsweise Festhaltung hier", sagte Duda und begründete dies ausgerechnet mit den Menschenrechten, die dabei verletzt würden. Gestern legte er nach und meinte: "Ich bewerte den Versuch uns zu erpressen, absolut negativ". Er als Präsident sei dagegen, dass Flüchtlinge mit Gewalt nach Polen gebracht würden.
Doch nicht alle Polen mauern beim Thema Flüchtlinge. Von unten gibt es durchaus mehrere zivilgesellschaftliche Flüchtlingsinitiativen. So wird in der westpolnischen Stadt Poznan (Posen) in manchen Volksschulen für Flüchtlinge aus Aleppo gesammelt. In der ebenso noch liberal regierten Hansestadt Danzig wurde am Mittwoch das "Danziger Manifest" vorgestellt, eine europäische Initiative, die neben Bürgermeister Pawel Adamowicz auch von Gesine Schwan und Rita Süssmuth unterstützt wird und die Flüchtlingsverteilung von unten her, aus den Gemeinden heraus, mithilfe von einem speziellen EU-Fördertopf organisieren will. Danzig hatte übrigens als erste Stadt Polens bereits vor Monaten ein Integrationskonzept für Flüchtlinge ausgearbeitet. Doch solche Initiativen bleiben bisher eine Ausnahme.