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PolitikPolen

Polen: Donald Tusk muss um Sieg bei Europawahl bangen

Jacek Lepiarz (aus Warschau)
5. Juni 2024

Für die Regierung von Donald Tusk läuft es nicht gut. Die Reformen und die Abrechnung mit der Vorgängerregierung stocken, die Opposition bleibt stark. Wird die Angst vor Russland die Wähler mobilisieren?

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Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk steht in weißem Hemd vor weißen Fahnen mit roten Herzen, dem Zeichen seiner Wahlkampagne. Er streckt den rechten Arm hoch und macht das Victory-Zeichen bei einer Kundgebung in Warschau
Donald Tusk versucht, die polnischen Wähler für seine Politik - und die EU - zu begeisternBild: Dawid Zuchowicz/Agencja Wyborcza/REUTERS

Seit einem halben Jahr ist die Mitte-Links-Regierung von Donald Tusk in Polen im Amt. Doch die Bilanz des liberalen Hoffnungsträgers aller proeuropäischen Kräfte fällt bisher bescheiden aus. Beim Endspurt vor der Europawahl führt in den Umfragen - nach vorübergehender Schwäche - erneut die national-konservative Partei seines Erzrivalen Jaroslaw Kaczynski, Recht und Gerechtigkeit (PiS).

Um seine Wähler für den Urnengang am kommenden Sonntag (09.06.2024) zu mobilisieren, griff Tusk auf eine bewährte Methode zurück: Er rief zu einer Kundgebung am Dienstag (04.06.2024) in Warschau auf. Mit einer Massendemonstration hatte er vor einem Jahr die erfolgreiche Kampagne vor der Parlamentswahl am 15.10.2023 gestartet. Seinem Ruf waren damals Hunderttausende gefolgt, manche sprachen sogar von einer Million Teilnehmern.

Kundgebung in Warschau: Tusk mobilisiert seine Anhänger

Der 4. Juni ist in Polen ein symbolträchtiges Datum. An diesem Tag vor 35 Jahren (1989) fanden die ersten teilweise freien Parlamentswahlen statt, die den Zusammenbruch des kommunistischen Systems eingeleitet hatten. Auf dem Warschauer Schlossplatz knüpfte Tusk am Dienstag an dieses historische Ereignis an.

Luftaufnahme einer Kundgebung in Warschau. Tausende Demonstranten mit polnischen und europäischen Fahnen stehen vor einer Bühne, die von zwei polnischen Fahnen gerahmt ist. Im Hintergrund der Bühne sind Fahnen mit roten Herzen auf weißem Grund zu sehen, dem Zeichen der Wahlkampagne von Donald Tusk
Rund 30.000 Menschen kamen zur Kundgebung in Warschau am 4. Juni, weit weniger als ein Jahr zuvorBild: Slawomir Kaminski/Agencja Wyborcza/REUTERS

"Damals ging es darum, dass hier Polen ist und nicht Russland. Heute kämpfen wir darum, dass die alte (sowjetische) Ordnung nicht zurückkehrt", sagte der Regierungschef. Er warnte vor einem Sieg der prorussischen Parteien bei der Europawahl. "Glaubt mir, für den Kreml wäre die politische Eroberung von Brüssel wichtiger als die Einnahme von Charkiw", fuhr er fort. "Wir können nicht einschlafen, wir können uns nicht zur Ruhe setzen", warnte Tusk vor etwa 30.000 Teilnehmern. 

Angst vor Russland - Hacker attackieren PAP

Bereits seit Wochen stilisiert Tusk den Wahlkampf zu einer Auseinandersetzung zwischen Europa und Russland. Er wirft den polnischen National-Konservativen um Kaczynski das Paktieren mit den euroskeptischen Parteien von Viktor Orban in Ungarn und von Marine Le Pen in Frankreich vor. Diese wollten die Europäische Union schwächen und spielten damit dem Kreml in die Hände. "Bezahlte Verräter und Knechte Moskaus" nannte Tusk die PiS-Politiker im Parlament.

Der Schriftzug PAP und Polska Agencja Parsowa der polnischen Nachrichtenagentur auf einer Glastür am Eingang des Büros der PAP in Warschau
Eingang zum Büro der polnischen Nachrichtenagentur PAP in WarschauBild: Jaap Arriens/NurPhoto/picture alliance

Für die Angst vor feindlichen russischen Aktivitäten gibt es starke Argumente. Hinter einer Serie von Bränden in Warschau und anderen Landesteilen vermuten die polnischen Sicherheitsbehörden russische Drahtzieher. Auch Cyberattacken mehren sich. Das jüngste Opfer ist die Polnische Nachrichtenagentur PAP. Die Hacker knackten das Sicherheitssystem der Redaktion und veröffentlichten eine Falschmeldung. Darin war von einer angeblichen Mobilmachung von 200.000 polnischen Reservisten die Rede, die angeblich in die Ukraine geschickt werden sollten.

Der Druck auf die Grenze zu Belarus steigt

Auch die Situation an der polnischen Grenze zu Belarus ist in den vergangenen Wochen weiter eskaliert. Trotz der von der Vorgängerregierung gebauten Sperren kommt es dort täglich zu etwa 300 Zwischenfällen zwischen polnischen Sicherheitskräften und Migranten, die versuchen, die Grenze zu überwinden, um in die Europäische Union zu kommen. Die polnischen Grenzbeamten werden mit Steinen und Ästen beworfen und mit spitzen Gegenständen attackiert. Vor einer Woche wurde ein Soldat mit einem Messerstich in die Brust schwer verletzt, als er einen Migranten aufhalten wollte. Am Donnerstag (6.06.2024) erlag er seinen Verletzungen, was in Polen große Betroffenheit auslöste. Ministerpräsident Tusk sprach den Hinterbliebenen sein Beileid aus. Der junge Mann habe "sein Leben gegeben, um die Grenzen der Republik Polen zu verteidigen".

Ministerpräsident Donald Tusk schüttelt die Hände von Soldatinnen und Soldaten in Flecktarn-Uniform, die in Reih und Glied vor ihm stehen, in Karakule an der Grenze zu Belarus
Ministerpräsident Donald Tusk besucht Soldaten in Karakule an der Grenze zu BelarusBild: Artur Reszko/pap/dpa/picture alliance

In seiner Rede in Warschau beschuldigte Tusk Moskau und Minsk, mit "organisiertem Druck" die Lage an der Grenze zu destabilisieren. "Dort tobt der Krieg - jeden Tag, jede Stunde, gesteuert durch Lukaschenko und Putin", betonte der Regierungschef. Als Reaktion kündigte er die Schaffung einer Pufferzone mit eingeschränkter Bewegungsfreiheit entlang der Grenze zu Belarus an. Ein Verteidigungsprogramm - "Schutzschild Ost" - soll Sicherheit gegen die militärische Bedrohung aus Russland garantieren.

PiS bleibt trotz Korruptionsaffären stark

Die Hoffnungen der liberalen Seite, dass die PiS nach dem Verlust der Regierungsmacht und dem Rückzug aus den Staatsmedien an Bedeutung verliert, haben sich bislang nicht bewahrheitet. Parteichef Jaroslaw Kaczynski überstand die innerparteiliche Kritik an seinem Führungsstil und bleibt vorerst der unangefochtene Anführer des national-konservativen Lagers.

Zahlreiche Affären um die ehemalige Regierungspartei, die nach dem Machtwechsel ans Tageslicht kommen, scheinen keinen Eindruck auf die Stammwähler der PiS zu machen. Wie sich herausstellte, benutzten Politiker um Ex-Justizminister Zbigniew Ziobro Gelder aus einem Fonds für die Opfer von Gewaltverbrechen als Wahlkampfhilfe.

PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski steht an einem Mikrofon und winkt Unterstützern zu. Er ist eingerahmt von Parteifreunden.
PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski gab sich nach der verlorenen Wahl nicht geschlagen, er führt die Opposition gegen die Regierung Tusk anBild: Czarek Sokolowski/AP/picture alliance

Die drei parlamentarischen Untersuchungsausschüsse arbeiten unterdessen auf Hochtouren. Inzwischen ist bekannt, dass das Spionageprogramm Pegasus auch gegen politische Gegner eingesetzt wurde und dass korrupte Mitarbeiter des Außenministeriums polnische Visa an Menschen in Asien und Afrika verkauften. Die Parlamentarier verlieren sich allerdings in Details und die vorgeladenen PiS-Politiker verteidigen sich mit viel Geschick und versuchen, die Tätigkeit der Ausschüsse zu sabotieren. Die konkreten Ergebnisse lassen auf sich warten. Tusks Wähler werden ungeduldig.

Mehrheit der Polen steht zur EU 

Polen bleibt ein Land mit einer besonders breiten gesellschaftlichen Zustimmung zur EU. Aus der neuesten Umfrage des Instituts Pew Research Center geht hervor, dass 76 Prozent der Polen die europäische Integration befürworten, während 21 Prozent die Gemeinschaft kritisch sehen. Die jahrelange antieuropäische Rhetorik der PiS, vor allem gegen den Green Deal und die Migrationspolitik, blieb aber nicht ohne Spuren - vor zwei Jahren betrug der Anteil der EU-Befürworter noch 89 Prozent.

Das schwierige Erbe der polnischen PIS

An diesem Sonntag werden die polnischen Wähler zum dritten Mal innerhalb von acht Monaten zu den Urnen gerufen. Wie viele wegen Wahlmüdigkeit zu Hause bleiben, ist offen. Eine Mobilisierung wie am 15.10.2023 ist nicht zu erwarten. Damals machten fast 75 Prozent der Wahlberechtigten von ihrem Recht Gebrauch und harrten manchmal bis tief in die Nacht hinein vor den Wahllokalen aus, um ihre Stimme abzugeben. Bisher lag die Wahlbeteiligung bei Europawahlen in Polen zwischen 20 und 24 Prozent. Nur 2019 sprang sie auf fast 46 Prozent.

"Die Wahlbeteiligung wird entscheidend sein", schreibt Michal Schuldrzynski in der Tageszeitung Rzeczpospolita. Dies sei der Grund, warum Tusk auf antirussische Stimmung setze. Außer der Angst vor PiS und vor Russland habe er keine weiteren Mobilisierungsinstrumente - so die Einschätzung des Journalisten.

Hinweis: Der Artikel wurde um die Meldung ergänzt dass der Soldat, der an der belarussischen Grenze von einem Migranten angegriffen und verletzt worden war, gestorben ist.

Porträt eines Mannes mit grauem Haar vor einem Regal mit Büchern
Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.