Pharmariese fördert Startups
27. November 2015Der Blick geht auf die stark befahrene Berliner Müllerstraße. Im Erdgeschoss sieht man nur wenig von der Sonne. Doch Alexander Puschilov ist die trübe Aussicht egal. Denn der 27-jährige Gesundheitsökonom will von hier aus den Markt für klinische Studien revolutionieren.
"Viomedo" heißt das Startup, das er zusammen mit Tim Seithe und Stefan Nietert gegründet hat. Der eine ist Mediziner und 24 Jahre alt, der andere Softwareingenieur und 32 Jahre alt.
"Das größte Problem in der klinischen Forschung ist es, ausreichend Teilnehmer zu finden", erklärt Puschilov. "Deshalb dauern die Studien häufig viel länger als nötig. Dabei gibt es eigentlich genug Patienten, die daran teilnehmen würden, aber sie wissen nichts von der Studie."
Hilfe für Patienten
Deutschland ist der zweitgrößte Markt für klinische Studien. Weltweit werden für Studien jährlich rund eine Millionen Teilnehmer gesucht. "Viomedo2 entwickelt eine digitale Plattform, auf der sich Patienten über laufende Studien informieren und ihr Interesse an einer Teilnahme anmelden können.
"Die Betroffenen wissen sehr wenig über die laufenden Studien", bestätigt Günter Kranz, Pressesprecher des Bundesverband Selbsthilfe Lungenkrebs. "50.000 Menschen erkranken Jahr für Jahr in Deutschland an Lungenkrebs", sagt er. "Viele suchen nach alternativen Behandlungsformen".
Eine Plattform, die über laufende Studien informiert und gewissermaßen Angebot und Nachfrage bündelt, ist aus seiner Sicht deshalb sinnvoll. Der Verband hat schon erste Treffen mit den Viomedo-Gründern organisiert, um für die Plattform zu werben.
Von den Großen lernen
Die Idee des Startups hat auch den Pharmariesen Bayer überzeugt, der das Unternehmen in sein "Accelerator 2015"-Programm aufgenommen hat. Fünf Unternehmensgründungen aus dem Bereich digitale Medizin wählte Bayer in diesem Jahr aus weltweit über 200 Bewerbungen aus. Die Gewinner unter anderem aus Kanada, Estland und den USA wurden für 100 Tage nach Berlin eingeladen. Dort wurden ihnen Büroräume zur Verfügung gestellt und Zugang zu den zentralen Einrichtungen Bayers gewährt - vom Controlling bis hin zur Forschung.
"Das Verständnis des Marktes, die Ausrichtung der Firma, welche Probleme es bei klinischen Einrichtungen gibt", zählt Alexander Puschilov begeistert die Hilfen auf, die sein Unternehmen bekam. Besonders der Zugang zu Managern in Top Positionen sei wichtig gewesen, denn von deren Erfahrungen konnten die Viomedo-Gründer lernen.
Fruchtbare Beziehung
Am Berliner Standort von Bayer arbeiten immerhin rund 5000 Menschen, davon fast 2000 in der Forschung. Für die Jungunternehmer ein Paradies, was den Zugang zu Know-How betrifft. Doch die Beziehung ist nicht einseitig.
"Wir wollen die Innovation von außen ins Haus holen", betont Christian Ullrich vom Bereich Digitale Innovation bei Bayer Healthcare. Jedes Startup wird einmalig mit 50.000 Euro unterstützt und kann die vorhandene Infrastruktur nutzen. Die bunten Räume des „Accelerators“ sind deshalb am Bayer Standort integriert.
"Uns geht es weniger um die finanzielle Unterstützung, wir wollen inspirierende Innovationen", sagt er. Man merkt dem Manager an, dass er die Begegnungen mit den jungen Leuten genießt. Erstmalig wurde auch ein internes Startup, also ein Bayer-Team, ins Programm aufgenommen. Offensichtlich funktioniert die Inspiration.
Mit dem Vitameter zurück nach Kanada
Etwas traurig sind dagegen die kanadischen Teilnehmer des Programms. Sie müssen nämlich in wenigen Tagen wieder zurück in die Heimat. Ihre Zeit in Berlin haben sie sehr genossen. Ihr "Vitameter", ein Gerät, das Vitamine im Körper schnell und effizient misst, haben sie hier weiter entwickelt. Bald kann es für etwa 100 kanadische Dollar oder 60 Euro auf den Markt gebracht werden.
In der wenigen Freizeit haben sie viel über Geschichte und Kultur der Stadt erfahren. "Berlin ist cool", darin sind sich Robert Green und James Mac Lean, die Gründer von "Vitameter" einig.
An die für kanadische Verhältnisse beengten Wohnverhältnisse mussten die beiden sich aber erst gewöhnen. Die Mittzwanziger zogen in eine winzige Wohnung im Berliner Wedding. "Unser Familienhaus in Kanada hat 6 Badezimmer, fünf Schlafzimmer und dazu gehören noch zwei Hektar Land. Das ist in Kanada normal", erzählt Green belustigt. Aber in der deutschen Hauptstadt ist dem Startup vielleicht der Durchbruch gelungen. Internationale Investoren haben bereits Interesse angemeldet.