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Pflichterfüllung in letzter Minute

Barbara Wesel, Athen17. Februar 2016

Die griechische Regierung liefert in letzter Minute - kurz vor dem Gipfeltreffen in Brüssel stellt sie fast alle neuen Empfangszentren vor, die den Strom der Flüchtlinge bremsen sollen. Von Barbara Wesel, Athen.

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Transitcamp Schisto (Foto: DW)
Bild: DW/L. Scholtyssyk

"Wir sind stolz, dass die Armee innerhalb von zehn Tagen die Fähigkeiten der Regierung zur Aufnahme von Flüchtlingen verbessert hat", verkündet der griechische Verteidigungsminister Panos Kammenos im soeben fertiggestellten Transitcamp Schisto. Das Lager liegt in einem Athener Vorort, die Armee hat einen früheren Stützpunkt zur Verfügung gestellt, wie es sie Dutzende im Land gibt. Alte Baracken werden hier genutzt - und eine Menge weißer Zelte wurden schnell hinzugebaut.

Es ist ein Auftritt, der dem Minister sichtlich gefällt: Umgeben von seinen Offizieren kann er sich vor der Presse als Retter des Vaterlandes präsentieren. Denn Soldaten haben schließlich kurzfristig möglich gemacht, was die griechische Regierung lange unterlaufen hat: die "Hotspot" genannten Registrierungszentren auf vier Inseln gegenüber der Küste der Türkei und immerhin eins von zwei geforderten Transitcamps für bis zu 8000 Menschen einzurichten. Kammenos hat sie alle per Hubschrauberrundflug inspiziert. Nur die Bürger auf der Insel Kos machen noch Ärger und agitieren gegen den Hotspot.

Mit Hilfe der NATO den Zustrom stoppen

"Historisch" nennt der griechische Verteidigungsminister die Einigung mit der NATO in der vergangenen Woche. Das Bündnis verlegt Schiffe in die Ägäis, die zwischen der türkischen Küste und den griechischen Inseln die Bewegungen von Schlepper- Booten an die Küstenwache beider Länder melden sollen. Die nämlich weigern sich - aus alter Feindschaft - zusammenzuarbeiten, der Austausch soll nun auf dem Umweg über die NATO-Partner laufen. Die Vereinbarung sei eine Botschaft: Europa könne diesen großen Zustrom von Migranten nicht mehr aufnehmen.

Panos Kammenos im Transitcamp Schisto (Foto: DW)
Minister zu Besuch im CampBild: DW/L. Scholtyssyk

"Wir tun unser Bestes, um den Fluss zu stoppen", fügt Kammenos hinzu. Er hofft wohl, dass sein neues Transitlager in Schisto gar nicht mehr voll wird. Auch weil die Türkei versprochen habe, alle Flüchtlinge zurückzunehmen, die an ihrer Küste gerettet werden. Allerdings wurden allein seit Januar schon wieder rund 37.000 Neuankömmlinge in Griechenland registriert. In den vergangenen Tagen sanken die Zahlen drastisch - aber das lag wohl auch am Wind in der Ägäis.

Nadelöhr mazedonische Grenze

Im Lager Eleonas nah der Stadtmitte von Athen sitzen inzwischen schon die Flüchtlinge, die in Griechenland stecken geblieben sind und nicht mehr legal die Balkanroute nach Norden passieren können. Das Viertel ist harsch: Auto-Werkstätten, Lagerhallen, Schlachthäuser. Die Stadt aber hat in dieser unwirtlichen Ecke eine Musteranlage eingerichtet: Wohncontainer, ein Spielzelt für Kinder, Fußballplatz, ärztliche Versorgung. Es gibt Übersetzer, Sprachkurse und zweimal in der Woche kommt die Asylbehörde ins Lager, um Anträge entgegenzunehmen.

Amir aus dem Iran hat hier notgedrungen eine Pause eingelegt. Er gibt religiöse Gründe für seine Flucht vor dem Regime in Teheran an, und er will weiter nach Norwegen, Schweden, Belgien - irgendwohin, wo er sein IT-Studium beenden kann: "Wir sind doch die Leute, die Europa brauchen kann", meint er. In Griechenland würde er keine Arbeit finden, also wird Amir versuchen, illegal weiterzureisen. "Ich weiß, dass die Grenzen geschlossen sind, seit nur noch Syrer, Iraker und Afghanen weiter dürfen. Das ist ein Fehler, denn hier sind viele Iraner, die Asyl brauchen. Man sollte uns auch durchlassen." Wenn er zurückkehren würde nach Hause, drohe ihm Gefängnis oder Schlimmeres, meint Amir: "Ich habe beschlossen, dass ich mir um mein Leben Sorgen mache und nicht um die Grenzen."

Ibrahim aus Gaza mit Freund (Foto: DW)
Ibrahim aus Gaza mit FreundBild: DW/L. Scholtyssyk

Zwei Container weiter sitzt Ibrahim aus dem Gazastreifen mit einem Freund vor der Tür. Als er feststellte, dass plötzlich im Dezember die Grenze für ihn geschlossen war, habe er zunächst Panik bekommen: "Ich konnte überhaupt nicht mehr denken." Dann aber stellte er fest, dass er eine Chance auf Asyl in Griechenland hat: "Sie akzeptieren Palästinenser, weil wir schon immer gute Beziehungen haben."

Er träumt davon, dass er später Frau und Kinder nachholen und in Athen ein neues Leben starten könne. Ibrahim hat Buchhaltung gelernt, hält sich aber auch für einen begabten Friseur. "Notfalls schneide ich solange Haare, bis ich weiter studieren kann", hofft er. Zurück nach Gaza will er auf keinen Fall: "Es ist unerträglich dort, die Kämpfe zwischen den Fraktionen, die ewige Krise."

Lager Eleonas (Foto: DW)
Griechische Musteranlage: Lager EleonasBild: DW/L. Scholtyssyk

Und so wie Ibrahim und Amir sind Hunderte von pakistanischen Familien, Kriegsflüchtlinge aus Jemen, Schwarzafrikaner aus Mali und Eritrea sowie einige Wirtschaftsmigranten aus Algerien und Marokko in Athen gestrandet. Ein paar kampieren auch in diesem milden Winter in der Stadt, manche haben keinen Plan, wie es überhaupt weitergehen könnte. Ein junger Tunesier bittet jeden Passanten um Hilfe. Er habe seinen Job in einem Hotel verloren, als nach den Anschlägen im vorigen Jahr die Touristen ausblieben. Ratlos irrt er durch die Straßen.

Unsolidarisches Europa

"Wir haben zu viele Flüchtlinge und Migranten ohne Papiere in der Stadt, das ist für uns ein großes Problem", sagt der Athener Bürgermeister Jorgo Kaminis. "Wir haben nie gedacht, dass die EU sich so verhalten würde", vor allem die osteuropäischen Staaten, die doch so viel Solidarität aus Europa erfahren hätten, wollten jetzt die Grenzen schließen und die ganze Last auf Griechenland abwälzen. "Wir waren spät mit manchen Dingen", räumt Kaminis ein, aber jetzt würden sich die Griechen doch sehr schnell bewegen, um die Registrierung und vorübergehende Aufnahme der Flüchtlinge zu organisieren.

Besonders die Stadt Athen komme durch die Politik der EU in eine schwierige Lage:"Bei vielen Flüchtlingen ist es schwierig, sie zurückzubringen, weil ihre Heimatländer sie nicht aufnehmen wollen. Vor allem aber können diese Menschen bei uns in der Stadt wegen der Wirtschaftskrise auch keine Arbeit finden." Athen und Griechenland bräuchten hier wirklich europäische Solidarität. Aber Kaminis weiß schon, dass er darauf wohl vergeblich warten wird.