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"Der Luftpirat"

16. März 2010

Noch nie war der Weltraum so lebendig - 1908 erschien in Berlin die erste Space Opera der Welt. Lange vor Captain Future, Luke Skywalker und Avatar. Die Serie war ein Hit. Jetzt wird sie neu aufgelegt.

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Originalausgabe des Comicheftes "Der Luftpirat" (Foto: DVR)
OriginalausgabeBild: DVR

"Laßt die Himmelsräume sein, auf den Sternen und Planeten ist nichts zu holen. Da ist alles tot und starr, so habe ich es wenigstens in der Schule gelernt." "Sie irren sich", erwiderte Kapitän Mors kalt.

Und natürlich hat Kapitän Mors recht. Er muss es wissen: mit seinem Weltraumschiff "Meteor" durchkreuzt er das Sonnensystem und findet dabei nicht nur totes Gestein, sondern vor allem jede Menge Aliens: auf dem Mars, der Venus oder im Asteroidengürtel. Das war im Jahr 1908, vielleicht auch eher, so genau weiß das heute keiner mehr. Kapitän Mors war Held der Groschenheft-Serie "Der Luftpirat", die erste Space Opera der Welt, erschienen in einem namenlosen Berliner Kleinverlag.

Von Odessa ins All

165 Hefte erschienen vor dem Ersten Weltkrieg, verfasst von einem oder mehreren anonymen Autoren, in denen sich der geheimnisvolle Kapitän Mors mit Maske und Ulbricht-Bärtchen samt seinem Wunderfahrzeug auf die Seite der Unterdrückten und Entehrten stellt. Gleich im ersten Heft stürzt er sich in den Matrosenaufstand von Odessa 1905. Aber vor allem treibt es ihn hinaus in den Weltraum, um den hingerissenen deutschen Lesern mitteilen zu können: Das All ist bevölkert, ziemlich dicht sogar. Wohin auch immer Kapitän Mors ging, die Außerirdischen waren schon zur Stelle.

Weltraumabenteuer gab es natürlich bereits vorher. 1865 hatte Jules Verne drei Männer auf den Mond geschossen in "Von der Erde zum Mond". 1898 kamen die Marsianer zur Erde in H.G. Wells "Krieg der Welten". Ein Jahr zuvor hatte in Deutschland Kurd Laßwitz seinen Marsroman "Auf zwei Planeten" bereits publiziert. Von fernen Vorläufern wie Cyrano de Bergeracs "Mondstaaten und Sonnenreiche" (ab 1550) ganz zu schweigen.

Grafi Planeten (Foto: AP)
Phantasien vom Weltall - gibt es Leben auf anderen Planeten?Bild: AP

Aber etwas wie den "Luftpiraten" hatte das Publikum noch nicht gelesen: aufsehenerregende Abenteuer auf und zwischen fremden Planeten. Von der sachlichen Nüchternheit eines Jules Verne war da so wenig zu spüren wie von den kantschen Prinzipien in Kurd Laßwitz' Werk. Die Abenteuer des "Luftpiraten" waren bunt und unbekümmert, rasant und farbenfroh. Beherzt stellte sich der Titelheld, bewaffnet mit einer "Elektropistole" - einem fernen literarischen Vorläufer von Blaster und Lichtschwert - und einem Degen allem möglichen außerirdischen Kroppzeug entgegen. Nie zuvor war der Weltraum so lebendig.

Unterm Kaiser ein Bestseller - danach vergessen

Die Serie war ein Hit. 1908, das Kino steckte noch in den Kinderschuhen und der Rundfunk war in Deutschland noch nicht erfunden, waren Groschenhefte, was das Privatfernsehen heute ist: Unterhaltung für jedermann. Von den aberdutzenden Serien, die in den letzten Jahres des Kaiserreiches um die Leser buhlten, war "Der Luftpirat" eine der langlebigsten und begehrtesten. Aber er nicht überall gern gesehen. Literarische Gralshüter führten bereits bei Erscheinen einen Kampf gegen die Billiglektüre. In großflächigen Aktionen gegen den "Schund und Schmutz" wurde unzählige Hefte vernichtet, eingesammelt, Lesern aus der Hand gezogen. In Bibliotheken fanden die Hefte sowieso nie Eingang. Was noch an Heften in Privatbesitz verblieb, verbrannte größtenteils im Feuersturm des zweiten Weltkriegs.

Originalausgabe des Comicheftes "Der Luftpirat" (Foto: DVR)
Helden des Alls...Bild: Public Domain

Darum gibt es heute nur noch wenige Exemplare der Serie, von manchen Ausgaben gerade mal ein Stück, von einigen wenigen sogar nur noch Fragmente. Faktisch ausgelöscht, geriet die Serie in Vergessenheit. Unterlagen zum Verlag existieren nicht mehr, es gibt keinerlei Anhaltspunkte über den mysteriösen Autor, der immerhin als Erfinder eines ganzen Genres gelten kann. Ein Auswahlband mit dem Nachdruck einiger Abenteuer war bis vor kurzem die einzige Möglichkeit, überhaupt etwas aus erster Hand über diesen Großvater von Perry Rhodan und Luke Skywalker zu erfahren.

Mittlerweile druckt die Science-Fiction-Autorin Marianne Ehrig die Serie im Eigenverlag nach. Als vermutlich Einzige besitzt sie eine nahezu vollständige Sammlung des "Luftpiraten". Als Book on Demand erscheinen monatlich fünf neue Hefte in originalgetreuer Anmutung, inklusive der farbenfrohen Cover mit den reißerisch-naiven Untertiteln, die den Leser neugierig auf das Geschehen machen sollten. Für sechs Euro pro Heft ist das seit fast einem Jahrhundert die erste Chance, den Ursprung eines weltweit verbreiteten Genres zu erleben, das in Deutschland seinen Anfang nahm.

Autor: Stefan Pannor
Redaktion: Petra Lambeck

Heinz J. Galle (Hrsg.): Der Luftpirat und sein lenkbares Luftschiff (Auswahlband). 276 S. Hardcover, € 30,00, ISBN 978-3940679284

Der Luftpirat - originalgetreuer Nachdruck der Heftserie, 32 Seiten in Fraktur, 6,00 € pro Heft, zu bestellen bei Ralph Ehrig, Tempelhofer Damm 220, 12099 Berlin, reaxolotl@yahoo.de. Mehr Informationen unter www.villa-galactica.de.