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Peking lobt Londons Ja zu Atom-Deal

Hans Spross16. September 2016

Auslaufmodell Atomkraft? Nicht in Großbritannien, wo zwei neue Mega-Reaktoren sieben Prozent des nationalen Strombedarfs decken sollen. China ist mit im Boot, das allerdings kurzfristig in schwere See geriet.

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Das britische Atomkraftwerk in Hinkley Point (Foto: cc-by-sa/Crowcombe Al)
Bild: cc-by-sa/Crowcombe Al

Die Entscheidung der neuen britischen Premierministerin Theresa May, grünes Licht für den Bau zweier neuer Reaktoren am Kernkraftwerk Hinkley Point ("Hinkley Point C") zu geben, erfolgte "nach fast acht Wochen intensiver Diskussionen im Kabinett“, wie die "Financial Times" berichtete. Das größte europäische Kernkraftprojekt, das auf eine Grundsatzentscheidung Londons von 2008 zum Bau einer neuen Generation von AKWs zurückgeht, hatte in den vergangenen Monaten einige dramatische politische Wendungen durchlaufen.

So wurde im vergangenen Oktober ein Abkommen zwischen Chinas Atomkonzern China General Nuclear Power Corporation (CGN) und dem französischen Stromkonzern EDF getroffen. Der Deal war als das krönende Ergebnis des Staatsbesuchs von Chinas Präsident Xi Jinping in London gedacht. Denn EDF ist als Bauträger für Hinkley Point C im Südwesten Englands ausersehen. Der französische Stromriese will dort die von ihm entwickelten modernen Druckwasserreaktoren der jüngsten Generation (EPR) hochziehen, zu veranschlagten Kosten von 18 Milliarden Pfund.

Das finanzielle Risiko, das mit dem Megaprojekt verbunden ist - die bisherigen EPR-Projekte von EDF, im französischen Flamanville und in Finnland, leiden unter chronischer Bauverzögerung - wurde mit dem Einstieg der Chinesen abgefedert, die sechs Milliarden Pfund beisteuern wollen. Außerdem garantiert die britische Regierung EDF einen Stromabnahmepreis von 92,50 Pfund pro Megawattstunde über einen Zeitraum von 35 Jahren - plus Inflationsausgleich. Das ist mehr als das Doppelte als des derzeitigen Großhandelspreises in Großbritannien. So abgesichert glaubt die wirtschaftlich angeschlagene halbstaatliche EDF an die Rentabilität des Projektes.

Xi Jinping & David Cameron (Foto: Reuters/S. Plunkett)
Ex-Premier Cameron wollte den Einstieg der Chinesen in den britischen Atomsektor forcierenBild: Reuters/S. Plunkett

Standort Großbritannien wichtig für Chinas Atompläne

Welche Bedeutung hat aber der Atomdeal für China? Dazu sagt Jost Wübbeke von MERICS zur DW: "Das ist für China von außerordentlicher Bedeutung." Seit einigen Jahren sei China bestrebt, seine eigenen Reaktoren im Ausland zu verkaufen. Dabei gehe es strategisch vor. Die modernen eigenen Reaktoren sind noch nicht erprobt, im eigenen Land und auch nicht im Ausland. Man hab also ein Marketing-Problem. Deshalb baue man erst einmal Reaktoren ausländischer Bauart, und da ist Hinkley Point sehr wichtig. Denn: "Die britische Regierung hat den Chinesen in Aussicht gestellt, an den Standorten Bradwell und Sizewell Reaktoren chinesischer Bauart zu errichten. Außerdem ist Großbritannien, ein westliches Industrieland, als Standort für Chinas Atomindustrie natürlich von enormer symbolischer Bedeutung."

Unmittelbar nachdem die EDF-Direktoren im vergangenen Juli - mit knapper Mehrheit und begleitet von Rücktritten aus ihren Reihen - endgültig die Zustimmung zu der Investition gaben, machte allerdings London einen Rückzieher. Dort hatte die neue britische Premierministerin May Bauchschmerzen wegen des Deals bekommen, genauer gesagt wegen des Einstiegs Chinas in den nationalen Strom- und Atomsektor. Hinter vorgehaltener Hand wurde berichtet, dass May sich mit dem allzu forschen Werben ihres Vorgängers Cameron um chinesische Investitionen, koste es was es wolle, nicht einverstanden war.

Britisches Parlament Kabinettsitzung (Foto: Reuters/S. Rousseau/Pool)
Theresa Mays Kabinett muss den Brexit umsetzen. Dabei käme die Stornierung des Atomdeals mit Frankreich und China ungelegen.Bild: Reuters/S. Rousseau/Pool

"London konnte Projekt gar nicht stoppen"

Sind die britischen Befürchtungen zur nationalen Sicherheit nachvollziehbar? Jost Wübbeke von MERICS vermutet, "dass man überlegt hat, wie man verhindern kann, dass China in Großbritannien eigenständig ein AKW betreibt. Es wurde vor der jetzigen Zusage ja auch beschlossen, dass während der Bauphase die Projektgesellschaft nicht mehrheitlich an CGN übergehen darf. Theoretisch wäre denkbar, dass die chinesische Regierung über CGN als Betreiber eines solchen AKWs politischen Druck auf London ausübt."

Wübbeke nennt das "sehr weit hergeholte Überlegungen", aber offenbar hätten die eine Rolle gespielt. Er habe allerdings nie wirklich geglaubt, dass die britische Regierung das Projekt stoppt: "Damit hätte sie ihre eigene Energiepolitik konterkariert. Und sie braucht CGN zur Finanzierung des Projekts. Die britische Regierung hat ja schon relativ große Finanzierungszusagen getätigt, die reichen aber bei weitem nicht aus. Man braucht CGN, und das wissen die Chinesen, und das passiert nicht nur in Großbritannien, sondern zum Beispiel auch in Rumänien. Dort sind bei einem ähnlichen Projekt Großinvestoren abgesprungen, aber die Chinesen sind eingesprungen. Denn CGN kann auf großzügige staatliche Finanzmittel zugreifen.."

Jost Wübbeke (Foto: Merics)
Wübbeke: "Große symbolische Bedeutung Großbritanniens für Chinas Atombranche"Bild: MERICS

Chinas langfristige Planungen

China denkt langfristig und nimmt auch in Kauf, dass die britische Investition sich erst in ferner Zukunft rentieren könnte – wenn überhaupt. Denn ob in den angedachten Standorten Sizewell und Bradwell wirklich einmal Atomreaktoren chinesischer Bauart errichtet werden, ist völlig unklar. "Das sind bis jetzt Absichtserklärungen ohne bindenden Charakter. Außerdem muss das chinesische Reaktordesign durch europäische und britische Sicherheitsprüfungen. Das ist in Prozess, der sehr teuer und langwierig ist", sagt Wübbeke.

Die jetzt getroffene Entscheidung Londons, mit Hinkley C wie geplant voranzuschreiten, wurde von der Mitteilung begleitet, dass es künftig neue Regeln für ausländische Investitionen in sogenannte "kritische Infrastruktur" wie die Atomindustrie geben werde. Demnach hat London das letzte Wort bei einem möglichen Verkauf der Anteile von EDF an Hinkley C. Auch bei allen zukünftigen Projekten dieser Art wird sich die Regierung durch einen "goldenen Anteil" ein Veto über jeglichen Eigentümerwechsel sichern. Generell will die Regierung künftig ausländisches Eigentum an kritischer Infrastruktur genauer unter die Lupe nehmen, ohne hierzu deutlicher zu werden.

Das scheint China nicht abzuschrecken, die staatliche Agentur Xinhua schrieb als Reaktion auf die Genehmigung, es sei zu hoffen, dass London sich "von China-Phobie freimachen und mit Peking für eine reibungslose Entwicklung des Projekts zusammenarbeiten wird."

Jost Wübbeke ist Leiter des Programms Wirtschaft und Technologie beim Berliner China-Forschungsinstitut Merics