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Kaillie Humphries - ein Triumph, wertvoller als Gold

Davis Van Opdorp
14. Februar 2022

Kaillie Humphries gewinnt im ersten Mono-Wettbewerb der Frauen ihre dritte Olympische Goldmedaille - ihre erste für die USA. Ihre Geschichte zeigt: der Kampf gegen Belästigungen ist oftmals härter als der sportliche.

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Kaillie Humphries (USA) küsst ihre Goldmedaille im Mono-Bob
Der Sieg im ersten Mono-Bob ist für die ehemalige Kanadierin Der Sieg im ersten Mono-Bob war für die ehemalige Kanadierin Kaillie Humphries das Sahnehäubchen das SahnehäubchenBild: Pavel Golovkin/AP/picture alliance

Obwohl sie schon seit drei Jahren für die Vereinigten Staaten antritt, war es doch etwas seltsam, Kaillie Humphries im Yanqing Sliding Center in Rot, Weiß und Blau zu sehen. Die 36-Jährige, die in Calgary geboren wurde, hatte für das kanadische Team im Zweierbob schon zwei Goldmedaillen und eine Bronzemedaille gewonnen. Doch nachdem sie eine Klage wegen Belästigung gegen einen ehemaligen Trainer eingereicht hatte, wollte sie nicht mehr für den kanadischen Bob- und Skeletonverband (BCS) starten. Ihre Schlitten tragen nun "Stars and Stripes". Und ihre Goldmedaille im Frauen-Mono-Bob beschert den USA bereits die siebte Medaille in Peking 2022.

Änderung der Zugehörigkeit

Bei dem Wettkampf, der erste seiner Art für Frauen bei den Olympischen Spielen, war Humphries als große Favoritin an den Start gegangen. In ihrem ersten Lauf am Sonntag stellte sie dann auch gleich einen Streckenrekord auf und ging mit anderthalb Sekunden Vorsprung in den letzten Lauf am Montag. Am Ende gelang ihr eine Gesamtzeit von 4:19,2 Minuten. Und damit lag sie 1,54 Sekunden vor der Mono-Bob-World-Series-Gewinnerin Elana Meyers Taylor. Danach sprang Humphries aus ihrem Schlitten, warf eine amerikanische Flagge in die Luft und rief "USA! USA!"

Denn hinter diesem Erfolg steckt für Humphries viel mehr als nur der sportliche Einsatz.

Bereits vor einiger Zeit hatte sie eingeräumt, dass es nach jeden Olympischen Spielen für sie als Sportlerin eine Flaute gibt, wenn die Fanfaren und Pressetouren vorbei sind. Nach den Olympischen Winterspielen 2018 in Pyeongchang führte diese ungewöhnliche Ruhe bei ihr sogar zu einer Depression.

Kaillie Humphries (USA) startet im Monobob
Kaillie Humphries beim Start zu ihrer Goldfahrt im Mono-BobBild: Mark Schiefelbein/AP/picture alliance

"Das habe ich mir nicht ausgesucht. Ich schäme mich auch nicht dafür", sagte Humphries im Jahr 2019 gegenüber "Players Own Voice", einem Podcast der Canadian Broadcasting Corporation (CBC). "Mein Körper hatte aufgegeben. Mein Verstand hatte sich komplett von dem abgeschaltet, was während der Olympischen Spiele passiert war."

Dieser olympische Kater war damals anders, sehr speziell, sagte Humphries, weil sie im Vorfeld der Spiele in Pyeongchang von Cheftrainer Todd Hays verbal und psychisch misshandelt worden war. Im Jahr 2018 hatte sie eine Beschwerde wegen Belästigung gegen den kanadischen Verband BCS eingereicht und bat um ihre Entlassung aus dem Verband.

Sie trat dann bei den Weltmeisterschaften 2019/20 schon für die USA an. "Ich habe mich selbst nicht wiedererkannt. Ich fühlte mich in meiner Umgebung unsicher, ich hatte Angst um meine Sicherheit und um meine geistige Gesundheit", sagte Humphries bereits vor Peking 2022 gegenüber der DW. "Ich liebe das Land, die Unterstützung und die Menschen, die Bürger von Kanada. Ich konnte einfach nur nicht mehr mit dem kanadischen Verband arbeiten und musste weiterziehen."

Lernen, wer "echte Freunde" sind

Humphries glaubt, dass der Wechsel ihre Beziehungen innerhalb der Bob-Welt nicht unbedingt verändert habe. Wenn überhaupt, dann habe es die Art und Weise gestärkt, wie die Leute immer über sie gedacht hätten. "Die Leute, die mich mochten, mögen mich immer noch. Die Leute, die mich nicht mochten, bekamen mehr Munition, um mich nicht zu mögen", sagte sie. "Ich habe definitiv das wahre Gesicht der Menschen gesehen und man lernt sehr schnell, wer die wirklichen Freunde sind und wer sich wirklich um einen kümmert." Und fügte noch an: "Wenn es um Fragen des Missbrauchs, der Belästigung und der Sicherheit im Sport geht, ist das ein sehr schwieriges Thema. Man lernt sehr schnell, wer tatsächlich an einen glaubt, auf seiner Seite steht und möchte, dass man in einem sehr sicheren, positiven und großartigen Umfeld ist. Und wer einen scheitern sehen möchte."

Für Meyers Taylor, Humphries langjährige Rivalin und Trainingspartnerin, hat der Wechsel der Kontrahentin zum US-Team nicht viel an ihrer Beziehung geändert. "Es ist eigentlich lustig, weil ich jetzt weniger mit ihr trainiere als zu der Zeit, als sie Kanadierin war", sagte Meyers Taylor. "Egal, ob sie das kanadische oder die amerikanische Abzeichen auf ihrer Kleidung trägt. Ich musste gegen sie antreten und sie schlagen, egal."

Teil des US-Teams

 Kaillie Humphries (l.) und Heather Moyse präsentieren ihre Gold-Medaillen
Kaillie Humphries (.) gewinnt ebenfalls Gold-Medaillen für ihr ehemaliges Land KanadaBild: FrankHoermann/Sven Simon/picture-alliance

Obwohl sie bereits in ihrem dritten Jahr für die Vereinigten Staaten an den Start geht, war bis vor wenigen Wochen noch nicht klar, ob Humphries, die jetzt mit ihrem Ehemann Travis Armbruster in San Diego wohnt, an ihren vierten Olympischen Spielen teilnehmen kann. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) verlangt von den Athleten, dass sie die Staatsbürgerschaft des Landes besitzen, das sie vertreten. Bis Dezember hatte die Boblegende aber nur einen Wohnsitz in den USA. Humphries sagte, dass der Verlust ihrer Staatsbürgerschaft "extrem hart war und mich sehr belastet hat".

Am 2. Dezember vergangenen Jahres erhielt Humphries die amerikanische Staatsbürgerschaft und war damit berechtigt, für das Team USA anzutreten. Und so schob sie im Yanqing Sliding Centre ihren Einer-Bob mit den "Stars and Stripes" mit der gleichen Kraft und Wildheit an, die sie seit Jahren auszeichnet.

Im Laufe dieser Woche wird sie auch in ihrer Spezialdisziplin, dem Zweierbob, antreten. Für Humphries wird der Kampf um die Goldmedaille zweifellos ein weiterer Höhepunkt ihrer Karriere sein. Ihr größten Triumph aber feierte sie schon vorher. 

"Ich bin für mich selbst eingetreten. Viele Leute tun das nicht, wollen es nicht, und es war extrem schwer", sagte Humphries. "Ich fühle mich als Sportlerin mental so viel stärker, weil ich mich aus einer so dunklen Lage herausgezogen habe und weiß, dass ein Land mich dabei unterstützt."

Aus dem Englischen adaptiert von Jörg Strohschein