Zuwanderer präferieren die SPD
16. November 2016Es ist die wohl am meisten unterschätzte Gruppe von Wählern oder potentiellen Wählern in Deutschland, sagen die Macher einer neuen Studie. Die rund 17 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland bieten für die politischen Parteien ein großes Potential an Wählern, Mitgliedern und Mandatsträgern. Bislang werde dieses Potential aber bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Zu diesem Schluss kommt die Forschungsabteilung beim Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR). "Die Parteien müssen diese Menschen stärker für sich gewinnen", sagte die Auftraggeberin der Studie, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, am Mittwoch in Berlin.
Zuwanderer lieben die SPD - und verschmähen die Union
Und es gebe viel zu gewinnen: Jeder zehnte Wähler hat in Deutschland einen Migrationshintergrund. 5,8 Millionen Migranten waren bei der vergangenen Bundestagswahl wahlberechtigt. Weitere fünf Millionen Zuwanderer erfüllen alle Kriterien für eine Einbürgerung und könnten somit schon bei der nächsten Bundestagswahl im Herbst 2017 stimmberechtigt sein.
Welche Parteien diese Gruppe politisch ansprechen, das wollten die Forscher deshalb genauer wissen. Das Ergebnis der repräsentativen Befragung, die von März bis August 2015 unter 4000 Bürgern mit Migrationshintergrund durchgeführt wurde: Besonders die Sozialdemokraten liegen in der Gunst von Migranten vorne, CDU und CSU fallen weit zurück.
In Zahlen bedeutet das: 40 Prozent der Zuwanderer fühlen sich bei den Sozialdemokraten heimisch, nur noch 27,6 Prozent bei der Union. Viele Jahre lagen beide Volksparteien hier gleichauf. Für die Grünen sprechen sich 13,2 Prozent aus, für die Linkspartei 11,3 Prozent. Übersetzt in politische Trends lässt sich festhalten: Zuwanderer bevorzugen derzeit Parteien aus dem linken politischen Spektrum. Ein Grund dafür sei, sagen die Forscher, dass die traditionelle Bindung von Russlanddeutschen an die Union verblasse.
"Das schlechte Ergebnis der Union lässt sich auf einen Sympathieverlust der Partei bei den Spätaussiedlern zurückführen", sagt Studienleiterin Cornelia Schuh. Statt Schwarz wähle ein Teil der Spätaussiedler jetzt lieber rechtspopulistisch Blau - die Wahlfarbe der Alternative für Deutschland (AfD). 4,7 Prozent der Spätaussiedler sprachen sich in der Befragung für diese Partei aus. Da die Umfrage aber vor dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 durchgeführt wurde, dürfte die AfD bei dieser Klientel inzwischen weiter zugelegt haben. Bemerkenswert auch: Bei türkischstämmigen Migranten findet die SPD rund 70 Prozent Zustimmung. Die Unionsparteien können dagegen in der Gruppe der EU-Neuzuwanderer aus Polen, Rumänien und Bulgarien punkten.
Auch unter Zuwanderern lösen sich Parteibindungen auf
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Özoguz liest aus den Ergebnissen vor allem eine Botschaft heraus: "Die Parteien können sich nicht mehr auf alte Verbundenheiten verlassen." Das gelte für Migranten ebenso wie für die Gesamtbevölkerung. Auf der anderen Seite sagen 70 Prozent der Zugewanderten von sich, dass sie eine konkrete Parteienneigung besitzen. Auch dieser Wert unterscheidet sich kaum vom Rest der Gesellschaft.
Besonders großes Augenmerk gelte es jetzt auf das passive Wahlrecht zu legen, fordert Özoguz, also das Recht von Bürgern mit Migrationshintergrund, sich selbst um politische Ämter zu bewerben und dann politische Ämter zu bekleiden. Ihre Wahl zur Staatsministerin sei so ein Fall. Die Wahl der türkischstämmigen Politikerin Muhterem Aras zur Landtagspräsidentin Baden-Württembergs sei ein weiteres Beispiel. Insgesamt fehle es aber weiter an der "Durchlässigkeit", so die Integrationsbeauftragte: So hätten gerade einmal sechs Prozent der Bundestagsabgeordneten einen Migrationshintergrund. 37 Parlamentarier - von insgesamt 630 Mandaten.
Integrationsbeauftragte: "Integrationsministerium wird gebraucht"
Damit Integration auch im politischen Geschäft greifbar wird, wünscht sich die Staatsministerin jetzt konkrete Impulse. Sie warb für Einbürgerungskampagnen, wie sie ihr Parteikollege Olaf Scholz in Hamburg durchführe. Der Erste Bürgermeister der Hansestadt schreibt in Frage kommende Migranten persönlich an, fordert sie auf, sich einbürgern zu lassen. In Hamburg sind nachweislich die Einbürgerungsquoten seit Beginn dieser Praxis deutlich angestiegen.
Zudem gelte es, die Sichtbarkeit des Themas zu erhöhen. Özoguz will deshalb auch die Einrichtung eines Integrationsministeriums wieder auf die politische Agenda setzen. In den vergangenen Wahlperioden wurde immer wieder ein solcher Schritt debattiert, aber bisher ohne Ergebnis. "Kein Integrationsministerium zu haben, das sehe ich zunehmend als Problem an." Bevor die Staatsministerin an diesem Tag aber die Studie erläuterte, war sie mit harscher Kritik konfrontiert worden. Tags zuvor war sie in den Medien mit kritischen Bemerkungen über einen Polizeieinsatz gegen Salafisten zitiert worden. Razzien alleine genügten nicht, es brauche auch mehr Präventionsarbeit, so wurde sie wiedergegeben. Das sei falsch, konterte sie jetzt. "Natürlich ist jeder Schlag gegen Extremisten ein riesen Erfolg für uns alle." Mehr wollte ihr am Rand der Studienpräsentation dann aber nicht über die Lippen gehen.