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PolitikUngarn

Papst in Ungarn: Prophetische Kritik an Orban?

Ungarn Theologin Rita Perintfalvi
Rita Perintfalvi
28. April 2023

Ungarns Premier Viktor Orban betont gern Gemeinsamkeiten mit dem Vatikan. Doch Papst Franziskus könnte bei seinem Ungarn-Besuch Orban-kritische Akzente setzen, meint die Theologin Rita Perintfalvi.

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Ungarn Budapest Papst Franziskus
Viktor Orban und Papst Franziskus am 12. September 2021 in Budapest. Der Papst weilte damals nur wenige Stunden in UngarnBild: VATICAN MEDIA via REUTERS

Viele Menschen spekulieren darüber, warum Papst Franziskus Ungarn besucht. Warum ausgerechnet jetzt? Wo doch Viktor Orban, der Ministerpräsident dieses Landes, der Einzige in der Europäischen Union ist, der die Unterstützung der von Russland angegriffenen Ukraine erschwert und sich mehr oder weniger eindeutig auf die Seite des Kriegsaggressors stellt. Und wo es doch offensichtlich ist, dass die populistische Propagandamaschinerie, die Orban aufgebaut hat, alles tun wird, um aus dem Besuch von Papst Franziskus politisches Kapital zu schlagen. Immerhin wird Orban nicht müde zu betonen, dass es in Europa zur Zeit nur zwei Staaten gäbe, die Frieden wollten: Ungarn und der Vatikan.

Als katholische Theologin denke ich, dass für Franziskus nun nach einem kurzen Veranstaltungsbesuch 2021 - dem Internationalen Eucharistischen Kongress - nicht nur die Zeit für einen Länderbesuch gekommen ist. Obwohl dies natürlich auch die Aufgabe des Papstes ist, da es ihm wichtig erscheint, den Kontakt zu den Teilkirchen zu pflegen. Doch so, wie ich Papst Franziskus kenne, der die Befreiungstheologie argentinischer Prägung (Teologia de pueblo) vertritt und als solcher sein ganzes Leben lang Zeugnis ablegt, dass Gott auf der Seite der Armen, der Ausgegrenzten, der Missbrauchten, der Verfolgten und der Entrechteten steht, glaube ich, dass sein Besuch eine sehr bewusste Entscheidung ist. Dahinter steht der moralische Verfall, der in Ungarn in den vergangenen 13 Jahren stattgefunden hat.

Ostermesse am Petersdom
Papst Franziskus während der Ostermesse am Petersdom am 9. April 2023Bild: Alessandra Tarantino/AP/dp

Ich meine damit, dass ein großer Teil der ungarischen Bevölkerung nicht mehr zwischen Aggressor und Opfer, Verbrecher und Unschuldigen, Schwarz und Weiß unterscheiden kann. Ich spreche von dem, worüber Papst Franziskus fast jeden Tag spricht, in jedem Mittagsgebet und bei fast jedem öffentlichen Auftritt: den Krieg Russlands gegen die Ukraine. Er sagte zu Beginn des Krieges, es handele sich um eine "Vernichtungsoperation", die er mit der "Nazioperation, die zum Tod von mehreren Millionen Juden führte", verglich.

Besuch in einem Missionsgebiet

In der Ukraine findet ein Völkermord statt - Tag für Tag. Die meisten Ungarn, darunter viele katholische Christen, sehen das jedoch nicht so, sondern haben sich gegen die Opfer gewandt und verlangen, dass sie sich endlich ergeben, damit Frieden herrscht. Doch auf diese Weise kann es keinen Frieden geben. Sondern nur die Vernichtung eines souveränen Staates. Wenn Papst Franziskus und Viktor Orban nun von Frieden sprechen, meinen sie also etwas völlig anderes. Der Ministerpräsident unterstützt Putins "Russische Welt" (russki mir), während der Papst für einen Frieden betet, der der Ukraine Freiheit bringt.

Russland Moskau | Wladimir Putin, Präsident & Viktor Orban, Ministerpräsident Ungarn
Viktor Orban (li.) bei einem Besuch in Moskau im Februar 2022 mit dem russischen Staatspräsidenten Wladimir PutinBild: Sputnik via REUTERS

Es gibt derzeit vielleicht kein anderes Land in Europa, das so sehr der Erlösung von dieser unmoralischen Verderbtheit und mangelnden Solidarität mit den Notleidenden bedarf wie Ungarn. Und ich denke, das ist letztlich der Grund, warum Papst Franziskus kommt. Weil dieses Land ein Missionsgebiet ist. In dem er, wie der Prophet Ezechiel es ausdrückte, das Herz aus Stein aus dem Leib der Menschen entfernen und ihnen Herzen von Fleisch geben muss, damit sie wieder Leben haben. Das ist eine große Herausforderung.

Unheilige Allianzen

Es ist nichts Überraschendes oder Neues daran, dass der ungarische Ministerpräsident und die von ihm betriebene Propagandamaschine alles tun, um sogar den Besuch des Papstes für ihre eigenen politischen Zwecke zu nutzen. Denn mit den Kirchen in Ungarn macht Orban im Wesentlichen seit 2010 das Gleiche. Sie befinden sich aus mehreren Gründen auf einem Zwangskurs. Einer der wichtigsten ist die staatliche Unterstützung der Kirchen und damit ihre vollständige finanzielle Abhängigkeit.

Betrachtet man die Statistiken, so wird deutlich, dass die ungarische Regierung die Kirchen in größerem Umfang unterstützt als fast alle anderen europäischen Länder. Zudem ist zwischen 2010 und 2022 die Zahl der kirchlichen Bildungseinrichtungen stark angestiegen. Mit anderen Worten: Der Staat hat einen großen Teil des öffentlichen Bildungswesens ausgelagert und in die Verantwortung der Kirchen gelegt.

Ungarn Theologin Rita Perintfalvi
Die ungarische Theologin Rita PerintfalviBild: Pal Szüts/contempal.com

In einem zunehmend säkularen Europa, in dem das Prinzip der Trennung von Kirche und Staat weitgehend durchgesetzt wird, ist es mehr als nur eine Kuriosität, dass in Ungarn das Gegenteil geschieht. Oberflächlich besehen, könnten Papst Franziskus und der Heilige Stuhl froh darüber sein. Aber das eigentliche Ziel der Regierung ist es, die kirchlichen Einrichtungen in den Dienst ihrer eigenen politischen Indoktrination zu stellen, die wenig mit wahrem Christentum zu tun hat. Vielmehr werden diese Institutionen zu Hochburgen des politischen Christentums, nicht zu Orten der christlichen Spiritualität, die so charakteristisch für Papst Franziskus sind.

Konflikt mit dem Vatikan

Ein weiterer Faktor, der die ungarische Regierung und die ungarische katholische Kirche (bzw. die meisten Kirchen) immer näher zusammenrücken ließ, waren die vielen offensichtlichen ideologischen Parallelen oder Werteübereinstimmungen. Ich denke hier vor allem daran, dass eine der wichtigsten ideologischen Fronten der ungarischen Regierung der Schutz und die Unterstützung von Familien ist. Unter diesem Motto wurden LGBTQ-Menschen bis hin auf die Ebene des Grundgesetzes diskriminiert und völlig entrechtet. Denn laut der Rhetorik der Regierung sind alle Homosexuellen potenziell pädophil und daher für Kinder extrem gefährlich, so dass es moralisch völlig legitim ist, eine Hasskampagne gegen sie zu führen.

Ungarn Budapest Papst Franziskus
Papst Franziskus am 12. September 2021 in Budapest in der Romanischen Halle des Museums der Schönen Künste bei einem Treffen mit Ungarns Premier Viktor Orban (3.v.re.) und dem damaligen ungarischen Staatspräsidenten Janos Ader (2.v.re.)Bild: VATICAN MEDIA via REUTERS

Das immer engere Bündnis zwischen der ungarischen Regierung und der ungarischen katholischen Kirche hat zu immer schärferen Konflikten zwischen Letzterer und dem Vatikan geführt. Die erste echte Zäsur kam mit der Flüchtlingskrise 2015. Als Papst Franziskus vorschlug, dass jede Pfarrgemeinde eine Flüchtlingsfamilie aufnehmen sollte, folgte ihm in Ungarn bis auf den Diözesanbischof Miklos Beer und einige katholische Priester fast niemand. Kardinal Peter Erdö sprach davon, dass kirchliche Institutionen, wenn sie Flüchtlinge aufnähmen, das Verbrechen des Menschenschmuggels begehen würden.

Wird Franziskus reagieren?

Dasselbe gilt für das Thema des russischen Krieges gegen die Ukraine. Ungarische Kirchen sind zu wichtigen Verbreitern der russischen Kriegspropaganda geworden. So schrieb ein Budapester Pfarrer im Herbst 2022 auf Facebook, Russland habe "Kinder aus ukrainischen Konzentrationslagern vor westlichen Pädophilen gerettet". Zu anderen wichtigen gesellschaftlichen Fragen, wie der vollständigen Entrechtung von LGBTQ-Personen, schweigen die ungarischen Kirchenführer im Wesentlichen oder freuen sich in extremeren Fällen ausdrücklich darüber, dass die Rechte dieser Minderheitsgruppe mit Füßen getreten werden.

Hungary: Clerical sex abuse victims hope for justice

Der jüdische Religionsphilosoph György Gabor kommentierte diese Situation so: "Die Politik wird sakralisiert, während die Religionen ihren sakralen Charakter verlieren." Mit anderen Worten, die ungarischen Kirchen haben ihre Freiheit unter der jetzigen Regierung genauso verloren wie unter der kommunistischen Diktatur. Nur geht es diesmal nicht um eine direkte Verfolgung der Kirchen, sondern um ihre vollständige politische Instrumentalisierung. Vielleicht wird Papst Franziskus das bei seinem Besuch in Ungarn erkennen und einen Weg finden, darauf zu reagieren.

Dr. Rita Perintfalvi ist katholische Theologin, Expertin für das alte Testament, Religionslehrerin, Kultur- und  Sozialmanagerin und Publizistin aus Ungarn. Sie arbeitet als Post-Doc-Universitätsassistentin an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz und lebt in Budapest und in Graz.