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Politik

Palästinas Presse und das Vermächtnis von Abu Akleh

Tania Krämer Ramallah
5. Juni 2022

"Sie war unser Gesicht": Palästinensische Journalisten wollen weiter aus Westjordanland berichten. Viele befürchten, dass für den Tod von Abu Akleh niemand zur Rechenschaft gezogen wird. Von Tania Krämer aus Ramallah.

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Palästina | Journalistin Shireen Abu Akleh durch Schüsse getötet
Die palästinensisch-amerikanische Journalistin Schirin Abu Akleh. Hinter ihr eröffnet sich der Blick auf JerusalemBild: Al Jazeera Media Network/AP/picture alliance

Mehr als drei Wochen sind vergangen. Die schreckliche Nachricht, die Faten Elwan im Morgengrauen des 11. Mai erhielt, wird sie nie vergessen: Ihre Freundin und Kollegin Schirin Abu Akleh war erschossen worden

Abu Akleh, langjährige Korrespondentin für Al Jazeera Arabic, war gemeinsam mit anderen Journalisten unterwegs im Flüchtlingslager in Jenin im besetzen Westjordanland, um über eine der israelischen Militäroperationen dort zu berichten.

 "Wir rufen noch immer ihr Handy an"

"Wir realisieren eigentlich erst jetzt, was passiert ist. Es ergibt einfach keinen Sinn", sagt Faten Elwan, die in Ramallah lebt. "Wir rufen noch immer ihr Handy an, wir haben das noch nicht verinnerlicht."

Elwan hat viele Jahre für den amerikanischen TV-Sender Alhurra als Korrespondentin in den besetzten Gebieten gearbeitet, und war oft gemeinsam mit Abu Akleh unterwegs. "Sie ist nie irgendwo hingegangen, nur um einen Auftrag zu erfüllen, das ist das Besondere an ihr", sagt Elwan, die noch immer im Präsens spricht.

Die nur wenige Jahre ältere Kollegin nahm Elwan unter ihre Fittiche, als sie als Reporterin anfing. Abu Akleh habe immer den "menschlichen Aspekt" in ihren Geschichten in den Vordergrund gestellt, sagt Elwan.

"Sie hat die Orte respektiert, und hat dafür gesorgt, dass sich die Menschen um sie herum wohlfühlen, wenn sie mit ihr sprechen. Erst dann hat sie mit ihrer Arbeit begonnen."

Streit über die Umstände geht weiter

Der in Qatar ansässige TV Sender Al Jazeera, für den die US-Palästinenserin über 20 Jahre lang gearbeitet hat, und die palästinensische Autonomiebehörde, die Teile des besetzten Westjordanlands verwaltet, haben das israelische Militär beschuldigt, die bekannte Journalistin absichtlich getötet zu haben. Al Jazeera gab am 26. Mai bekannt, dass es ein Team von Rechtsexperten beauftragt hat, um den Fall vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu bringen.

Projektion an Hochhäusern bei Nacht
Trauer um Schirin Abu Akleh: In Doha werden das Bild der Journalistin und eine palästinensische Flagge auf Hochhäuser projiziert Bild: Serdar Bitmez/AA/picture alliance

Die Israeli Defense Force (IDF) hat nicht ausgeschlossen, dass Abu Akleh möglicherweise versehentlich von einem rund 200 Meter enfernt stationierten israelischen Scharfschützen getroffen worden sein könnte. Gleichzeitig sagte das Militär aber auch, das Akleh von unkontrollierten Schusswechseln auf palästinensischer Seite erschossen worden sein könnte.

Augenzeugenberichte von palästinensischen Journalisten und Passanten widersprechen der Behauptung, dass es zum Tatzeitpunkt einen Schusswechsel zwischen militanten Palästinensern und israelischen Soldaten gab.

Zwei Tage nach dem Vorfall veröffentlichte die Armee eine erste vorläufige Untersuchung: Darin hieß es, es sei "noch nicht möglich, die Quelle der Schüsse mit Bestimmtheit festzustellen, die Frau Abu Akleh getroffen und getötet haben". Die IDF weist auch die Anschuldigung zurück, gezielt auf Journalisten zu schießen.

"Sie war unser Gesicht bei Al Jazeera"

Der Tod der beliebten und sehr geschätzten palästinensisch-amerikanischen Journalistin, die weit über die Grenzen der palästinensischen Gebiete in der Region bekannt war, hat auch viele Journalisten zutiefst erschüttert.

Eine ganze Generation junger palästinensischer Journalisten ist mit ihrer Berichterstattung großgeworden. Gerne wird ihr Markenzeichen zitiert, der "Sign off" am Ende jeden Beitrags, ruhig und konzentriert, egal wie traurig oder dramatisch der Bericht war.

"Sie war unser Gesicht bei Al Jazeera, und wir haben viel von ihr gelernt. Wir verdanken ihr sehr viel," sagt Diana Shweiki (20), die im dritten Jahr Medienwissenschaft an der Al-Quds-Universität studiert.

Der Tod von Abu Akleh wirft die Frage auf, wie sicher es für Journalistinnen und Journalisten ist, aus Konfliktregionen zu berichten. "Es gibt keine Sicherheit für Journalisten", meint Shweiki.

Seit dem Jahr 2000 sind 19 Journalisten in den palästinensischen Gebieten und in Israel während ihrer Arbeit ums Leben gekommen, so die Zahlen des"Committee to Protect Journalists". Andere Nichtregierungsorganisationen wie "Reporter ohne Grenzen" setzen die Zahl höher.

Trauer um Shireen Abu Akleh | Libanon
Vorbild: Eine libanesische Journalistin hält ein Bild Al-Jazeera-Reporterin Abu Akleh in die Kamera Bild: Bilal Hussein/AP Photo/picture alliance

"Wo immer es einen Konflikt gibt, ist es natürlich gefährlich", sagt Walid Batrawi, der früher bei Al Jazeera English gearbeitet und sich mit Shirin Abu Akleh ein Büro geteilt hat. Heute arbeitet er als Medientrainer und bereitet palästinensische Journalisten für die Berichterstattung in einem gefährlichen Umfeld vor.

"Die Grundregel für Journalisten ist, sich der Gefahr bewusst zu sein, und alle verfügbaren Vorsichtsmaßnahmen zu treffen", sagt Batrawi. "Vor allem diejenigen, die für ausländische Medien arbeiten, haben oft die Möglichkeit, ein Training zu erhalten, wie sie sich selbst schützen können, aber natürlich ist man nie 100 Prozent sicher."

Batrawi kann es noch immer nicht fassen, dass seine frühere Kollegin tot ist - und dass sie bei ihrer Arbeit als Journalistin erschossen wurde. Sie galt als eine der erfahrensten Kolleginnen und war bekannt dafür, alles für die Sicherheit ihres Team zu tun. Abu Akleh und die Gruppe von Journalisten trugen an dem Tag Helme und blaue Schutzwesten mit der Aufschrift "Presse".

Palästinensische Journalisten würden weiterhin vom Alltag im Konflikt und dem Leben unter einer Militärbesatzung berichten, sagt er. "Nach Shirins Tod", so Batrawi, "gibt es unter palästinensischen Journalisten den Slogan 'unsere Berichterstattung geht weiter'. Das ist eine starke Botschaft."

Rufe nach unabhängiger Untersuchung

Die zentrale Frage bleibt, ob die Verantwortlichen für den Tod Abu Aklehs zur Rechenschaft gezogen werden. Die Vereinten Nationen, die USA und europäische Länder haben dazu aufgerufen, eine unabhängige Untersuchung durchzuführen.

Mehrere Medien, darunter der US-Fernsehsender CNN, die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) und das Investigativnetzwerk Bellingcat, haben ihre eigenen Recherchen und Analysen zu dem Fall veröffentlicht.

Dazu gehören Augenzeugenberichte, die Analyse von Schussgeräuschen, Video-Material und forensische Expertenanalysen. Sie deuten darauf hin, das Abu Akleh von israelischen Soldaten erschossen worden sei, so die bisherigen Rechercheergebnisse.

In der vergangenen Woche veröffentlichte der Generalbundesanwalt der palästinensischen Autonomiebehörde, Akram Al Khatib, die Untersuchungsergebnisse in Ramallah. Demnach kamen die Journalisten unter direkten Beschuss von israelischen Scharfschützen. Die forensische Beweislage geht davon aus, das Abu Akleh von hinten mit einem Schuss im Kopfbereich getötet wurde, als sie versuchte, sich vor den Schüssen in Sicherheit zu bringen.

Jerusalem | Beisetzung Shireen Abu Akleh, Journalistin Al-Jazeera
Beim Trauerzug in Ostjerusalem schlugen israelische Grenzpolizisten mit Schlagstöcken auf die Sargträger ein Bild: Maya Levin/AP Photo/picture alliance

Die palästinensische Autonomiebehörde hatte bereits zuvor mangels Vertrauen eine Mitarbeit an der von Israel vorgeschlagenen gemeinsamen Untersuchung ausgeschlossen. Al Khatib machte nochmals deutlich, dass die Patrone, die Schirin Abu Akleh tötete, nicht wie vom israelischen Militär gefordert an Israel übergeben werde.

Israels Verteidigungsminister Benny Gantz erklärte, dass "jede Behauptung, dass die IDF Journalisten oder unbeteiligten Zivilisten absichtlich Schaden zufügt, eine glatte Lüge ist." Außerdem warf er der palästinensischen Autonomiebehörde und CNN vor, mit einer solchen Behauptung die "Fähigkeit zu untergraben, Frieden und Stabilität in der Region zu schaffen".

"Genug Schmerzen im Herz"

Einige Freunde von Schirin Abu Akleh befürchten, dass wahrscheinlich niemals jemand für den Tod zur Rechenschaft gezogen wird. Auch die Polizeigewalt während der Beerdigung in Ostjerusalem hat viele traumatisiert. 

Kollegin Faten Elwan gehört dazu. Gemeinsam mit Angehörigen und Freunden hatte sie sich vor dem Sankt Joseph-Krankenhaus in Ostjerusalem versammelt, um Schirins Sarg von dort zur Kirche in der Altstadt zu begleiten.

Doch stark bewaffnete israelische Grenzpolizisten waren in die Menge der Trauernden auf dem Krankenhausgelände eingedrungen und prügelten auf die Sargträger mit Schlagstöcken ein - die Bilder gingen um die Welt.

"Ein toter Mensch in einem Sarg, umringt von den Menschen, die ihn geliebt haben. Diese Trauer ist das grundlegendste Menschenrecht. Sie sollte in jedem Land der Welt mit Respekt und in Frieden möglich sein", sagt Elwan. "Die Last des Schmerzes im Herzen ist schon groß genug."

Porträt einer Frau mit dunklen Haaren
Tania Krämer DW-Korrespondentin, Autorin, Reporterin